Schwerpunkt: Orientierung
Bernhard Heinzlmaier: „Die Generation Z sucht nach Sicherheit“
Das Institut für Jugendkulturforschung analysiert seit über 20 Jahren die österreichische Jugend. Bernhard Heinzlmaier erklärt, wie sich die Generation Z seit damals verändert hat und wie man sie wissenschaftlich verstehen lernt.
Florian Wörgötter - 19. Mai 2022
Herr Heinzlmaier, wie definieren Sie als Jugendforscher die Generation Z?
Diese Generation Z gibt es in Wirklichkeit nicht. Begriffe wie die Generation Z und Y kommen aus dem kommerziellen Marketing und haben mit Wissenschaft nichts zu tun. Kein/e vernünftige/r Wissenschafter/in wird mit solchen Begriffen operieren. Aber auch wir sind gezwungen, sie zu verwenden, weil sie überall in den Medien aufscheinen.
„Es gibt keine homogene Generation Z. Diese ist in sich geschichtet, komplex ausdifferenziert und besteht aus vielen Teilgruppen.“
Heute sagt man, die Generation Z umfasst die zwischen 1995 und 2010 Geborenen. Für manche beginnt sie schon 1993. Doch es gibt keine homogene Generation Z. Diese ist in sich geschichtet, komplex ausdifferenziert und besteht aus vielen Teilgruppen. Wir müssen unterscheiden zwischen einer Klassenspaltung von Privilegierten und Unterprivilegierten, zwischen Männern und Frauen, die am Land oder in der Stadt leben etc. Wirft man einen scharfen Blick auf die Generation Z, löst sie sich in ihre Bestandteile auf.
Mit welchen Methoden kann die Forschung eine gesamte Generation typisieren?
Man kann man versuchen, Typologien zu finden. Nach Max Weber versucht man Idealtypen zu finden, die so lange von allen Randerscheinungen bereinigt werden, bis nur mehr das Wesentliche eines Typus übrig bleibt. Wobei ein Typus nicht mehr als ein Modell ist, das uns zur Orientierung in einer komplexen Realität dienen soll. Diese Typen existieren in der Wirklichkeit also nicht.
Nach welchen Kriterien müsste man die Jugend differenzieren, um repräsentative Aussagen zu ihrer Vielfalt machen zu können?
Als ein traditioneller Soziologe ist mir die Sozialstruktur wichtig. Die soziale Lage steht im Zentrum des Lebens und differenziert die Generation Z. Daher teilen wir die Gesellschaft immer in drei Drittel ein – die priviligierte, bourgeoise Oberschicht, die Mittelschicht und das untere Gesellschaftsdrittel des Proletariats. Sie prägen aufgrund ihrer sozialen Lage spezifische Verhaltensweisen aus.
Heute sehen wir: Das unterste Gesellschaftsdrittel wird immer mehr entkoppelt, Aufstiege in die Mitte sind reiner Zufall oder Glück. Das mittlere Gesellschaftsdrittel ist vom Abstieg bedroht und das obere Gesellschaftsdrittel schließt sich ab und versucht, seine Sozialisationsvorteile und materiellen Privilegien zu verteidigen.
Das Institut für Jugendkulturforschung analysiert seit über zwei Jahrzehnten die österreichische Jugend. Wie unterscheidet sich die heutige Generation Z von der Jugend von vor 20 Jahren?
Wenn man die Jugend von vor 20 Jahren mit der heutigen vergleicht, werden in der öffentlichen Diskussion immer nur die Privilegierten miteinander verglichen. Die Unauffälligen, die unteren 50 Prozent der Gesellschaft, kommen nicht ins Bild. Der wichtigste Unterschied ist: Dass die Oberschichten vor 20 Jahren noch optimistisch waren, abenteuerorientiert und Herausforderungen gesucht haben. Sie waren auf die Globalisierung ausgerichtet, haben eine Unternehmer/innen-Existenz angestrebt und Entrepreneurship galt als total wichtig.
