Schwerpunkt: Orientierung

Digitale Grundbildung: Kritisches Denken über Medien und Technik

Benedikt Maukner ist Autor der Schulbuchreihe „Connected World“ für Digitale Grundbildung. Im Gespräch erklärt er, wie er den neuen Lehrplan umgesetzt hat, was Lehrende erwartet und wie sie den Zugang von Digital Natives verstehen.

Florian Wörgötter - 23. März 2023

Hoelzel Journal | Digitale Grundbildung | Benedikt Maukner | © Maukner

Benedikt Maukner ist Schulbuchautor und Gründer von SIA Schulbuch InterActive. In Kooperation mit dem Hölzel Verlag und dem Bildungsverlag Lemberger ist die Schulbuchreihe „Connected World“ für Digitale Grundbildung erschienen.

Kurz zusammengefasst: Was wird im neuen Pflichtfach Digitale Grundbildung in den ersten vier Klassen der Sekundarstufe I unterrichtet?

Benedikt Maukner: Dem Lehrplan liegt das sogenannte „Frankfurt-Dreieck“ zugrunde. Laut diesem beleuchtet man jedes Thema – sofern möglich – aus drei verschiedenen Perspektiven: Die technologische und mediale Sicht erläutert, wie die Technik funktioniert, die man angreifen kann und mit der man zu tun hat. Die gesellschaftliche und kulturelle Sicht behandelt, wie Technik unsere Gesellschaft und Kultur verändert und was sie bewirkt. Und die Interaktionsebene erklärt, wie ich selbst Technik benutze und was sie mit mir macht.

„Im Lehrplan für Digitale Grundbildung hat man versucht, einen relativ breiten Themenmix mit möglichst hohem Konsens zu finden.“

Im Lehrplan für digitale Grundbildung hat man versucht, einen relativ breiten Themenmix mit möglichst hohem Konsens zu finden. In der ersten Klasse beginnt man mit: Wie benutze ich einen Computer? Was bedeutet Digitalisierung? Wie wirkt sie sich auf Gesellschaft und Arbeitswelt aus? In der zweiten Klasse geht es dann in Richtung Social Media. In der vierten Klasse schnuppert man ins Programmieren und in Algorithmen.

Der Lehrplan für Digitale Grundbildung musste viel Kritik einstecken. Auch Bildungsminister Martin Polaschek meinte nach der Begutachtungsfrist, dass der aktuelle Lehrplan „nicht der Weisheit letzter Schluss ist“. Wie beurteilen Sie den aktuellen Lehrplan? Und was konkret sollte daran überarbeitet werden?

Die Intention einer digitalen Grundbildung finde ich prinzipiell sehr gut. Ebenso den Grundgedanken, jedes Thema aus drei Betrachtungsweisen anzuschauen, sowie die getroffene Themenauswahl. Was mich an diesem Lehrplan stört: Die Themen sind sehr zerrissen.

Ein Beispiel: In der ersten Klasse erklärt man, wie Suchmaschinen grundsätzlich funktionieren, doch erst in der dritten Klasse lernt man, Suchmaschinenanfragen durchzuführen. Dass Suchanfragen personalisiert sind, und das auch Auswirkungen auf die Gesellschaft hat, kommt ebenfalls erst in der dritten Klasse. Würde man Suchmaschinen themenmäßig zusammenfassen, könnten die Schüler/innen sie besser verarbeiten und auch verstehen. Und die Lehrpersonen hätten einen schönen roten Faden statt eines Flickenteppichs. Diese tun sich ohnehin schwer beim Unterrichten, denn die Ausbildungen beginnen erst. Man wirft sie ins Taucherbecken, ohne dass sie schwimmen können.

Eine andere Kritik am Lehrplan für Digitale Grundbildung lautet, es sei einerseits zu viel Informatik enthalten, was das Schulfach Informatik vorwegnehmen würde. Andererseits wird vonseiten der Wirtschaft bemängelt, es werde zu wenig Informatik gelehrt, die auf das Berufsleben vorbereitet. Welchen Standpunkt vertreten Sie?

Ich kann beide Seiten nachvollziehen, stimme aber keiner der beiden zu. Eben weil man sich sehr bemüht hat, einen Überblick über das Fach zu schaffen, statt einen konkreten Fachunterricht zu entwickeln. In einer einzelnen Wochenstunde werden wir nicht alle Kinder zu tollen Programmierern und Programmiererinnen ausbilden können. Dafür gibt es dann vor allem in den weiterführenden Schulen andere Fächer. Man könnte sich natürlich überlegen, ob man diese Fächer vielleicht in die Unterstufe vorzieht.

