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Fritz Plasser über die Ära Trump: „Durch die Bank ein Regelverstoß“
Der Politikwissenschafter Fritz Plasser hat schon acht US-Präsidenten analysiert. Im Interview resümiert er die „problematischste“ US-Präsidentschaft von Donald Trump – dessen Bildungspolitik, Twitter-Diplomatie und größten Fehler.
Florian Wörgötter - 21. Jänner 2021
Wenn Fritz Plasser auf seinen ersten US-Aufenthalt im Jahr 1970 zurückblickt, erinnert er sich an den musikalischen Freiheitsdrang von Miles Davis beim Konzert im Central Park; an achtwöchige Reisen im Greyhound-Bus mit einem Tagesbudget von 5,5 Dollar; an die Institutionen der Demokratie seiner Lieblingsstadt Washington, die ihm so ans Herz gewachsen sind. Jedes seiner Worte erfüllt den amerikanischen Traum, der die Welt einst in ihren Bann gezogen hat.
Dieser Traum wurde in den letzten vier Jahren von der 45. Präsidentschaft unter Donald Trump beschädigt. Fritz Plasser deutet den „Amercian Dream“ seit den frühen 1970ern als Politikwissenschafter, ORF-Wahlbeobachter und Amerika-Liebhaber. Im Interview zieht der Politikexperte im Ruhestand ein Resümee über vier Jahre Trumpismus, dessen größten politischen Fehler und die Auswirkungen seiner Politik auf die USA, die EU und Österreich.
Was jetzt: Professor Fritz Plasser, Sie beobachten seit 1972 die US-Wahlen, ihre Ergebnisse und Auswirkungen. Wie bewerten Sie die Amtszeit von Donald Trump?
Fritz Plasser: Beurteilt man sein präsidentielles Handeln, Auftreten und die Kommunikation, dann war die Amtszeit von Trump durch die Bank ein absoluter Regelverstoß. Von Beginn an hat Trump mit dem gebrochen, was wir mit einer „Presidential Culture“ assoziieren – Umgangsformen, Verantwortung und einem Mindestmaß an Stil, den seine Vorgänger unterschiedlich, aber kontinuierlich wahrgenommen haben. In den USA spricht man von einer disruptiven Präsidentschaft ohne erwartbare Koninuitäten.
„Von Beginn an hat Trump mit dem gebrochen, was wir mit einer „Presidential Culture“ assoziieren – Umgangsformen, Verantwortung und einem Mindestmaß an Stil.“
Beispiellos geht die 45. Präsidentschaft nun auch unter schwersten Sicherheitsvorkehrungen zu Ende.
Sein Abgang aus dem Amt ist beschämend und am ehesten vergleichbar mit dem Rücktritt von Richard Nixon nach dem Watergate-Skandal im Jahr 1974. Trotzdem zeigte die Präsidentschaft von Richard Nixon im Vergleich zu Trump mehr Nähe zur Kontinuität.
Vor vier Jahren ist Trump angetreten mit dem Slogan „Make America Great Again“. Wie großartig ist das einstige „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“ heute?
Seine Wirtschaftspolitik wurde von vielen kritisiert, dennoch konnte Trump Wachstumsimpulse für die amerikanische Wirtschaft setzen. Das belegen auch Zahlen im Vergleich zur Produktivität in Europa. In erster Linie ist das gelungen durch großflächige, in dieser Dimension beispiellose Steuersenkungen, die nicht nur die oberen 200.000 Einkommensbezieher/innen betroffen haben, sondern auch den Konsum der Mittelschicht fördern konnten. Die Schattenseite aber ist, dass diese Steuersenkungsprogramme die unteren Einkommmensbezieher/innen nicht deutlich entlastet haben. In Summe ist die wirtschaftspolitische Bilanz also gemischt.
Kaum bzw. eher kontraproduktive Maßnahmen wurden im sozialpolitischen Bereich gesetzt. Obamas Versuch, jenen 30 Millionen Amerikanerinnen und Amerikanern ohne Krankenversicherung einen Versicherungsschutz zu bieten („Obamacare“), wurde sogar zurückgebaut, de facto blockiert. Auch andere bundesstaatliche Sozialprogramme wurden massiv gekürzt.
Was hat Trump für die Schulbildung gemacht bzw. verabsäumt?