„Die Generation Z ist eine eher desillusionierte Generation, eine Krisen-Generation, der es primär um Sicherheit geht und die nicht idealistisch agiert, sondern sehr rational.“
Die heutige Generation Z ist eine eher desillusionierte Generation, eine Krisen-Generation, der es primär um Sicherheit geht und die nicht idealistisch agiert, sondern sehr rational. Sie versucht sich in dieser Welt, in der das Erwachsenwerden immer schwieriger wird, zu etablieren und das für sie Mögliche herauszuholen. Sie besteht aus Markt-Existenzen, die versuchen, einen guten Deal zu machen, also mit möglichst geringem Investment relativ große Erträge zu bekommen, und dabei recht cool und abgeklärt bleiben.
Welche Erwartungen hat Generation Z an die Berufswelt?
Wir leben in einer arbeitszentrierten Gesellschaft, aber der privilegierte Teil der Generation Z möchte nicht sein ganzes Leben in den Dienst der Arbeit stellen, sondern strebt nach einem ausgewogenen Verhältnis zwischen Beruf und Freizeit. Sie suchen mehr Selbstverwirklichung in der Familie und in den Gemeinschaftsstrukturen außerhalb der Arbeitswelt. Mit den Worten von Hannah Arendt: Sie möchten nicht mehr nur herstellende Menschen sein sondern gestaltende Menschen.
Welche Lebensziele bestimmen ihre Zukunft?
Sie sind Familienmenschen im Sinne eines Neo-Biedermeiers. Das Lebensziel ist eine unaufgeregte, sichere Existenz gemeinsam mit Menschen zu führen, denen man vertrauen kann und sich anverwandt fühlt. Das Ideal ist nicht mehr das Große, die Nation, Europa, die globale Welt, sondern die kleine Gemeinschaft, in der man nicht abstrakt, sondern konkret kommuniziert – ob in Großstädten oder am Land.
Wie lässt sich ihr Verhältnis zur politischen Teilhabe zusammenfassen?
Sie hat ein alternatives Verständnis von Politik. Wir haben noch keine Generation erlebt, die Parteipolitik dermaßen abgelehnt hat. Wir veröffentlichen demnächst eine Studie, in der sogar der Bundespräsident bei den unter 30-Jährigen eine negative Vertrauensbilanz verbucht. Ansonsten hat dieser als Ersatzkaiser gegolten, der sich allen verständnisvoll allen zuwendet und auf dessen Schoß die Kinder sitzen wollen.
Die traditionelle Parteipolitik ist komplett desavouiert. Das Politikverständnis der jungen Menschen beschränkt sich darauf, in der Gemeinde oder in der Region aktiv zu sein. Aber die große Politik ist für sie nur mehr eine unwahre Inszenierung. Ein Lügengeflecht, das durch die Medien über die Menschen ausgebreitet wird und mit dem sie eigentlich nix zu tun haben wollen.
Die Politikverdrossenheit wird der Jugend schon seit Jahrzehnten zugeschrieben. Was ist passiert, dass sie jetzt am größten ist?
Erstens sehen junge Menschen keinen konkreten Nutzen für sich. Zweitens fühlen sie sich von der Politik manipuliert. Das heißt, es fehlt das Vertrauen. Die Politik hat sich aber selbst ins Abseits gesetzt, weil sie zu sehr auf PR-Berater/innen hört und alles nur mehr auf der Ebene der Kommunikation behandelt und reflektiert. Daher glauben die Menschen ihr nichts mehr.
Außerdem macht die Transparenz alles sichtbar, was Politiker/innen tun. Wenn die Leute gewusst hätten, wie ein Leopold Figl oder ein Julius Raab sich in ihrer Freizeit ihren Räuschen hingegeben hätten, wären auch diese Herren nicht zu Idealfiguren geworden.
Die Untersuchungsausschüsse sind in Wirklichkeit Selbstvernichtungsmaschinen für die Politik. Dort werden Dinge transparent gemacht, die eigentlich in der Öffentlichkeit nichts verloren hätten. Der Terror der Intimitäten wird ausgebreitet, doch das Intime ist immer ekelhaft. Und wenn man den Menschen täglich präsentiert, was hinter dem Vorhang passiert, dann sind sie angeekelt und wenden sich ab. Das sehen wir in unseren Daten sehr deutlich.