„In einer einzelnen Wochenstunde werden wir nicht alle Kinder zu tollen Programmierern und Programmiererinnen ausbilden können.“

Wobei natürlich nicht jede Schule auch Informatik in der Sekundarstufe I unterrichtet. Das machen ja hauptsächlich die Informatik-Mittelschulen und die Realgymnasien. Aber die Kreativ- und Musik-Mittelschulen tun das nicht oder eher wenig – dort ist eine Stunde Digitale Grundbildung in der Woche zu wenig.

Ein weiterer Kritikpunkt: Der Lehrplan sei für Mittelschulen zu überfrachtet. Wie bringen Sie diese Fülle an Themen in Ihren Schulbüchern auf den Punkt?

Der Überfrachtung stimme ich zu. Manche Themen werden daher eher kurz angesprochen. Denn der Lehrplan gibt nicht vor, wie umfangreich ein Thema behandelt werden muss. Besonders tiefgreifend habe ich beispielsweise das Thema „Sicherheit“ behandelt. Das Bildungsministerium begutachtet ja ohnehin die Bücher, ob alle Lehrplaninhalte abgedeckt sind und approbiert sie erst dann. Ich habe auch versucht, verschiedene Themen auf einer Doppelseite zu kombinieren, wenn sie in irgendeiner Form zusammenpassen.

Doch gerade Digitale Grundbildung ist ein schwieriges Unterrichtsfach. Bis die Kinder ihre Tablets ausgepackt, eingeschaltet und vielleicht sogar noch upgedatet haben, können schon zehn Minuten der Schulstunde vergehen. Das macht es zum zwiespältigen Fach: Einerseits will man möglichst viel Technik hineinbringen, andererseits macht es einem die Technik auch sehr schwer.

Mit dieser Technik umzugehen, soll den jungen Menschen beigebracht werden. Am Lehrplan stehen informatische Fähigkeiten, Medienkompetenz und Anwendungskompetenz. Anhand welcher Praxisbeispiele vermitteln Sie diese Kompetenzen in Ihren Büchern?

Ich lege im Buch sehr viel Wert darauf, die Kinder die Geräte, Apps und Betriebssysteme einfach ausprobieren zu lassen. Und das rate ich auch allen Lehrerinnen und Lehrern: Lasst die Kinder einfach machen, sie können nichts verhauen, wenn sie alle Symbole und Funktionen eines Programms durchprobieren. Bei den Anwendungsthemen verzichten wir auf Screenshots von Programmen, sondern erklären die Symbole und was sie auslösen. Wir bieten auch zusätzliche Downloads wie Excel-Sheets, um Statistiken und Diagramme zu testen.

Im Bereich Medienkompetenz haben wir ein Beispiel, anhand dessen die Hintergründe der Suchmaschinen verstanden werden. Unsere Suchergebnisse enthalten auch Anzeigen und falsche Ergebnisse und die Kinder erklären, welche Ergebnisse sinnvoll sind und mit welcher Suchstrategie man bessere finden könnte. Der zweite Bereich der Medienkompetenz besteht darin, Medien selbst zu gestalten. Die Kinder lernen, ein Klassenvideo mit dem Handy zu drehen oder eine Website zu programmieren. Wobei das Coding natürlich sehr oberflächlich ist, doch zumindest lernen sie, wie ein HTML-Code aussieht und wie man ihn schreibt.

Der dritte Kompetenzbereich widmet sich der Technik. Wir zeigen, wie das Innenleben eines Computers funktioniert. Wobei ein Video im E-BOOK+ die Komponenten wesentlich einfacher und schöner zeigt – oder auch die Lehrkraft, wenn sie selbst einen Computer auseinanderschraubt. Das Buch alleine macht den Unterricht nicht.

Digitale Grundbildung beschäftigt sich auch mit Social Media, in denen sich Digital Natives besser zurechtfinden als manche Lehrende. Welche Rolle soll das Fach Digitale Grundbildung eigentlich übernehmen?

Einerseits soll das Pflichtfach die Grundfähigkeiten im kritischen Umgang mit Medien vermitteln, andererseits gewisses Anwendungswissen für den Beruf oder die Schule. Doch die Medienkompetenz und der kritische Umgang mit Social Media ist meiner Meinung nach das Wesentliche.