Trump hat durch seine Kürzungen von Förder-, Qualifizierungs- und Stipendienprogrammen enormen Schaden angerichtet. Vor allem die Defizite an öffentlichen Schulen sind extrem gewachsen. Ihnen wurden die Mittel gekürzt, die Lehrkräfte reduziert, kein zusätzlicher Förderunterricht finanziert. Das heißt, Schüler/innen aus sehr einkommensschwachen Haushalten sitzen in großen Klassen, die kaum mehr funktionsfähig sind. Diese Schulkrise betrifft aber vor allem Südstaaten wie Alabama, Mississippi, Arkansas oder Texas.
Während Hillary Clinton bei der letzten Präsidentschaftswahl noch als zentrales Anliegen versprochen hat, dass sie kein Kind zurücklassen werde, hat man von Trump kein Wort davon gehört. Bei ihm entsteht der Eindruck einer völligen Insensibilität, ja vielleicht sogar auch Unwissenheit, wo die tatsächlichen sozialen, bildungspolitischen Brennpunkte und Krisenherde sind, denen man dringend gegensteuern muss.
Welche Auswirkungen werden diese Defizite im Schulbereich haben?
Sie erzeugen Zukunftsprobleme in den nächsten zehn oder 15 Jahren, weil Personen, um die sich keiner gekümmert hat, mit teils katastrophalen Kenntnissen die High School absolvieren. Sie landen auf einem Arbeitsmarkt, der zunehmend Qualifikationen verlangt, die sie nicht erbringen können. Wenn es darum geht, eine qualifizierte, chancengerechte Schulbildung zu fördern, hat Trump in einem Ausmaß versagt wie kein anderer US-Präsident.
„Bei der Förderung einer qualifizierten, chancengerechten Schulbildung hat Trump versagt wie kein anderer US-Präsident.“
Was würden Sie als Trumps größten innenpolitischen Fehler bezeichnen?
Dass Trump auf polarisierende Mobilisierung gesetzt hat, anstatt ein weiteres Auseinanderbrechen der Gesellschaft durch Integration zu verhindern. Er hat Bruchlinien bewusst verstärkt, sie polarisiert und damit mobilisiert. In der Endphase seiner Präsidentschaft hat er nun de facto alle Grenzen überschritten, sogar jene des Gesetzes. Das Amtsenthebungsverfahren („Impeachment“) und seine Anklage zur Anstiftung zum Aufruhr trifft den Kern der Dinge. Was Trump vor zwei Wochen getan hat, ist nicht nur unentschuldbar, sondern sollte strafrechtliche Konsequenzen haben.
Garantiert ein verlorenes Impeachment-Verfahren, dass Trump nicht noch einmal als Präsident antreten darf?
Wenn er verurteilt werden sollte, sehe ich keine Möglichkeit mehr für ihn, sich im Jahr 2024 neuerlich um das Präsidentenamt oder auch ein Senatsamt zu bewerben. Trotzdem: Auch ein Trump, der sich nicht mehr um ein öffentliches politisches Amt bewerben darf, wird wohl kaum verstummen. Es wird spekuliert, dass Trump einen Informationskanal im Internet eröffnen könnte. Bei Twitter folgen Trump immerhin 60 bis 70 Millionen, die vermutlich auch diese Plattform aufsuchen würden. Auf einem solchen Online-Massenmedium könnte er kommunikativ weiter versuchen zu mobilisieren, ja zu spalten.
Ihre Empfehlungen für Joe Biden: Wie kann er diese Polarisierungskluft im eigenen Land überbrücken?
Die Überbrückung der Spaltung wird dauern. Nichts ist sicher, aber wenn tatsächlich ein Impeachment-Verfahren gegen Trump eingeleitet wird, dann vertieft das zunächst die Polarisierung in der amerikanischen Öffentlichkeit und auch in der amerikanischen Gesellschaft. Der Kern der Trump-Anhänger/innen wird neuerlich versuchen, über soziale Medien oder Demonstrationen gegen die Demokraten aufzustehen, aber auch Druck auf einzelne republikanische Senatoren ausüben.
Droht eine Spaltung der Republikanischen Partei?
Das lässt sich zum heutigen Tag noch nicht abschätzen. Manche schließen nicht aus, dass es zu einer Spaltung innerhalb der republikanischen Partei kommen könnte. Andere meinen, die Republikanische Partei müsse sich in den nächsten Monaten entscheiden, ob sie zur Kontinuität der politische Tradition als zweite große Partei der USA zurückfinden möchte oder ob sie noch stärker abgleitet in eine teils extremistische, rechtspopulistische Mobilisierungsplattform.
Was benötigen die USA jetzt? Vor allem angesichts steigender Polizeigewalt gegenüber People of Colour?
