Bildung und Beruf

Business Intelligence: Goldwaschen in der Informationsflut

BMHS aktuell: Unternehmen treffen Entscheidungen häufig auf Basis von Daten. Wirtschaftsinformatik-Professor Michael Schrefl erklärt, wie Unternehmen in die Zukunft schauen und wo man den „sexiest Job des 21. Jahrhundert“ studieren kann.

Florian Wörgötter - 12. November 2020

MEHR_wasjetzt Busines Intelligence Michael Schrefl © JKU

Wirtschaftsinformatik-Professor Michael Schrefl erklärt, wie Unternehmen mit Datenanalyse das Gold des 21. Jahrhunderts schürfen können und was man im Studienschwerpunkt Business Intelligence lernt.

Daten sind bekanntlich das Gold des 21. Jahrhunderts. Demnach sind Data Scientists die Goldschürfer/innen, die aus reißenden Datenfluten wertvolles Wissen sieben. Immer mehr Sensoren, Maschinen und Geräte dokumentieren das Handeln der Welt – offline wie online. Die Analyse dieser Daten im Kontext von Produktions- und Geschäftsprozessen geschieht am Zukunftsmarkt der Business Intelligence.

„Daten können die Grundlage für künftige Unternehmensentscheidungen bilden. Ihre gezielte Analyse kann Produktions- und Geschäftsprozesse steuern und verbessern“, erklärt Professor Michael Schrefl von der Johannes Kepler Universität Linz. Er leitet das dortige Institut für Wirtschaftsinformatik – Data & Knowledge Engineering und erforscht weltweit die Themen Business Intelligence, Semantic Systems und Web Engineering.

Was ist Business Intelligence?

Der Begriff „Intelligence“ bedeutet im Englischen neben Intelligenz auch „Einsicht“, „Aufklärung“ und „Nachrichtendienst“ (siehe CIA = Central Intelligence Agency). Business Intelligence versucht entsprechend Einsichten in Unternehmen und deren Prozesse zu gewinnen. Ursprünglich diente das „Reporting“ von Quartalszahlen den Unternehmen als Basis für die weitere Planung von Produktgruppen oder Regionen. IT-Systeme haben das Sammeln und Auswerten von historischen Daten erleichtert, sodass auch kurzfristige Entscheidungen für die Gegenwart getroffen werden können.

Business Analytics sind der nächste Schritt, mit dem Analysten auch in die Zukunft schauen können. Indem sie den Stand der Dinge beobachten, lässt sich anhand von Wahrscheinlichkeiten die Zukunft berechnen und vorausschauend auf mögliche Ereignisse eingreifen.

Die interdisziplinäre Data Science nutzt Verfahren und Techniken der computergestützten Statistik, um dieses Wissen aus den Daten zu extrahieren. Eines der Ziele ist, mit Assoziationsregeln gewisse Zusammenhänge zu erklären. Vielleicht ist genau diese Visionskraft der Grund, warum das Harvard Business Review Data Science zum „sexiest Job of the 21st Century“ macht.

Analyse des Kaufverhaltens

Professor Schrefl teilt seinen Bildschirm mit Vorlesungsfolien und demonstriert ein paar Beispiele: In Supermärkten etwa würde die hohe Korrelation des simultan auftretenden Gustos nach Würstel und Bier dazu führen, dass die Wurst im Verkaufspreis ermäßigt wird, um den Gewinn mit dem Sechserträger zu erzielen.

Die Kundenkarten von Supermärkten hätten ihm zufolge weniger Interesse am Kaufverhalten einzelner, sondern an den großen Zusammenhängen der Gesamtkundschaft, um besser auf Veränderungen reagieren zu können. So ergebe die systematische Anwendung statistischer Methoden auf große Datenbestände, das Data Mining, auch, welches Angebot man bestimmten Kundengruppen machen sollte, wenn sie genau diese Produkte kaufen oder eben nicht mehr kaufen. „Mit Data Mining hat man in den USA am geänderten Einkaufsverhalten einer Frau erkannt, dass sie schwanger sein muss – noch bevor es der Vater wusste“, sagt Schrefl.

Prognose von Kündigungen

Ebenso lässt sich anhand der Analyse des Kauf- oder Telefonie-Verhaltens voraussagen, wann man Kundinnen und Kunden verlieren wird. Ebenso lernt man, wie sich bereits verlorene Kunden verhalten haben. Facebook erkenne laut Schrefl schon eine Woche vor dem Ende einer Beziehung, dass diese in die Brüche gehen wird. Weil das Paar weniger miteinander kommuniziert und Kontakt zu neuen Personen hat. „Wenn sich stabile Daten aus der Vergangenheit ändern, lässt sich mit Wahrscheinlichkeitsrechnungen frühzeitig gegensteuern“, so Schrefl.

