Schwerpunkt: Online-Lernen
HAK-Lehrer Helmut Bauer über die Studie „Lernen unter Covid-19“
Die vierte Befragung zeigt, dass Online-Lernen den Schülerinnen und Schülern der Oberstufe schwererfällt als jenen in Pflichtschulen. HAK-Lehrer Helmut Bauer kommentiert die Resultate der Studie „Lernen unter Covid-19“.
Florian Wörgötter - 14. Jänner 2021
Bereits zum vierten Mal haben 13.000 Schüler/innen ihr Wohlbefinden in der Corona-Krise mitgeteilt – diesmal während des zweiten „harten“ Lockdowns. Das Fazit der Studie „Lernen unter Covid-19-Bedingungen“: Die Oberstufenschüler/innen, die bereits seit dem 3. November der Schule fernbleiben müssen, leiden mehr unter dem Distance Learning als die jüngeren Pflichtschüler/innen.
Wir haben dem Lehrer Helmut Bauer von der HAK 1 Salzburg die zentralen Studienergebnisse vorgelegt. Der Rechnungswesenlehrer erklärt, ob sich seine praktischen Erfahrungen mit den Erkenntnissen von Barbara Schober, Marko Lüftenegger und Christiane Spiel von der Universität Wien decken. Sein Fazit: alles nachvollziehbar.
Die Studie sagt: „Fast doppelt so viele Oberstufenschüler/innen wie Pflichtschüler/innen gaben eine Verschlechterung ihrer Lernfreude an.“
Bauers HAK-Schüler/innen meinen, die fehlende Lernmotivation liege weniger an der digitalen Vermittlung des Lernstoffes, sondern mehr am fehlenden sozialen Umfeld, das für Jugendliche so wichtig ist.
„Besonders häufig genannte Gründe für die Unzufriedenheit sind (a) der gestiegene Leistungsdruck …“
Der Leistungsdruck sei insofern gewachsen, weil nach fast jeder Online-Session neue Aufgaben verlangt werden, die auch digital nachzuweisen sind. „Meines Erachtens bekommen die Schüler/innen beim Distance Learning wesentlich mehr Arbeitsaufträge als im normalen Schulalltag“, beobachtet Bauer.
„… (b) die Belastung durch zu viele Stunden vor dem PC und …“
Dass Videokonferenzen sechs Stunden pro Vormittag anstrengend sind, sei mehr als nachvollziehbar. Um Schüler/innen nicht mit Meetings zu überfordern, regelt seine Schule die Aufteilung so: Ein Dreistundenfach besteht aus maximal zwei Stunden Videokonferenz mit Inputphase und einer Stunde mit Arbeitsaufträgen, in der die Schüler/innen selbständig Themen ausarbeiten. Eine Doppelstunde teilt sich in eine Stunde Videokonferenz und eine Stunde Arbeitsphase.
Lässt sich diese Aufteilung in der Lernmotivation der Schüler/innen messen? „Ich glaube, der Lernerfolg hängt sehr stark von der Qualität des Unterrichtsmaterials ab“, sagt Bauer. „Ein Aufgabenblatt mit 10 offenen Fragen fördert das Lernen weniger als ein Aufgabenpaket mit Erklärvideo, animierten Inhalten und verschiedenen Online-Fragestellungen.“ Hier seien hauptsächlich die Verlage gefordert, die verschiedene Aufgabenstellungen mit interaktiven Online-Inhalten liefern müssten.
„… (c) die Ungewissheit, wann sie wieder in die Schule zurückkehren dürfen.“
Wenn der Lockdown verlängert werden würde, steige diese Ungewissheit, die mindestens genauso stark die Lehrenden betrifft. Die Frage sei, ob das Ministerium – ähnlich wie schon bei der Matura – wieder eine Nachsicht bei der Benotung geben wird.
Denn Schüler/innen könnten beim Distance Learning ihre Rechte nicht ausüben: „Sie haben weder die Möglichkeit, intensiv mitzuarbeiten wie im Präsenzunterricht, noch können sie freiwillige Prüfungen ablegen. Umgekehrt werden sie nur aufgrund von abgegebenen Aufgaben und Schularbeiten benotet. Daher ist die Frage, ob die Noten formal und gesetzlich halten würden, wenn man sie beeinspruchen würde“, so Bauer.
„Ältere Schüler/innen berichteten häufiger ein schlechtes Wohlbefinden als jüngere Schüler/innen sowie eine Verschlechterung ihres Wohlbefindens im Vergleich zum ersten Lockdown.“
Bauer denkt, dass ältere Schüler/innen ein gefestigteres Umfeld in der Klasse haben. Sie kennen ihr Umfeld sehr genau und werden nun aus dem Klassenverband gerissen. Die ersten Jahrgänge in der HAK waren im Wintersemester länger im Lockdown als in der Schule, so könne auch kein Klassenverband entstehen. Daher würden sie auch ihre Mitschüler/innen weniger stark vermissen.
