Schwerpunkt: Orientierung
Teachers for Future: „Die Schule soll Kinder zum Klimaaktivismus bewegen“
Teachers for Future ist eine Bewegung von Lehrenden für eine klimagerechte Zukunft. Karl Marquardt erklärt, wie Schulen ihren ökologischen Fußabdruck verkleinern und warum der „Klimawandel“ aus Schulbüchern verschwinden soll.
Florian Wörgötter - 7. April 2022
Herr Marquardt, Teachers for Future fordert eine Ökologisierung des Schulalltages. Wie konkret können Schulen ihren ökologischen Fußabdruck verkleinern?
Karl Marquardt: Es gibt verschiedenste Stellschrauben, die gedreht werden können. Manche von ihnen können Schulen selbst beeinflussen; manche muss die Politik unterstützen. Wir verstehen uns als Bindeglied zwischen Schulen und Politik.
Was Schulen selber machen können: Sie können Schulprojekte organisieren, wie etwa gemeinsam mit dem Gemeinderat einen autofreien Schulvorplatz. Sie können überlegen, welche Schulreisen wirklich notwendig sind. Dass Zugreisen noch immer viel zu teuer sind, zeigt bereits, dass Schulen diese Wende nicht alleine schaffen können.
Ihr fordert eine/n Klimabeauftragte/n an jeder Schule, die/der auch entlohnt werden soll und Entscheidungsbefugnis haben soll. Welche Aufgaben sollte sie/er übernehmen?
Die Person soll alle klimabezogenen Aktivitäten an der Schule überblicken und fördernde Projekte maßgeblich vorantreiben und koordinieren. Um sie auch durchzusetzen, fänden wir es wichtig, dass er/sie auch eine gewisse Entscheidungskompetenz hat, also nicht komplett weisungsgebunden ist.
Zum Beispiel könnten Klimabeauftragte einen Klimamonat durchführen, eine ökologische Kantinenwoche mit vegetarischem Essen veranstalten oder einleiten, dass Klimabildung in mehreren Unterrichtsgegenständen verankert wird. Dank einem Pilotprojekt mit der Bildungsdirektion Wien zählen wir bereits 20 bis 30 offizielle Klimabeauftragte in Wien.
Stichwort Emissionsreduktion: Ihr fordert, dass bis 2040 alle Schulgebäude klimaneutral sein sollten. Wie soll das gelingen?
Das Österreichische Umweltzeichen wird bisher lediglich an 2 Prozent der Schulen vergeben. Das zeigt, dass noch sehr viel zu tun ist. Dazu gehört natürlich auch die Energiewende. Das betrifft den Tausch von Ölkesseln in alten Schulen, die Isolierung und eine wassersparende Klospülung. Die benötigte Finanzierung muss natürlich vom Bund kommen.
„Das Österreichische Umweltzeichen wird bisher lediglich an 2 Prozent der Schulen vergeben. Das zeigt, dass noch viel zu tun ist.“
Schulen können aber auch selbst etwas beitragen. Die Klimabeauftragten können ein Hofbegrünungsprojekt starten, mit dem der Betonboden am Schulhof aufgebrochen wird, was zum Mikroklima in der Schule beiträgt. Um Wasser zu sparen, könnte man in einem Unterrichtsprojekt gemeinsam analysieren, wo der große Wasserverbrauch liegt.
Ihr wollt auch, dass die Schulverpflegung langfristig gesund und nachhaltig wird. Wie soll das bei den größtenteils privat betriebenen Buffets funktionieren?
Als Privatbetriebe sind sie natürlich an eine Marktlogik gebunden. Darum ist auch klar, dass man um das Thema Subventionierung nicht herumkommt. Es braucht politische Anreize für die Kantinenbetreiber/innen, damit sie auch ökologisch und nachhaltig kochen.
Auch die Radwege sollen weiter ausgebaut werden.
An meiner Schule in Wien haben wir uns im Unterricht angesehen, welche Möglichkeiten unsere Schüler/innen haben, mit dem Fahrrad in die Schule zu kommen. Herausgekommen ist, dass die meisten Schüler/innen sich gar nicht trauen, in die Schule zu radeln, da es zu wenig gut ausgebaute Fahrradwege gibt.