Ein weiteres Beispiel für Business Intelligence: die Pay-as you-go-Autoversicherung. Eine Versicherung wird nur mehr pro Fahrt abgeschlossen und gilt wie ein Zugticket eine Zeit lang für eine bestimmte Strecke. Die Versicherungsgesellschaften berechnen den individualisierten Preis anhand smarter Datenanalyse. Sie berücksichtigen die Route, den Zeitpunkt, die Verkehrsverhältnisse, das individuelle Fahrkönnen und das Wetter – je schöner, desto günstiger, denn umso niedriger die Unfallgefahr. In den USA sind solche Autoversicherungen mit flexibler Preisgestaltung bereits am Markt.

Datensammeln verpflichtet?

Können es sich Unternehmen heute noch leisten, keine Daten zu sammeln? Die Frage sei, was mit den Daten gemacht wird, meint Schrefl. Kundenbetreuung und ihre Zufriedenheit seien das eine. Weitere Möglichkeiten liegen in einem Warnsystem für die Produktion, dem Berechnen von potenziellem Ausschuss, welche Produkte eingestellt werden sollen und in welche Richtung ein Unternehmen expandieren sollte.

Im Internet spielen datenbasierte Recommender-Systeme wie auf Netflix, Google oder Amazon längst eine entscheidende Rolle, welche Inhalte uns angezeigt werden. Doch auch Social Media-Analysen lassen früh genug gegensteuern, wenn ein Shitstorm aufzuziehen droht. Doch keine Analyse ist immun gegen Fehler.

Die Grenzen der Statistik

„Zu 99,9 % liegt die Statistik richtig, aber im Einzelfall kann es Probleme geben“, so Schrefl. Ein Data Scientist muss im Rahmen von Business Intelligence wissen, wie die Daten gemessen wurden und in welchem Kontext sie zu betrachten sind. Sind die Quellen vergleichbar? Wurden die Daten intelligent bereinigt? Wie lange sind sie noch gültig?

Eine statistische Korrelation bedeutet nicht zwingend einen Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung. „Es lässt sich auch statistisch nachweisen, dass Störche die Kinder bringen“, sagt Schrefl. „Denn der Rückgang an Störchen entspricht auch einem Rückgang an Geburten.“ Die Faktenlage hierzu sollte aber auch in einer von Reptilien regierten Scheibenwelt unbestritten sein.

Ein weiteres Beispiel: Übersetzt man mit dem Google Translator „He is a Teacher“ und „She is a Professor“ auf Türkisch und übersetzt man es zurück aus dem Türkischen ins Deutsche, wird daraus ein „She is a Teacher“ and „He is a Professor“. Warum? „Weil das Übersetzungsprogramm ohne den Kontext auf Statistiken zurückgreift – und es gibt mehr weibliche Lehrerinnen als Professorinnen, zudem auch keine Geschlechter in der türkischen Grammatik“, antwortet Schrefl.

Business Intelligence im Studium

Erfolgreiche Business Intelligence und Business Analytics benötigen eine umfassende Kenntnis eines Unternehmens. Schrefl vergleicht die Implementierung mit dem Bau eines Gebäudekomplexes: „In großen Unternehmen braucht es eine/n Wirtschaftsinformatiker/in als Architekten der Infrastruktur, eine/n Informatiker/in als Konstrukteur der Algorithmen, eine/n Statistiker/in als Statiker der Auswertungen und eine/n Domain-Expertin/-Experten als Bauleiter, die/der den inhaltlichen Überblick hat.“ Eine einzige Person könne die Bereiche Business Intelligence, Business Analytics und Data Science niemals abdecken. Daher bedarf es eines interdisziplinären Teams an Experten und Expertinnen.

Um dieses Gesamtverständnis eines Unternehmens zu vermitteln, setzt die Johannes Kepler Universität Linz auf den Schwerpunkt Data Science in mehreren Master-Studien: Wirtschaftsinformatik, Computer Science, Statistik und Wirtschaftswissenschaft.

Im Master Wirtschaftsinformatik mit Schwerpunkt Business Intelligence und Data Science lernen die Absolventen und Absolventinnen Management-Skills, um Informationstechnologien und digitale Systeme in Organisationen einzusetzen. Laut Studienplan können sie nach dem Abschluss geschäftsrelevante Ergebnisse aus großen Datenmengen gewinnen, kennen semantische Technologien, Data Warehousing und Data Mining und können Informationen aus der Statistik analysieren, visualisieren und Werkzeuge zur Datenanalyse entwickeln.

Und die Jobaussichten? „Studierende der Business Intelligence sind in Unternehmen sehr gefragt, weil sie mit geringem Geldeinsatz viel Gewinn machen können,“ so Schrefl. Wenn das für Head Hunter nicht sexy klingt.

Hier geht’s zum Studienprogramm der Johannes Kepler Universität Linz.

 

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