Schule aktuell

Schule des Essens: Kochen, Kosten und Schmecksperimente

Die Schule des Essens vermittelt Jugendlichen eine moderne Ernährungsbildung. Initiatorin Theres Rathmanner erklärt ihr Rezept, wie man undogmatisch und nachhaltig vom Essen redet und was Kinder kochen und wissen wollen.

Florian Wörgötter - 26. Jänner 2023

Hoelzel Journal | Theres Rathmanner | © Schule des Essens

Im Rahmen unseres Schwerpunkts Ernährung servieren wir einen Gruß aus der Küche der Schule des Essens. Initiatorin und Ernährungswissenschafterin Theres Rathmanner erläutert die Zutaten ihrer Schulworkshops für Volksschulen und Sekundarstufe I.

Hölzel Journal: Die Schule des Essens vermittelt eine „inhaltlich umfassende, methodisch moderne“ und „undogmatische“ Ernährungsbildung. Was an Ihrem pädagogischen Konzept ist denn modern?

Theres Rathmanner: In der Schule des Essens unterrichten wir nicht frontal, mit erhobenem Zeigefinger oder mit Dogmatismus. Unser zentraler Lernort ist die Küche und wir arbeiten stark praxisbezogen. In jeder einzelnen Einheit bereiten wir etwas zu, meistens kochen wir oder machen eine Exkursion – also alles Hands-on.

„Wir vermitteln: mehr pflanzliches Essen, weniger Tierisches, eine möglichst ökologische Produktionsweise und das Vermeiden von Lebensmittelabfällen.“

Zentral ist auch seit Beginn, dass unsere Ernährungsbildung, das Essen und das Lernen freudvoll sein sollen. Wir wollen mit Aha-Erlebnissen begeistern, um möglichst nachhaltiges Lernen sicherzustellen. Eine theoretische Basis dafür bilden unter anderem die Konzepte zum Lernen von Gerald Hüther und Manfred Spitzer.

Welche Lernziele verfolgt die Schule des Essens?

Über allem steht das Lernziel, junge Menschen und gutes Essen zusammenzubringen. Wobei wir gutes Essen dem Nachhaltigkeitsgedanken folgend sehr umfassend definieren: Im Idealfall schmeckt es gut, ist gesund und ausgewogen. Darüber hinaus geht es um ein achtsames Bewusstsein für ökologische Qualität, für die wirtschaftlichen Hintergründe geht um ein achtsames Bewusstsein für ökologische Qualität, für die wirtschaftlichen Hintergründe wie fairen Handel und für psychologische Aspekte wie Emotionen und Motive beim Essen.

Welche Ernährungsworkshops bieten Sie Schulen an?

Wir haben ungefähr 30 Workshops ausgearbeitet, die wir auf die jeweiligen Schulen zuschneiden, nachdem wir sie besucht haben und ihre Wünsche kennen. In einer Bio-Einheit beschäftigen wir uns mit der biologischen Produktionsweise, machen ein Gütesiegel-Quiz und eine Einkaufsrallye durch den Supermarkt, wo die Schüler/innen Arbeitsanleitungen haben, für die sie diverse Zutatenlisten lesen, das Mindesthaltbarkeitsdatum auf Produkten und andere Verpackungsinfos suchen.

In der Einheit Lebensmittellabor experimentieren wir mit Aromen, Süß- und Farbstoffen und bauen beliebte Lebensmittel nach, wie Eistee, Limonade oder Fruchtjoghurt. In der Einheit Süß schauen wir uns ohne erhobenen Zeigefinger mögliche Alternativen zum Zucker an und verkosten Honig, Agavendicksaft, Ahornsirup etc.

In der Einheit Lebensmittelhaltbarkeit kochen wir je nach Saison Marmelade, legen Essiggurken ein oder verarbeiten Fallobst zu Apfelmus. In einer Brot-Einheit backen wir Sauerteigbrot. In einer vegetarischen Einheit thematisieren wir den Fleischkonsum und seine Nachhaltigkeitsaspekte und warum wir weniger Fleisch, dafür besseres essen sollten und welche Alternativen auch Hülsenfrüchte bieten.

Wenn die Küche das Klassenzimmer ist – wie arbeiten Sie mit Schulen ohne Schulküche?