Ihr habt euren Forderungskatalog allen Bildungsdirektionen vorgetragen. Wie war die Resonanz?
Bis dato haben wir mit sechs Bildungsdirektoren und -direktorinnen persönlich gesprochen. Eigentlich begrüßen alle von ihnen die Thematisierung von Klimathemen. Die meisten waren jedoch eher reserviert, einzelne auch sehr motiviert. Zusammenfassend lässt sich aber sagen, es fehlt überall an Ressourcen für tiefgreifende Veränderungen. Nirgendwo in Österreich gibt es einen Gesamtplan für eine ökologische Transformation der Schule.
Mit der Bildungsdirektion Wien ist das Pilotprojekt der Klimabeauftragten entstanden.
Wir stehen noch am Anfang, doch nun haben wir in Wien offiziell die Rolle von Klimabeauftragten. Lehrende können wie Schulqualitätsbeauftragte nun auch Klimabeauftragte werden. Im neuen Dienstrecht kann das vielleicht sogar unter die 23. und 24. Werteinheit fallen, die man ohnehin mit außerunterrichtlichen Tätigkeiten füllen soll. Wer Interesse hat, kann sich bei der Bildungsdirektion Wien oder bei Teachers for Future melden.
Ihr habt euch auch die Darstellung der Klimakrise in Schulbüchern angesehen. Offenbar musstet ihr mehrfach den Rotstift zücken. Warum denn?
Eine Kollegin hat in einem Biologie-Schulbuch eines großen Verlages für die sechste Klasse mehrere Seiten gefunden, auf denen der Klimawandel sehr relativistisch behandelt wurde und die Daten veraltet waren. Das Buch hatte zum Beispiel von „eventuellen Überschwemmungen kleinerer Inseln“ gesprochen und alte Zahlen verwendet. Nicht behandelt wurde die akute Bedrohung der Zivilisation, das Thema „Klimaflucht“ sowie die Kipppunkte des Klimasystems. Es wurde so dargestellt, als wisse man nicht genau, ob es den Klimawandel wirklich gibt.
„Schulbücher sollen Kindern helfen, die Vision einer klimagerechten Welt zu entwickeln – nicht nur in Geografie oder Biologie sondern in allen Schulfächern.“
Nachdem wir vom Verlag keine Antwort bekommen haben, haben wir als Teachers for Future mit medialem Druck den Rotstift angesetzt. Tatsächlich hat der Verlag dann im Rekordtempo alle Seiten komplett überarbeitet. Und wir wissen, dass Schulbuchverlage langsam arbeiten.
Wie müsste die Klimakrise in Unterrichtsmaterialien zeitgemäß erklärt werden?
Das Unterrichtsmaterial von heute muss Schüler/innen auf die wirkliche Welt von morgen vorbereiten. Als Mathematiklehrer kann ich bestätigen, dass sich extrem viele Beispiele in Mathe-Schulbüchern mit Autos, Flugzeugen und Ölraffinerien beschäftigen. Blickt man durch diese Brille, fällt auf, dass diese Dinge in Schulbüchern völlig unkritisch wiedergegeben werden.
Schulbücher sollen den Kindern helfen, die Vision einer klimagerechten Welt zu entwickeln. Und das soll nicht nur in Geografie oder Biologie geschehen, sondern in allen Schulfächern.
Ihr fordert auch, dass Schulbuchreihen nur dann approbiert werden dürfen, wenn sie diese Inhalte abdecken. Dabei geht es euch auch um Begriffe, die den Mainstream noch nicht vollends durchdrungen haben. Warum sollte in einem Schulbuch das Wort „Klimawandel“ durch „Klimakrise“ ersetzt werden?
Weil das Wort „Wandel“ eine eher positive Veränderung suggeriert. Doch der Klimawandel ist eine Krise wie auch die Coronakrise, die Ukraine-Krise und viele weitere Krisen. Und man sagt ja: „Treat the Crisis as a Crisis“. Es soll wirklich allen klar werden, dass der Hut brennt. Und wir wissen ja, dass Sprache das Bewusstsein verändert und erst Bewusstsein zum Handeln führt.
Das Wort „Klimakrise“ erzeugt zweifelsohne mehr Angst und Stress. Laut einer soeben veröffentlichten Studie von Ö3 bezeichnet sich jede/r zweite Jugendliche als Teil der „Generation Dauerkrise“. Wie können wir die Menschen vor Apathie bewahren und die Politik aufwecken, ohne nur die Angst zu stimulieren?
Die Klimakrise hat einen motivationalen Doppelcharakter. Zum einen macht sie uns zurecht Angst. Wenn wir das 1,5-Grad-Ziel nicht erreichen, wird der Mittelmeerraum höchstwahrscheinlich zu Ödland und wir werden Nahrungsmittel-Engpässe haben. Man muss ehrlich sein zu den Menschen.
„Die Klimakrise zu vermeiden bedeutet auch, dass weniger neue Krisen geschaffen werden.“
Zum anderen bietet dieser Doppelcharakter auch eine Chance. Denn eine nachhaltige Gesellschaft aufzubauen, bedeutet keine neue Gefahr für uns, sondern vielleicht sogar ein lebenswerteres Leben als bisher. Aus heutiger Perspektive denken viele zuerst an Verzicht und Einschränkungen. Ich persönlich träume von Städten, in denen ich mit meinem Kind sicher Fahrradfahren kann, auf deren Straßen man gemeinsam Gemüse anbaut und die Luft sauber ist.
Die Klimakrise zu vermeiden bedeutet auch, dass weniger neue Krisen geschaffen werden, weil Krisen sich gegenseitig ankurbeln. Es geht um einen großen Gewinn für alle, um eine nachhaltige und sozial gerechtere Welt und um eine positive Vision.
Ihr fordert auch, die politische Teilhabe an Schulen zu fördern. Welche Rolle spielen Lehrende in der klimapolitischen Bewusstseinsbildung von Jugendlichen: Beschränkt sich ihre Aufgabe darauf, die Kids über die Folgen der Klimakrise zu informieren? Oder sollen sie Schüler/innen auch zum Klimaaktivismus bewegen?
Ich finde schon, dass die Schule die Kinder zum Klimaaktivismus bewegen soll. Aus dem, was wir Kindern über die Klimakrise beibringen müssen, geht klar hervor, dass unsere Gesellschaft und mit ihr die Schule transformiert werden muss. Daher finde ich es komplett logisch, dass Schüler/innen an den Punkt gelangen, an dem sie sagen: „Okay, mit diesem Wissen müssen wir uns für eine klimagerechte Zukunft einsetzen“. Und ich finde, dieser Aktivismus darf und muss sogar mit der Schule verbunden werden.
Beim Aufruf zum klimapolitischen Aktionismus geht es nicht mehr nur um reine Informationsvermittlung, sondern mitunter auch um mögliche Einflussnahme. Welche Rolle sollen Lehrende übernehmen, ohne selbst von Organisationen instrumentalisiert zu werden?
Ich sage, dass Lehrer/innen nicht an eine vermeintliche Neutralität gebunden sind. Daran denken viele Kolleginnen und Kollegen zwar immer, doch eigentlich dürfen und sollen wir mit Schüler/innen politisch diskutieren. Das sagt uns auch der Grundsatz der politischen Bildung, dass wir mit Schülerinnen und Schülern gemeinsam konkrete politische Erfahrungen sammeln sollen.
„Politische Bildung und der Lehrplan fordern geradezu auf, bei Klimastreiks dabei zu sein.“
Aus Sicht von Teachers for Future fordern das Fach Politische Bildung und der Lehrplan geradezu auf, bei Klimastreiks dabei zu sein. Verbindet man die Erfahrungen auf solchen Demonstrationen mit dem Unterricht, ist das ein Riesengewinn für die Schüler/innen.
