Schwerpunkt: Orientierung

Karel Kriz: Die Digitalisierung ist für Kartographen genial

Karel Kriz forscht und unterrichtet in den Bereichen Kartographie und Geoinformation an der Universität Wien. Im Interview spricht er über Karten im Kopf, politische Einflussnahme in der Kartographie und das virtuelle Wachstum der Fläche Österreichs.

Ulrike Potmesil - 14. März 2024

Ass.-Prof. Mag. Dr. Karel Kriz forscht und unterrichtet in den Bereichen Kartographie und Geoinformation am Institut für Geographie und Regionalforschung der Universität Wien. Im Interview spricht er über Karten im Kopf, politische Einflussnahme in der Kartographie und das virtuelle Wachstum der Fläche Österreichs.
Hölzel Journal: Kartographie und Globenarbeit – da denken Schülerinnen und Schüler wohl an verstaubte Atlanten und rollen die Augen. Wer braucht das noch in Zeiten von Google Maps?

Karel Kriz: Raum ist ein prägender Faktor in der Gesellschaft. Das betrifft uns alle. Daher ist Kartenlesekompetenz enorm wichtig, denn sie ist Voraussetzung dafür, mithilfe der Informationen richtig zu handeln. Egal, ob es sich um eine Straßenkarte, einen Stadtplan oder eine thematische Karte handelt.

Warum ist die Fähigkeit, Karten lesen zu können, für den Alltag wichtig? Es gibt doch den Routenplaner.

Karel Kriz: Dazu muss man wissen, dass sich Kartographie in drei Bereiche gliedert. Der erste ist die Datenaufnahme im Feld. Die gewonnenen Daten werden im zweiten Schritt in ein Modell umgewandelt. Das kann z. B. eine Straßenkarte sein, die Darstellung der Bevölkerungsverteilung in einem bestimmten Raum oder eine Wanderkarte. Der dritte Bereich schließlich ist die Auseinandersetzung des Nutzers mit der Karte. Dazu muss er sie lesen und interpretieren können. Erst danach kann er seine Handlung setzen und Erkenntnisse daraus ableiten.

Ein Problem, das ich beobachte, ist: Wir lernen in der Schule nicht die Zeichensprache. Eigentlich kommen wir bei der Führerscheinprüfung zum ersten Mal damit in Berührung, dabei wäre diese Grundkompetenz notwendig, um korrekte Erkenntnisse aus Kartenmaterial zu ziehen.

Ein Problem, das ich beobachte, ist: Wir lernen in der Schule nicht die Zeichensprache.

Welchen Vorteil haben analoge gegenüber digitalen Karten?

Karel Kriz: Analog, digital – da gibt es für mich keinen Unterschied. Das sind nur Trägermedien, früher hat man eben auf Stein geritzt oder im Sand gezeichnet. Wichtig ist, was kommuniziert wird, nicht worauf. Ich bin ein Verfechter von analogen Atlanten, zugleich aber erkenne ich Apps wie Google Maps als geniale Technologie an.

Entscheidend ist, für den jeweiligen Gebrauch das passende Werkzeug zu finden.

Wenn ich das nächste Café suche, werde ich keinen Atlas hervorholen. Umgekehrt wissen wir alle aus Erfahrung, dass das Autofahren mit Routenplaner dazu führt, die Umgebung nur selektiv wahrzunehmen. Es fehlt die “Mental Map”, die Karte im Kopf, für die mehr Sensoren benötigt werden, als nur der Stimme des Routenplaners zu folgen.

Wie hat sich Ihre Arbeit mit der Digitalisierung verändert?

Karel Kriz: Die Digitalisierung ist für uns Kartographen genial. Sie gibt dem Zeitfaktor eine völlig neue Dimension, weil die Stunden, die wir früher mit Zeichnen verbracht haben, wegfallen. Somit kann ich mich vielfältigen wissenschaftlichen Themen intensiver widmen.

Die Digitalisierung ist für uns Kartographen genial.