In den 1990er-Jahren ließ sich die Jugend in ihrem Freizeitverhalten noch recht einfach in Szenen einteilen. Mit der Breitenwirksamkeit von digitalen Medien und einer globalisierten, medial vermittelten Kultur hat sich ihr Szeneverhalten zersplittert. Welche Szenen sind heute in Österreich relevant unter den Jugendlichen?
Die Wichtigste ist die toxische Social-Media-Szene, in der man gemeinsam einfältige Bildchen anstarrt und sich von Influencern einen Lippenstift einreden lässt. Die Fußballszene ist recht wichtig, ebenso die vorwiegend männlich dominierte Gaming-Szene. Beliebt ist auch eine stark körperbezogene Fitnessszene, in der es nicht um Gesundheit geht, sondern primär um das Körperbild und seine Ästhetisierung.
Warum definieren Sie Social Media als Szene? Hierbei handelt es sich um keine physische Erfahrung mit anderen Gleichgesinnten.
In unserer Forschung ist es wichtig, dass nicht wir die Szenen definieren, sondern dass wir anerkennen, was Jugendliche selbst als Szene verstehen. Junge Menschen sagen: „Instagram und TikTok sind mir wichtig. Das ist meine Gemeinschaft und der gehöre ich an. Ich definiere mich über Social-Media-Kommunikation.“
Bilder posten, Blogs reinstellen oder Stories verfassen – die immaterielle Inszenierung ist ihr Leben. Das Wichtige in dieser Szene ist die unbedingte Distanz zum Realen, also die Verweigerung des direkten Kontakts mit anderen Menschen und das Ersetzen der direkten Kommunikation durch Begegnungen im virtuellen Raum.
Und das ist eigentlich ganz typisch für unsere Zeit – wer sich nur mehr im Raum der sozialen Medien bewegt, entflieht den Zumutungen des Realen und kann sich nicht mit Corona anstecken. Das ist eine neue Form der unterhaltsamen Weltabgewandtheit.
Welche der von Ihnen als „Covid-Trends“ bezeichneten werden unter jungen Menschen bleiben? Welche werden abflachen?
Der gewichtigste Covid-Trend laut unseren Daten lautet: Während der Staat vorher als harmloser Träger von sozialer Verantwortung gesehen wurde, wird er jetzt als Gewaltinstitution gesehen. Man merkt plötzlich die Herrschaftlichkeit eines durchgreifenden Staates, wenn er Unmengen an Daten sammelt, die Polizei Jugendliche in Parkanlagen aufgreift oder daheim kontrolliert, ob man auch die Quarantäne-Vorschriften einhält. Vor allem die jungen Menschen der gesellschaftlichen Mittel- und Unterschichten haben eine Staatsabneigung entwickelt, teilweise Staatsangst und versuchen, diesem Staat zu entgehen.
„Das „Cocooning“ stellt sich jetzt als nachhaltiger heraus, als man geglaubt hat, und fällt dem ganzen Kommerz schwer auf den Schädel.“
Außerdem hat man unterschätzt, dass sich ein gesellschaftsdistanzierendes Verhalten stabilisiert hat. Auch junge Menschen versuchen, ihr Leben zu Hause zu gestalten. Der Event ist das Zuhausesein, man bestellt Essen oder kocht selber. Das sogenannte „Cocooning“ stellt sich jetzt als nachhaltiger heraus, als man geglaubt hat, und fällt dem ganzen Kommerz schwer auf den Schädel. Events und Gastronomie leiden, weil das Leben zuhause habitualisiert worden ist.
Welche qualitativen und quantitativen Methoden wenden Sie bei Studien zur Generation Z an?
In der Regel arbeiten wir qualitativ mit einer Gruppendiskussion unter Jugendlichen. Sie ergründet die wichtigsten Warum-Fragen und Handlungsmotive: Warum bin ich begeistert von TikTok? Warum habe ich Angst vor dem Klimawandel? Und was habe ich in meinem Leben geändert, um etwas gegen den Klimawandel zu tun? Das funktioniert auch in Einzelgesprächen oder fokussierten Einzelinterviews.