Manche Schulen haben auch andere Kochorte wie den Pausenraum der Lehrenden. Besteht keine Kochmöglichkeit, bieten wir auch Einheiten mit „kalter Küche“. Zum Beispiel haben wir einen Stationenbetrieb zum Thema Sensorik mit vielen „Schmecksperimenten“ für alle Sinne. Einen Linsenaufstrich etwa können wir auch im Klassenzimmer zubereiten, indem wir mit fertigen Zutaten und dem Stabmixer arbeiten.

In der Einheit Ernährungskultur verzichten wir sogar bewusst auf jede Kücheninfrastruktur. Wenn wir Ernährungskultur am Beispiel Essen aus Afrika thematisieren, geht es auch darum, das Kochen auf offener Feuerstelle und das Abwaschen mit Wasser aus dem Brunnen zu simulieren. Da stellen wir „Schaffeln“ zum Abwaschen auf und die Kinder zapfen in Kanistern das Wasser von den Waschbecken am WC.

Hoelzel Journal | © Schule des Essens

Die Küche als Lernort der Schule des Essens.

Welches Bild von nachhaltiger Ernährung wollen Sie jungen Menschen vermitteln?

Wir orientieren uns an der Definition der Planetary Health Diet. Diese basiert auf gemeinsamen Empfehlungen von renommierten Wissenschafterinnen und Wissenschaftern aus den Bereichen gesunde Ernährung und Nachhaltigkeit. Zusammengefasst vermitteln wir: mehr pflanzliches Essen, weniger Tierisches, eine möglichst ökologische Produktionsweise und das Vermeiden von Lebensmittelabfällen. Das sind die Grundbotschaften, über die wir uns freuen, wenn sie bei den Schülerinnen und Schülern ankommen.

Was kommt bei Schülerinnen und Schülern am besten an?

Das kann sich je nach Schultyp und Zusammensetzung der Klasse unterscheiden. Klassen mit mehr Mädchen begeistern sich für vegetarische, gesunde Rezepte mit Hülsenfrüchten. Klassen mit mehr Burschen formulieren schon auch, dass sie lieber Fleisch kochen wollen.

Grundsätzlich kommt aber alles gut an, weil das Experimentieren, Verkosten und Kochen mit Lebensmitteln den Jugendlichen so viel Freude bereitet, dass das Gericht selbst in den Hintergrund rückt. Sogar bei einer Gemüsesuppe sind alle mit Feuereifer bei der Sache – und meist wird sie dann auch von allen gegessen.

Welche Wissenslücken im Ernährungsbewusstsein junger Menschen stellen Sie fest?

Ich wüsste gar nicht, wo ich anfangen soll: viele! Am meisten erschüttert mich, wie sehr Schüler/innen – genauso aber Erwachsene – von der Produktion entfremdet sind. Sie wissen kognitiv, dass das Fleisch von der Styroportasse und die in Plastik geschweißte Wurst von einem Tier stammen. Wie aber der Prozess von der Haltung bis zur Schlachtung aussieht, da gibt es schon sehr viel Erklärungsbedarf.

„Das gemeinsame Zubereiten und Kochen ist der allerbeste Hebel, den geschmacklichen Horizont ein bisschen zu weiten, damit sie bereit sind, Neues zu kosten.“

Viele Kinder sind es auch nicht gewohnt, zu Hause verschiedene Sorten von Obst, Gemüse, Milchprodukten oder Fleischwaren zu essen. Das gemeinsame Zubereiten und Kochen ist – meiner Erfahrung nach – der allerbeste Hebel, den geschmacklichen Horizont ein bisschen zu weiten, damit sie bereit sind, Neues zu kosten.

Essen ist ein emotionales Thema, das durch Klimakrise und Nachhaltigkeit immer politischer wird. Wie unterrichtet man undogmatisch vom Essen?

Das ist gar nicht so einfach. In einer Einheit beispielsweise erzählt jede/r, was sie/er so isst und frühstückt. Im vertrauten Rahmen eines Gesprächs sprechen wir auch die vielen emotionalen Gründe für Essen an. Zum Beispiel: Wer kennt das Gefühl der Langeweile? Und dass man isst, ohne wirklich Hunger zu haben? Oder man isst, um sich zu trösten oder zu belohnen, weil eine/n die (Groß-)Eltern schon als Kind mit Essen belohnt oder von Wut abgelenkt haben.