Karten waren ja in früheren Zeiten politisch beeinflusst, sie dienten beispielweise zur Untermauerung des christlichen Weltbildes. Kann man aus altem Kartenmaterial auch gesellschaftspolitische Veränderungen herauslesen?

Karel Kriz: Das betrifft nicht nur die Vergangenheit, politische Einflussnahme ist heute auch noch der Fall. So werden beispielsweise im Nahen Osten Länder auf arabischen Karten anders als in israelischen Karten eingezeichnet. Oder sehen wir uns die Halbinsel Krim an, die aus russischer und ukrainischer Sicht unterschiedlich dargestellt wird. Zudem ist ja jede Karte bis zu einem gewissen Grad der subjektiven Entscheidung des Kartographen geschuldet. Provokant kann man sagen: “Wir manipulieren.”

Uns stehen Unmengen an Datenmaterial zur Verfügung, das natürlich nicht vollständig auf jeder Karte abgebildet werden kann. Der Kartograph bzw. der Auftraggeber entscheidet, was in die Karte aufgenommen wird und zu welchem Zweck sowie in welcher Form sie präsentiert wird.

Welche Aufgaben haben Kartographen heute? Es ist doch schon alles bekannt und die Topographie der Erde ändert sich kaum.

Karel Kriz: Kartographie ist ja nicht einfach die Vermessung der Erde, es handelt sich um eine raumzeitliche Erfassung, die zusätzlich mit einem Thema kommuniziert werden muss. Wir haben vier Dimensionen: Länge, Breite, Höhe und Zeit, die in ihrer Kombination mit einem Thema vielfältige Ausprägungen annehmen können.

Kartographie ist ja nicht einfach die Vermessung der Erde, es handelt sich um eine raumzeitliche Erfassung.

Aus welcher Zeit stammt die älteste bekannte Karte der Menschheit?

Karel Kriz: Das ist nicht eindeutig zu beantworten, aber mein Narrativ ist eine 8.000 Jahre alte Wandmalerei in Zentralanatolien.

Die Menschen stellten ja damals wie heute ihren Lebensraum mit dem gesamten vorhandenen Wissen, das ihnen zu Verfügung stand, dar. Warum existierten heute, wo man doch alles über die Topographie unserer Erde weiß, unterschiedliche Darstellungen. Heißt: Warum ist beispielsweise Grönland manches Mal riesig dargestellt und dann wieder nicht?

Karel Kriz: Wenn wir ein dreidimensionales Gebilde – wie unsere Erde – zweidimensional darstellen, müssen wir Verzerrungen in Kauf nehmen. Schälen Sie mal eine Orange und versuchen Sie, die Schale flachzudrücken. Bei Google Maps sieht man das sehr schön, da wurde eine winkeltreue Darstellung verwendet, weshalb Grönland beinahe so groß wie Afrika aussieht.

Die Erde ist keine Kugel.

Übrigens muss ich darauf hinweisen, dass die Erde keine Kugel ist. Sie ist ein Geoid oder anders gesagt eine Kartoffel, die nicht gleichmäßig geformt und daher auch mathematisch nicht formalisierbar ist.

Die Vorstellung, auf einer Kartoffel zu leben, erheitert sicher auch Teenager. Wie kann man bei Schülerinnen und Schülern auf spielerische Art und Weise Interesse an Karten wecken?

Karel Kriz: Etwa mit analoger Karte plus Smartphone hinausgehen und beides anwenden und zugleich herausfinden, welche Karte ich für welchen Zweck einsetzen möchte. In der digitalen Welt kann man auch vieles spielerisch ausprobieren. Zum Beispiel auf einer zweidimensionalen Karte Österreich in Richtung Norden verschieben und dabei zusehen, wie es aufgrund der Verzerrung riesige Dimensionen annimmt. Der technische Fortschritt wird weiterhin für die Kartographie neue Möglichkeiten bringen, es bleibt also spannend.

 

 

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