Schwerpunkt: Orientierung

Erwin Mayer: Klimaschutz und Menschenrechte verschmelzen

Klimaschutz ist dem ehem. Greenpeace-Aktivisten Erwin Mayer ein ebenso großes Anliegen wie das gelebte Mitbestimmungsrecht. Diese Bereiche verschmelzen immer mehr. Wie wird Weltpolitik diese Herausforderung lösen?

Karina Seidl-Deubner - 1. Februar 2024

Erwin Mayer ist Bundessprecher und Mitbegründer von „mehr demokratie! – die parteiunabhängige initiative für eine stärkung direkter demokratie“. Mit dem Hölzel Journal spricht er über Klimaschutz und Menschenrechte, Versäumnisse der internationalen Klimapolitik und demokratische Entscheidungsfindungsprozesse.

Hölzel Journal: Die Erde erwärmt sich schier ungebremst. Modelle zeigen bereits, welche Regionen der Welt in der Kürze der nächsten und übernächsten Generation unbewohnbar werden. Am meisten betroffen vom Klimawandel sind gerade jene Weltregionen, die am wenigsten CO2 produzieren. Wie kann man diesen eine stärkere Stimme geben?

Erwin Mayer: Besonders betroffen sind zum Beispiel die AOSIS-Staaten, die kleinen pazifischen Inselstaaten, die schon bei geringem Meeresspiegelanstieg von ein bis zwei Metern von der Landkarte weitgehend verschwinden werden. Sie haben bei der Klimaschutzkonferenz 2015 in Paris erreicht, dass die Erderwärmung auf maximal 1,5°C bis 2100 begrenzt werden soll. Die Industriestaaten, so auch Europa und somit auch Österreich, reduzieren den Treibhausgasausstoß noch nicht im erforderlichen Ausmaß.

Wir alle müssen unter anderem für diese Inselstaaten rascher auf erneuerbare Energien umsteigen.

Sollten diese Inseln trotzdem geflutet werden, muss ihnen zumindest ein Asylrecht aus Klimaschutzgründen gewährt werden. Australien hat sich in beschränktem Ausmaß dazu bereit erklärt. Die UNO-Flüchtlingskommission hat sich bereits dafür ausgesprochen, Europa verweigert diese Zusage noch.

Die Weltklimakonferenz in Dubai im Winter 2023 galt als die größte je dagewesene. Liegt in dieser Gigantomanie nicht schon das Grundübel, dass es immer größer, höher, weiter sein muss, um als bedeutend wahrgenommen zu werden? Wären nicht „Fairness“, „Nachhaltigkeit“ und/oder „demokratische Mitbestimmung“ bedeutendere Kategorien?

Erwin Mayer: Definitiv. Die Größe der Konferenz erklärt sich vor allem aus den unzähligen fossilen Lobbyisten, die ihr fossiles Geschäftsmodell verteidigen wollen und merken, dass es ernst wird. Die politischen Vertreterinnen und Vertreter sind nicht wesentlich mehr geworden. Was fehlt, ist eine seriöse Mitwirkung und Entscheidungsmöglichkeit für die globale Bevölkerung, die durch die gewählten Vertreterinnen und Vertreter und zahlreichen autoritären Regime nicht gut im Bereich des Klimaschutzes vertreten ist. Es gibt zivilgesellschaftliche Versuche, unter anderem durch einen weltweiten und repräsentativen Bürger/innenrat bessere Klimaschutzpolitik in die COPs einzubringen. Die „Parties“, also knapp 200 Nationalstaaten, haben diese Vorschläge aber bisher kaum beachtet. Die Vorschläge der globalen Bürgerinnen und Bürger waren weit fairer und in puncto Klimaschutz ambitionierter als die Ergebnisse der offiziellen Politik.

Auch wenn der Kampf gegen den Klimawandel beziehungsweise dessen negative Folgen ein Erfordernis darstellt, um die Menschenrechte – vor allem Wohnraum, Nahrung und Gesundheit – zu wahren, bewegen sich die Verhandlerinnen und Verhandler auf den COPs erstaunlich wenig. Wie kann man als NGO Einfluss nehmen, um die Entscheidungsträger/innen zu mutigeren Schritten zu bewegen?