Anhand quantitativer Methoden zählen wir große Stichproben. Es geht um die Menge: Wie viele Leute sorgen sich ums Klima? Wie viele kennen die Umweltschutzorganisation Extinction Rebellion? Wie viele sind mit ihren Methoden einverstanden?
Wichtig ist, qualitative mit quantitativen Methoden zu kombinieren. Heute werden oftmals große Online-Stichproben gewälzt, deren Daten meist nicht aussagekräftig sind, weil eine qualitative Begleitforschung fehlt.
Sie sagten, dass Jugendforschung hauptsächlich unter Eliten stattfindet. Wie gelingt es euch, repräsentative Aussagen über das „Drittel der Unterprivilegierten“ zu machen?
Indem man sich dieser aufwendigen Arbeit stellt, denn es ist sehr schwer, aus dem unteren Gesellschaftsdrittel Leute für Befragungen zu rekrutieren oder sie in Fokusgruppen zu interviewen, weil sie weniger eloquent sind.
Wir haben eine Datenbank mit Teilnehmerinnen und Teilnehmern, die ständig erneuert wird. Dafür schicken wir unsere Leute ins sprichwörtliche Feld. Sie sprechen Jugendliche vor Schulen an und laden sie zur Teilnahme ein. Diese holen die Zustimmung der Eltern und melden sich wieder. Genauso schwierig ist es in Österreich, in der Altersgruppe der 11- bis 14-Jährigen eine Studie durchzuführen.
Was ist die Herausforderung bei Studien unter 11- bis 14-Jährigen?
Der Aufwand ist hoch und daher teuer, weil man auch hier die Zustimmung der Eltern braucht und die Kinder nicht einfach auf der Straße rekrutieren kann. Ein beliebter, in der Sozialforschung weit verbreiteter Betrug ist, stellvertretend die Eltern zu interviewen, wie ihre Kinder denken. Ein Irrsinn.
Heute bezahlt man für eine Stichprobe von tausend Menschen in Deutschland und Österreich lediglich 3.000 Euro. Dafür sind die Daten größtenteils schief und unsinnig. Zudem ist in einer Online-Stichprobe das untere Gesellschaftsdrittel unterrepräsentiert, weil es das Internet anders nutzt und sich weniger häufig an Umfragen beteiligt.
Wer bezahlt denn Ihre Studien?
Wenn wir Glück haben, beauftragen uns Kunden. Oftmals machen wir Studien und verkaufen sie im Nachhinein – was manchmal gut, manchmal schlecht funktioniert. Man trägt eben das unternehmerische Risiko.
In den knapp 25 Jahren unserer Existenz hatten wir diverse Kunden: Coca-Cola, McDonalds, ÖBB, Rauch, Pez und Bauunternehmen. Wir leben von den kommerziellen Kunden, die in unsere Arbeit vertrauen. Politische Forschung machen wir keine mehr. Und für die Forschung aus den Strukturen des Staates muss man gefällig sein und sich der Macht unterwerfen.
Welchen Tipp würden Sie Lehrenden geben, damit diese ihre Schüler/innen besser verstehen?
Sie sollen sich nicht vom heute üblichen gesellschaftlichen Alarmismus anstecken lassen und ihren eigenen Erfahrungen trauen. Als Forscher kann ich Lehrende über allgemeine Medientrends informieren und sagen: Wenn du 12-Jährige unterrichtest, dann liegt der Anteil der TikTok-Nutzung bei 44 Prozent; also achte darauf.
„Nimm das, was du täglich mit deinen Kindern erlebst, als Grundlage für dein Handeln, und nicht das, was die Meinungsforschung erzählt.“
Ich kann ihnen jedoch nichts über ihren Arbeits- und Erfahrungsraum sagen. Außer: Misstraue den allgemeinen Trends, die überall gepredigt werden. Nimm das, was du täglich mit deinen Kindern erlebst, als Grundlage für dein Handeln, und nicht das, was die Meinungsforschung erzählt.
Wenn Sie die Generation Z selbst sprechen hören wollen, dann empfehlen wir Ihnen unseren Text über die Z-Talks der Österreichischen Jugendinfos.
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