Wie verändert man den Fleischkonsum von Schülerinnen und Schülern, ohne etwas zu verbieten, was sie gerne haben?

Wir versuchen, die Informationen auf Basis wissenschaftlicher Fakten aufzubereiten. Wir legen auf den Tisch, warum man aus gesundheitlichen und nachhaltigen Gründen nicht öfter als zwei- bis dreimal in der Woche Fleisch essen sollte. Dann versuchen wir, alternative Lebensmittel zum Fleisch zu finden, die die Ernährungsweise bereichern können, ähnliche Nährstoffe enthalten, aber eben nicht tierisch sind.

„Was wir nicht wollen: die Jugendlichen zur vegetarischen oder veganen Ernährung drängen.“

Die eine Strategie ist: Wir zeigen die kulinarischen Vorzüge der Hülsenfrüchte, indem man sie verkostet und einfach zubereitet. Der andere Zugang: Wenn wir Fleisch kochen, dann möglichst das ganze Tier von „Nose to Tail“, um Lebensmittelabfälle zu vermeiden. Das bedeutet für die Jugendlichen, auch mal Fleischteile zu kosten und zuzubereiten, die sie noch nie gegessen haben. Was wir nicht wollen: die Jugendlichen zur vegetarischen oder gar veganen Ernährung drängen.

In den Neuen Mittelschulen steht bereits ein Pflichtfach „Ernährung und Haushalt“ am Stundenplan. Das ist doch erfreulich, oder?

Grundsätzlich ist es das, ja. Die Kehrseite: Dieses Pflichtschulfach hatte früher wesentlich mehr Stunden und ist sukzessive immer weiter zusammengekürzt worden. Die Unterrichtenden berichten, dass sie ständig um die Stunden kämpfen müssen. Wir von der Schule des Essens würden uns ein Pflichtfach Essen in allen Schultypen und allen Schulstufen wünschen.

Warum braucht es ein Pflichtschulfach zur Ernährung?

Menschen essen bis zu fünf Mal am Tag. Ihr ganzes Leben lang. Eine Alltagshandlung, die nicht nur sein muss, sondern auch erheblichen Einfluss auf die Gesundheit hat und großes Potenzial für Genuss und Lebensfreude. Mit Lebensmitteln umgehen, sie verarbeiten und kochen zu können, ist eine unglaublich wichtige Lebenskompetenz. Nachdem es eher rückläufig ist, dass man diese im Elternhaus lernt, sind wir der Meinung, dass Ernährung in den Schulen unbedingt ihren fixen Platz haben muss.

Ihr außerschulisches Spin-off-Projekt „Schule des Essens goes Lehrlinge“ wurde mit dem SDG-Award 2021 prämiert. Was haben die Lehrlinge aus den Workshops mitgenommen?

Wir haben klimafreundliche Ernährung mit drei unterschiedlichen Gruppen praxisbezogen thematisiert. Gruppe 1 waren Elektrikerlehrlinge, lauter Burschen, ausgeprägte Fleischkonsumenten. Denen haben wir zwar Hülsenfrüchte zum Kosten angeboten. Der Sprung von Fleisch zu Hülsenfrüchten war für diese Gruppe aber zu groß, daher haben wir uns auf bewussteren Fleischkonsum konzentriert, unter anderem „Nose to Tail“ thematisiert und die Rindszunge gekocht.

Bei den weiblich dominierten Gruppen 2 und 3 ging’s vor allem darum, wie man das Essen am Arbeitsplatz und die Pausenverpflegung klimafreundlicher und gesünder gestalten kann – etwa mit dem Zubereiten und Verkosten von Getreidesalaten und selbst gemachten Müslis. Eingebettet war die Thematik in die SDGs, die wir mit jeder Gruppe anfangs kurz gestreift haben.

Letzter Gang: Was ist Ihr persönliches Lieblingsgericht?

Ein gegrilltes Hüftsteak vom Rind – blutig in der Mitte und von meinem Mann zubereitet.

 

Im Rahmen unseres Schwerpunktes Ernährung haben wir im Hölzel Journal auch Unterrichtsmaterial für Sie versammelt: Im aktuellen WissenPlus widmet sich die DemokratieWEBstatt dem Thema „Ernährung“. Und wir empfehlen Ihnen die didaktisierten Zeitungsartikel zu Foodtrends, Klimaschutz und Co. von MISCHA – Medien in Schule und Ausbildung.

 

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