„Entscheidend ist das kritische Nachdenken darüber, wie Medieninhalte entstehen, wie sie ankommen, ich sie konsumiere und verstehe.“

Die Anwendungskompetenz lernt man relativ leicht überall, aber entscheidend ist das kritische Nachdenken darüber, wie Medieninhalte entstehen, wie sie bei mir ankommen, ich sie konsumiere und verstehe. Und ich würde nicht sagen, dass Kinder unbedingt besser im Umgang sind; sie haben einen anderen Zugang.

Wie können sich Lehrende auf diesen Zugang der Digital Natives einstellen?

Es ist wichtig, den Lehrenden zu sagen, dass sie keine Angst davor haben müssen, dass ihre Schüler/innen mehr wissen als sie. Es ist keine Schande, wenn Schüler/innen einem zeigen, wie’s geht. Das bedeutet doch, dass sie diese Kompetenz bereits haben und Wissen verstanden haben. Schon vor 200 Jahren gab es den Zugang, dass Schüler/innen andere Schüler/innen unterrichten. Warum nutzen wir das nicht auch heute für neue Unterrichtskonzepte?

Lehrer/innen müssen nicht allwissend sein, es reicht, wenn sie auf Google nachschauen können, wie etwas funktioniert. Ihre Aufgaben heute ist es, die Schüler/innen anzuleiten. Sie sind Stichwortgeber/innen, um kritisches Denken zu fördern, das man Schülerinnen und Schülern nicht einfach beibringt, sondern das aus ihnen selbst herauskommen muss. Außerdem sollen sie soziale Kompetenzen vermitteln, die gerade auf Social Media sehr oft fehlen. Beleidigungen im Internet sind genauso schlimm wie eine Beleidigung direkt ins Gesicht.

Hoelzel Journal | Connected World | Hölzel Verlag

Die Schulbuchreihe „Connected World 1–4“ ist eine Kooperation zwischen SIA, Hölzel Verlag und Bildungsverlag Lemberger.

Bisher werden Lehrende mit MOOCs fortgebildet oder sie können einen 4-semestrigen Hochschullehrgang an der PH besuchen. Ein Lehramtsstudium in Digitale Grundbildung wird noch entwickelt. Wie unterstützen die Bücher „Connected World“ die Lehrenden der Digitalen Grundbildung? Mit Begleitmaterialien oder einem Lehrer/innen-Handbuch?

Es wird nach dem Sommer ein Handbuch erscheinen – mit Lösungsvorschlägen, Kopiervorlagen und Unterrichtsanregungen. Vor allem in der digitalen Version, dem Webschulbuch, wird es für Schüler/innen und Lehrer/innen zusätzliche Materialien zum Download geben, wie Dokumente zum Bearbeiten und Videos, die etwa das Innenleben vom Computer erklären.

Zum Abschluss noch ein kritischer Blick auf Ihre Bücher und den Lehrplan: Was wäre für Sie noch ausbaufähig, um die digitalen Bedürfnisse junger Menschen noch besser zu treffen?

Was komplett fehlt, weil der Lehrplan dafür schon „zu alt“ ist, ist künstliche Intelligenz in der heutigen Form – also: ChatGPT oder KI in der Suchmaschine Bing. Eine wesentliche Kompetenz wäre: Wie gehe ich mit diesen Programmen um und wie bringe ich sie zu dem Ergebnis, das ich haben will.

Ich fände es auch gut, wenn digitale Grundbildung nicht bloß eine, sondern mindestens zwei Stunden pro Woche stattfinden würde. So könnte man mit jedem Thema in die Tiefe gehen, Projekte machen und Dinge ausprobieren. Zum Beispiel: Wie kann ich als Klasse gemeinsam ein Spiel programmieren und die Aufgaben verteilen? Der eine macht die Grafik, die andere die Programmierung, ein anderer den Spielstand.

„Ich fände es gut, wenn digitale Grundbildung nicht bloß eine, sondern mindestens zwei Stunden pro Woche stattfinden würde.“

Jedenfalls stehen im Lehrplan bereits genügend Themen. Es braucht keine neuen, sie müssten nur besser zusammengefasst werden. Ich kann mir vorstellen, dass es schwierig ist, einen roten Faden zu finden, wenn so viele Stakeholder am Lehrplan mitreden, von denen alle etwas anderes möchten. Doch es wäre schön, wenn transparent gemacht werden könnte, wie der Lehrplan entsteht.

 

Hier geht’s zu den Connected-World-Büchern für das Schuljahr 2023/24.

 

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