„Je erfolgreicher sich Schüler/innen beim Lernen wahrnahmen, je mehr Gestaltungsspielraum sie beim Lernen erlebten und je eher sich der Kontakt mit ihnen wichtigen Personen verbessert hatte, desto eher gaben sie auch Verbesserungen ihres Wohlbefindens an.“
Nach wie vor gebe es große Unterschiede, wie Distance Learning betrieben werde, sagt Bauer. „Viele Lehrende nutzen professionelle Videotools und Online-Übungen. Doch nach wie vor schicken Schulen Arbeitsblätter raus und haben wenig Kontakt zu den Schülerinnen und Schülern. Dort sind Gestaltungsspielraum und Lernerfolg geringer, als wenn im Meeting ein Klassenfeeling entsteht.“ Interessant wäre für ihn zu wissen, wie professionell und mit welchen Tools die unzufriedenen Schüler/innen der Befragung unterrichtet worden sind.
„Die schulischen Aufgaben gelangen den Schüler/innen insgesamt gleich gut oder besser als während des ersten Lockdowns.“
Im März wäre das Online-Lernen noch komplett neu für jede/n Einzelne/n gewesen. Heute sei es zum „relativ normalen“ Alltag geworden, dass mehr Aufgaben im Distance Learning erledigt werden als im Präsenzunterricht. Den Gewöhnungseffekt merkt Bauer auch daran, dass beim Start einer Videosession innerhalb von zwei Minuten alle Schüler/innen im virtuellen Klassenraum anwesend sind.
Bauer spricht auch bei den Lehrenden seiner Schule von einer „unglaublichen Entwicklung“: Im ersten Lockdown habe nur jede/r Vierte mit Videotools unterrichtet; der Rest hätte lediglich Aufgabenstellungen online gestellt. Jetzt arbeiten alle nur noch über Videotools und unterrichten ausschließlich über Microsoft Teams. „Die Einstellung der Lehrkräfte hat sich durch den Lockdown so verändert, dass sich alle die digitalen Tools angeeignet haben. „Für eine solche Entwicklung hätten wir sonst zwei bis drei Jahre gebraucht. So haben wir es in einem halben Jahr geschafft“, sagt Bauer.
„80 % verwenden maximal zwei Lernplattformen – weniger als im ersten Lockdown.“
Der Hauptkritikpunkt im ersten Lockdown sei gewesen, dass zu viele verschiedene Plattformen die Schüler/innen und ihre Eltern verwirrt hätten. Daher hat das Bildungsministerium dringlich empfohlen, den Unterricht auf eine Lernplattform zu reduzieren. Bauers Schule verwendet grundsätzlich Microsoft Teams und als Backup LMS zur Bereitstellung von Aufgaben, falls Probleme auftreten. Heute sind das erheblich weniger als im ersten Lockdown.
„Die Mehrheit der Schüler/innen hält die COVID-19 Hygienemaßnahmen für wichtig und hält sich auch daran.“
Innerhalb des Schulgebäudes kann Bauer eine hohe Disziplin bestätigen. Außerhalb der Schule, etwa an der Bushaltestelle, sei seine persönliche Wahrnehmung, dass sich die Disziplin des Sicherheitsabstandes und Maskentragens etwas lockert.
„Mit Blick auf die kommenden Wochen machen sich insbesondere die Oberstufenschüler/innen am meisten Gedanken hinsichtlich Überforderung; sie berichten über Sorgen und Ängste, den schulischen Anforderungen nicht zu entsprechen.“
Bauer kann die Ängste um die Notenvergabe bestätigen. Obwohl die Notengebung durch die Online-Punktevergabe sogar transparenter sei als vorher, fehle der persönliche Kontakt zum Lehrenden und notwendige Vier-Augen-Gespräche.
Sein Fazit zu diesem zweiten Ausnahmesemester aus Lehrersicht?
Bauer im Wortlaut: „Wir haben ein Qualitätsniveau des Online-Unterrichts erreicht, das vor einem halben Jahr noch unvorstellbar gewesen wäre. Die Abläufe funktionieren wie selbstverständlich. Aber im Vergleich zum Präsenzunterricht vermitteln wir wohl nur zwei Drittel des Lehrstoffes.“
„Wir müssen uns der Situation stellen und das Beste herausholen. Ich habe noch nie so viele engagierte Lehrkräfte gesehen. Viele haben zwanzig Jahre das Gleiche gemacht. Und jetzt stehen sie vor großen Herausforderungen, da will sich kaum jemand die Blöße geben. Das ist höchst erfreulich. Umgekehrt sagen Kollegen und Kolleginnen gerade im Sprachenunterricht, wie unglaublich hoch der Aufwand bei 30 Leuten in der Klasse ist, wenn die Lösungen nicht standardisiert sind und Schüler/innen individuelles Feedback erwarten.“
„Ich wäre für den Schichtbetrieb mit tageweisen Wechseln der halben Klasse. So könnte man die Klassensituation stark auflockern. Ich würde FFP2-Masken in Kauf nehmen, wenn es einen Präsenzunterricht gäbe.“
Randnotiz: Dass Online-Unterricht auch Lehrenden eine neue räumliche Flexibilität ermöglicht, erwähnt Bauer mit einem Lächeln am Ende des Gesprächs, als er von einem Krankenhausaufenthalt erzählt: „Ich habe sogar einmal mit dem Laptop vom Krankenzimmer aus unterrichtet, weil mir während des Besuchsverbotes so langweilig war. Die Ärzte haben geschaut, aber es hat tadellos funktioniert.“
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