Erwin Mayer: NGOs und zivilgesellschaftliche Organisationen versuchen, die öffentliche Meinung zu beeinflussen, und hoffen so, zumindest die gewählte Politik zu mehr Klimaschutz zu bewegen. mehr demokratie! und Democracy International setzen sich auch für mehr direkte Demokratie in Verbindung mit losbasierten Bürger/innenräten ein. Diese Ideen möchte ich auch ins EU-Parlament tragen.

Mit einer auch entscheidungsbefugten Bevölkerung könnte ein ambitionierter und fairer Klimaschutz wahrscheinlich eher umgesetzt werden.

Angesichts der großen Probleme ist derzeit eine Radikalisierung auch in den westlichen Demokratien bemerkbar. In Italien regieren Post-Faschisten, in den USA bewirbt sich Donald Trump, obwohl bereits verurteilt und im Verdacht stehend, den Sturm aufs Kapitol unterstützt zu haben, aussichtsreich um eine weitere Amtszeit als Präsident. Haben wir verlernt, mit demokratischen Rechten umzugehen?

Erwin Mayer: Demokratie, die auf „politische Erlösung“ durch Einzelpersonen setzt, befördert oft machtorientierte Menschen an die Spitze von Staaten, die danach oft Demokratie sukzessive abbauen wollen, Medien gängeln, unabhängige Gerichte abbauen und die Gesellschaft spalten nach dem Motto: divide et impere – spalte und herrsche. Die einfachen Menschen, wie wir alle, schätzen nach wie vor die Demokratie und ziehen sie Diktaturen und starken Männern, die uneingeschränkt herrschen können, vor.

Was aber fehlt, ist eben mehr direkte Demokratie und deliberative Prozesse.

Dann kann die Bevölkerung selbst Verantwortung in Sachentscheidungen übernehmen und die Anfälligkeit für Verführer und politische Erlöser wird deutlich abnehmen.

Der Ruf nach „dem starken Mann“ wird als einfache Lösung komplexer Probleme immer wieder laut. Wie kann man einer breiten Bevölkerung den Mehrwert demokratischer Gestaltung und Mitbestimmung wieder näherbringen?

Erwin Mayer: Die Rufe nach dem starken Mann haben laut Demokratiemonitor 2023 sogar leicht abgenommen, während der Wunsch nach mehr direkter Demokratie und Bürgerbeteiligung unverändert hoch ist und die Mehrheit sogar eine Annäherung an das Schweizer System mit Volksabstimmungen als Volksrechte unterstützt.

Wie könnte in einer idealen Welt ein Entscheidungsfindungsprozess aussehen, in dem man den bestmöglichen Kompromiss findet?

Erwin Mayer: Bürger/innenräte zeigen, dass die einfachen Menschen, die „Normalen“, die Mitte der Gesellschaft sehr wohl bereit sind, aufeinander zuzugehen, Kompromisse zu finden und vernünftige Konzepte zu entwickeln. Und wenn wir wie in der Schweiz vier Abstimmungstage pro Jahr haben, um in der Sache auf Gemeinde-, Landes- und Bundesebene – und in Zukunft auch auf EU-Ebene – zu entscheiden, erleben wir, dass wir mit vielen Freunden und Freundinnen, Familienangehörigen, Arbeitskolleginnen und -kollegen und anderen bei der einen Frage in die gleiche Richtung gehen, bei anderen Fragen in verschiedene Richtungen.

Dieses häufige Erlebnis, dass alle Menschen gleichberechtigt und manchmal Gleichgesinnte sind, manchmal eine andere Meinung haben, führt dazu, dass Lagerbildung und Social-Media-Blasen wieder aufgelöst werden. Die Dominanz einer auf Wettbewerb ausgerichteten Parteienpolitik müsste durchbrochen werden.

 

 

 

Mehr zum Schwerpunkt Orientierung:

Sabine Straka: Über den Kaufvertrag von Verkehrsflugzeugen
Andreas Bärnthaler: Von authentischer Berufssprache im Unterricht
Lehrkraft 2.0: Andreas Ferner mit Schmäh und digitalen Medien
Digitale Grundbildung: Kritisches Denken über Medien und Technik
Wie sich Geografie und Wirtschaft in den neuen Büchern vereinen
Jugend und Fake News: Junge Menschen trauen ihren Quellen kaum
Protestsongs: Mit Musik gegen den Rhythmus der Politik

Diesen Artikel teilen: