Schule aktuell

ChatGPT in der Schule: „KI-Tools sind Assistenten, nicht das Endprodukt“

Das Programm ChatGPT beantwortet Fragen mit künstlich intelligenten Texten wie ein Mensch. Alicia Bankhofer erklärt uns, warum sie mit dem Chatbot unterrichtet und wie digitale Medien die Jungen auch ohne KI begeistern.

Florian Wörgötter - 14. Februar 2023

Hoelzel Journal | ChatGPT in der Schule | Alicia_Bankhofer | © Hedy Pschill

ChatGPT in der Schule: Alicia Bankhofer ist Englischlehrerin an der AHS Antonkriegergasse in Wien. Als Lehrerin für Digitale Grundbildung beschäftigt sie sich auch mit Künstlicher Intelligenz im Unterricht und welche Rolle der Chatbot der Stunde ChatGPT in der Schule spielen kann/soll.

Hölzel Journal: Seit Jahren wird Künstlicher Intelligenz (KI) regelmäßig der Durchbruch angekündigt. Was schätzen Sie als Kennerin: Ist das textbasierte Dialogsystem ChatGPT ein temporärer Hype? Oder wird der Chatbot tatsächlich die Lernziele der Schule weiterentwickeln?

Alicia Bankhofer: ChatGPT ist kein temporärer Hype, sondern leitet einen Paradigmenwechsel ein. Noch nie ist ein KI-Tool so schnell Mainstream geworden. Derzeit befindet sich ChatGPT in einer Research-Phase, die noch nicht frei von Fehlern und Einschränkungen ist, doch der Algorithmus wird sich noch verbessern. Und ChatGPT ist nur ein Tool von vielen, die in dieser Entwicklungsphase noch aufkommen.

„ChatGPT ist kein temporärer Hype, sondern leitet einen Paradigmenwechsel ein.“

Ich vergleiche Künstliche Intelligenz gerne mit Wikipedia oder Suchmaschinen. Wir hätten uns damals auch nicht vorstellen können, dass wir eines Tages alles mit zugehörigen Quellen im Internet nachschlagen werden. Heute gehört beides zu unserem Alltag. Warum ChatGPT viele Menschen beunruhigt: Weil sie zum ersten Mal sehen, wie scheinbar magisch nach einer Eingabe ein Text generiert werden kann. Dabei haben wir uns ja bereits an das Leben mit Algorithmen gewöhnt, nur denken wir nicht mehr dran, wenn wir Playlisten generieren oder auf Basis von Vorschlägen einkaufen.

Welche Rolle kann und soll eine KI wie ChatGPT in der Schule spielen?

Ich persönlich nutze ChatGPT als Stütze in der Entwicklung von Lehrmaterialien. Im Englischunterricht lasse ich einen Infotext über Anne Frank generieren und bestimme vorher die Wortanzahl. Oder ich habe eine Lückentext-Aufgabe generieren lassen, indem ich eingebe, was ich brauche: einen Dialog über eine Wegbeschreibung von Punkt A nach Punkt B, typische Geschäfte, einen Lückentext und die Lückenwörter am Ende. Das funktioniert. Natürlich muss man das Ergebnis überprüfen und etwas nachjustieren.

Eine andere Aufgabe im Englischunterricht ist, dass die Schüler/innen den Anfang einer Kurzgeschichte von mir bekommen. Dann sollen sie den Textgenerator benutzen, um möglichst einzigartige Variationen dieser Geschichte zu erzählen.

Dieses Tool übernimmt demnach auch Kompetenzen, die Schüler/innen selbst erlernen sollen. Wie kann ein automatisierter Schreibassistent sie beim nachhaltigen Lernen unterstützen, ohne ihnen den Lernprozess des Schreibens abzunehmen?

ChatGPT ist mehr als ein Schreibgenerator. Es übernimmt nicht bloß Dinge für uns, sondern bildet eine Grundlage für uns. ChatGPT wird kritisiert dafür, für uns zu denken, doch wir müssen vorher denken. Beim „Prompt Engineering“, also bei der Aufgabenbeschreibung für die KI, müssen die Kinder und Jugendlichen lernen, ihre Eingaben so präzise zu formulieren, dass ChatGPT auch das ausspuckt, was sie wollen. Das Ziel: Wie kann das Tool für mich arbeiten und nicht umgekehrt. Und das braucht anfangs viele Anläufe, denn Gedankenlesen kann es nicht.