Ich verstehe die Sorge, dass politische Einflussnahme an Schulen ein sehr sensibles Thema ist. Ich glaube, dass wir auch noch Erfahrungen sammeln müssen, weil bisher hat sich Schule kaum getraut, politisch zu sein. Deswegen gibt es noch keine ultimative Antwort darauf, wo die Grenzen liegen. Klar ist aber: Politische Bildung darf nicht mit dem Zweck missbraucht werden, Schüler/innen von der eigenen politischen Einstellung oder einem Parteiprogramm zu überzeugen. Außerdem muss mit Gegenmeinungen wertschätzend umgegangen werden.
Drei Tipps für eine sofortige Klimakrisenbekämpfung: Wie können Lehrende unmittelbar und ohne Investitionen zu einer klimagerechten Gesellschaft beitragen?
Erstens: Gründet einen Klimaclub an der Schule. Die Klimaclubs von Teachers for Future verstehen sich als Plattform, bei der sich Schüler/innen, Lehrer/innen und Eltern gleichberechtigt treffen und gemeinsam Schulentwicklung machen. Wir empfinden es als extrem wichtig, dass Schüler/innen selbstwirksam werden und angesichts der Krisenhaftigkeit auch das Gefühl haben, etwas bewegen zu können.
Zweitens: Geht mit Schülerinnen und Schülern auf Klimastreiks. Wir halten es für einen Widerspruch, wenn die Schule auf notwendige, aber noch fehlende Veränderungen hinweist, jedoch nichts dagegen unternimmt. Deswegen finden wir, dass Lehrende den natürlichen Impuls der Schüler/innen, etwas für ihre Zukunft zu tun, unterstützen sollen und mit ihnen auf die wissenschaftlich sehr gut abgesicherten Klimastreiks gehen sollen. Denn: Ohne Fridays for Future hätten wir wohl noch immer keine Klimaziele.
„Schüler/innen sollen selbstwirksam werden und angesichts der Krisenhaftigkeit auch das Gefühl haben, etwas bewegen zu können.“
Drittens: Behandelt die Klimakrise im Unterricht. Jeder von uns Lehrenden hat die Freiheit, im Unterricht Schwerpunkte zu setzen. Klimathemen haben mit jedem Lebensbereich zu tun, daher passen sie nicht nur in den Geografie-Unterricht, sondern auch in Mathematik oder in Textiles Werken.
In unserem aktuellen WissenPlus erläutern wir den Zusammenhang zwischen Klimakrise und Kapitalismus. Was ist Ihre Meinung: Kann die Klimakrise ohne ein Ende des Kapitalismus jemals gestoppt werden?
Ich glaube nicht daran. Wir leben auf einem endlichen Planeten mit endlichen Ressourcen. Und Kapitalismus funktioniert nur durch Ausbeutung und unendliches Wachstum. Das ist eigentlich ein Widerspruch. Darüber wird man auch im Unterricht sprechen müssen.
Welches Wirtschaftsmodell sehen Sie als realistisch für eine klimagerechte Zukunft?
Stellen wir uns für einen Moment die Zukunft vor, in der der Kapitalismus durch ein ökologisch und sozial verträgliches Gesellschaftssystem abgelöst worden ist. Es wird dann auch das Konkurrenzprinzip und der Leistungsdruck durch ein gemeinsames und demokratisches Wirtschaften ersetzt. Im Vordergrund stehen dann nicht mehr private Profitinteressen, sondern das Wohlergehen der Menschen innerhalb planetarer Belastungsgrenzen.
Nachbarinnen und Nachbarn, Angestellte und Betroffene entscheiden gemeinsam, was produziert werden soll, und werden diese Entscheidungen besser treffen, als wenn sich Einzelne maßlos bereichern können. Wir produzieren dann für unsere Bedürfnisse, anstatt immer neue Bedürfnisse zu produzieren – und das, ohne Mensch und Natur auszubeuten.
Auch die Schulen werden zu demokratischeren Orten, an denen Selbstwirksamkeit, selbstbestimmtes und nachhaltiges Lernen im Mittelpunkt stehen. Das ist doch eine Zukunft, für die es sich zu kämpfen lohnt.
Hier finden Sie das aktuelle WissenPlus zum Verhältnis zwischen Klimakrise und Kapitalismus.
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