Dafür erlernen die Kinder kommunikative Kompetenzen, Lesekompetenzen und neue Methoden. Und sie lernen vor allem, dass ChatGPT und andere KI-Tools einen Stellenwert haben. Sie sind unsere Assistenten, aber nicht das Endprodukt. Sie begleiten uns auf dem Weg dahin. Das gilt es zu erklären und selbst zu erfahren. Man nennt es zwar Künstliche Intelligenz, doch die Denkarbeit wird von uns Menschen gemacht – und die Maschine hilft uns dabei, gewisse Aufgaben auszuführen.

Im Schulkontext sind manche alarmiert, dass sich Schüler/innen künftig Hausübungen, Referate oder vorwissenschaftlichen Arbeiten generieren lassen, anstatt selbst zu schreiben. Wie bewerten Sie diese Kritik?

Ich sehe das relativ pragmatisch. Kinder und Jugendliche, Erwachsene und Eltern, kopieren und plagiieren auch wunderbar ohne ChatGPT. Wenn jemand schummeln möchte, wird diese Person schummeln. Wir Lehrpersonen müssen unsere Aufgaben einfach besser designen. Also: Wir sollten weniger reine Zusammenfassungen abprüfen, die ein Antwortgenerator leicht erstellen kann. Sondern wir sollten höhere Denkprozesse anstreben wie in vergleichenden Analysen, Meinungen und Interpretationen.

„Wenn jemand schummeln möchte, wird diese Person schummeln. Wir Lehrpersonen müssen unsere Aufgaben einfach besser designen.“

Auch sollten wir nicht nur langweilige Aufsätze schreiben lassen, sondern Live-Präsentationen, Erklärvideos oder dynamische Visualisierungen aufgeben. Diese kann ChatGPT nicht produzieren und sie erfordern persönlichen Einsatz.

Beherrscht ChatGPT auch Interpretationen und Vergleiche?

Im Moment greift ChatGPT auf eine Datenmenge zu, die mit dem Jahr 2021 endet. Aktuell analysiert ChatGPT nicht den Inhalt der Artikel, sondern berechnet auf der Textebene, welches Wort am wahrscheinlichsten nach diesem Wort kommen muss. Deswegen ergibt auch nicht jedes Resultat Sinn.

Die Ergebnisse sind überraschend gut, doch nach wie vor fehlerhaft. Um die Resultate zu prüfen, wird man in Sachen Quellenkritik und Medienkompetenz nachschärfen müssen. Wie trainieren Sie die Informationskompetenz mit einem Chatbot?

Genau das ist die Aufgabe meines Zweitfachs Digitale Grundbildung. Meiner zweiten Klasse bringe ich bei, dass sie, wenn sie zu einer Person recherchieren, drei Quellen verwenden sollen und wie sie diese mit Link, Datum und Klammer angeben. Das wurde bis jetzt zu wenig beachtet, weil nicht alle Lehrpersonen sehr gut Internet-Quellen recherchieren und zitieren können.

Doch Informationskompetenz geht genauso alle Lehrer/innen an. Denn auch sie sollen erkennen können, ob eine Online-Information wahr oder falsch sein kann. Meine Hoffnung ist, dass wir KI als Anlass verwenden, damit alle Lehrenden diese Kompetenz wirklich erwerben.

Außerdem sollen die Jugendlichen wissen, dass wir Lehrer/innen auch bei KI Bescheid wissen. Wenn sie glauben, wir kennen uns nicht aus, dann können sie uns leicht etwas vorführen. Wenn wir ihnen Tools zur Unterstützung zeigen – mit ein paar Regeln für die Nutzung–, dann schaffen wir eine gute Basis.

Sehen Sie es nicht problematisch, dass ChatGPT im Gegensatz zu Wikipedia keine Quellen angibt, woher die Infos aus den Texten kommen?

Für mich ist das kein Problem. Meine Schüler/innen wissen, dass sie drei Quellen brauchen, damit die Arbeit gut ist. Die Gefahr ist, ChatGPT zu ignorieren, denn dann werden Probleme entstehen. Wenn man transparent an die Sache herangeht, seine Erwartungen als Lehrperson kommuniziert, dann ist es, finde ich, weniger problematisch.

Abseits von KI: Mit welchen digitalen Methoden und Medien gestaltet man einen spannenden Unterricht, der die Schüler/innen auch erreicht?

Ich möchte einen Raum schaffen, in dem die Kinder und Jugendlichen – soweit möglich – eigene Entscheidungen treffen. Zum Beispiel: Im Rahmen des Saferinternet-Aktionsmonats dürfen meine Schüler/innen wählen, ob sie ein Erklärvideo zu Hate Speech oder Fake News gestalten, wie man dagegen ankämpft und welche Empfehlungen es gibt. Als Parameter zeige ich ihnen ein gutes Beispiel und überlasse ihnen die Wahl der Video-Tools – ob Clips oder CapCut.

„Das Ziel von Lehrenden, die mit digitalen Medien unterrichten: Dass Jugendliche kreativ, kollaborativ und kompetenzorientiert etwas erzeugen.“

Das Ziel von Lehrenden, die mit digitalen Medien unterrichten: Dass Jugendliche kreativ, kollaborativ und kompetenzorientiert etwas erzeugen. Mein absoluter Alptraum wäre, wenn ein Kind die Vor- und Nachteile von TikTok in einem Word-Dokument trocken aufschreibt, ohne die eigenen Gedanken oder persönliche Note zu präsentieren. Da hat das Kind noch nicht bewiesen, dass es das Thema verstanden hat.

Ein Erklärvideo hingegen fordert und motiviert sie mehr, weil es verschiedene Kompetenzen kombiniert: Sie müssen die Grafik bestimmen, ein Skript schreiben, die Dramaturgie entscheiden und definieren, welches Wissen wohin gehört. Das ist viel mehr, als nur Wissen zu reproduzieren. Sie sollen beweisen, dass sie etwas verstehen und das auf einzigartige Weise kommunizieren – sei es durch Film, E-Book, Podcast, Animation, Cartoon oder Comic. Doch auch das muss man übers Semester trainieren – wie Aufsätze schreiben.

Wie wirkt sich die Arbeit mit digitalen Medien tatsächlich auf die Wissensvermittlung aus?

In der Regel ist der Lerneffekt höher, weil die Kinder dabei total fokussiert sind. Viele entwickeln einen neuen Ehrgeiz, den sie vorher noch nicht gezeigt hatten. Vor allem Introvertierte blühen plötzlich auf, wenn sie das, was sie lernen, auf eine individuelle Art und Weise produzieren und dabei etwas erschaffen. Wenn ich ein Arbeitsblatt über das Computerspiel Tetris ausgebe, ist der Lerneffekt geringer, als wenn man am iPad Tetris nachbastelt, um zu erklären, wie es funktioniert.

„Mit digitalen Medien haben wir das Potenzial, sehr viele Kinder zu erreichen, zu motivieren und ihnen eine Stimme zu geben.“

Der Lerneffekt ist nicht nur fachlich, sondern auch kommunikativ, kollaborativ und vermittelt ihnen Social Skills und Selbstbewusstsein, wenn sie Dinge schaffen, die sie vorher nicht geschafft haben. Mit digitalen Medien haben wir das Potenzial, sehr viele Kinder zu erreichen, zu motivieren und ihnen eine Stimme zu geben.

Was bräuchten Sie als Lehrende noch, damit Sie dieses Potenzial noch weiter ausweiten können? Und nicht auf die Hilfe von KI angewiesen sein müssen?

Wenn ich einen Wunsch frei hätte: mehr Zeit. Eine Stunde digitale Bildung ist zwar super, mit zwei Stunden könnten wir jedoch mehr in die Tiefe gehen und die vielen Inhalte aus dem Lehrplan besser umsetzen und vermehrt projektorientiert arbeiten. Aber sonst bin ich relativ glücklich, weil ich in meinem Unterricht sehr viel ausprobieren kann, was manchmal dazu führt, dass wir scheitern. Doch ich bin auch glücklich darüber, wenn etwas nicht funktioniert, denn dann kann ich etwas anderes ausprobieren.

Zusammenfassend: Warum sollten Lehrpersonen offen sein für Künstliche Intelligenz im Unterricht?

Weil Künstliche Intelligenz zur Lebenswelt einer digitalisierten Gesellschaft gehört. Und es wäre fatal, wenn wir Lehrpersonen die Schule in einer Parallelexistenz von der Realität abschirmen wollen würden. Dann würden wir die Kinder nicht vorbereiten auf das, was ihnen im digitalen Leben bereits begegnet und was ihr tägliches Leben in Zukunft bringen wird.

Ich betrachte Kinder und Jugendliche gerne als unsere Kundinnen und Kunden. Wir würden keine kundenfreundliche Arbeit leisten, wenn wir uns nicht damit auseinandersetzen, was sie wollen oder auch jetzt schon nutzen. Deswegen ist es wichtig zu verstehen, was hinter KI steckt und in welche Richtung die Welt sich entwickelt, um auch mitzugehen. Wer nicht mitgeht, kann nicht mitgestalten.

 

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