Trumps Politik gegenüber Minderheiten wie jener der Afroamerikaner/innen hat die Spaltungen noch vertieft. Das Wort „Polizeibrutalität“ wird dem nicht gerecht, denn es wurden tödliche Schüsse auf Menschen abgegeben, die ihren Ausweis aus der Tasche holen wollten oder statt einer Waffe ein Sandwich in der Hand hielten.
Der Amtsantritt von Biden macht diese unverzeihlichen Dinge nicht vergessen. Seine Administration hat die zentrale Aufgabe, das Vertrauen in den Sicherheitsapparat wiederherzustellen. Hier geht es um grundsätzliche Reformen, aber auch hartes Durchgreifen innerhalb des Sicherheitsapparats, weil hier offensichtlich in manchen Teilen eine rassistisch-aggressive Stimmung existiert, wie sie in einer zivilen Gesellschaft wie den Vereinigten Staaten nicht vorhanden sein sollte.
Welche Reformen können die Polizeigewalt eindämmen?
Die Führungsebene der Polizei sollte auf regionaler und kommunaler Ebene durchforstet werden, inwieweit sie den Anforderungen einer zivilen Gesellschaft entspricht. Außerdem muss in eine weit intensivere und qualitativ bessere Ausbildung investiert werden, die weit über den Einsatz von Schusswaffen hinausreicht und die zivilen Verantwortlichkeiten einer Polizeieinheit in einem demokratischen Staat stärker ins Bewusstsein ruft.
Allerdings sind die USA ein föderaler Staat mit einer ausgeprägten föderalen Gewaltenteilung, daher lassen sich viele Polizeiagenden von Washington aus nur ansatzweise beeinflussen. Doch ein Präsident kann attraktive Programme entwickeln und Bundesmittel bereitstellen („Grants“), dass sich die betroffenen 12 Bundesstaaten auch verpflichten, in diese Richtung zu investieren. Biden wird solche Maßnahmen wohl einleiten, weil immerhin über 80 Prozent der afroamerikanischen Wähler/innenschaft dem Demokraten ihre Stimme gegeben haben. Ebenso haben auch andere Minderheiten im Land mehrheitlich die Demokraten gewählt.
Trump indoktriniert seine Wähler/innen mit dem Mythos einer gestohlenen Wahl. Wie hat die Demokratie in den USA unter seiner Politik der alternativen Fakten gelitten?
Auch ich betone das Mantra der Experten und Expertinnen, wenn es um diese Frage geht: Man sollte die Regenerationskraft der amerikanischen Demokratie und die Funktionsfähigkeit ihrer institutionellen Strukturen nicht unterschätzen. Ich gehe aber davon aus, dass es nach dieser disruptiven Präsidentschaft Jahre dauern wird, diese Polarisierungskluft wieder zu überbrücken.
„Nach dieser disruptiven Präsidentschaft wird es Jahre dauern, diese Polarisierungskluft wieder zu überbrücken.“
Wobei diese feindliche Lagerbildung in der amerikanischen Gesellschaft nicht mit Trump begonnen hat, sondern schon in der Präsidentschaft unter Ronald Reagan – mit dem Aufstieg der Evangelikalen als politisch einflussreiche Kraft, der „Moral Majority“, der „Tea-Party-Bewegung“. In den vergangenen Jahren haben zunehmende Eskalationsschritte dazu geführt, dass sich diese politische und gesellschaftliche Polarisierung verhärtet und ausgeweitet hat. Trump hat am Beginn seiner Präsidentschaft diese erkennbaren Bruchlinien schamlos ausgenutzt und durch sein Mobilisieren diese Gräben vertieft.
Die Echokammern der sozialen Medien haben diese Spaltung vorangetrieben. Was hat denn Trump mit seiner Twitter-Diplomatie in der Welt angerichtet?
Verwirrung und Missverständnisse. Zum Teil hat Trump Konflikte geschaffen, die im Vorfeld mit traditioneller diplomatischer Kommunikation lösbar gewesen wären. Seine nächtlichen, polarisierenden, zum Teil extrem abwertenden Twitter-Festlegungen haben eine vorsichtig ausgleichende Diplomatie eingeschränkt wie nie zuvor. Hochrangige Diplomaten und Diplomatinnen im US-Außenminisiterium waren eher mit Schadensbegrenzung beschäftigt, anstatt eine konstruktive, strukturierte Außenpolitik betreiben zu können.
Auch das States Departement ist durch das Handeln von Trump marginalisiert worden. Denn kein Präsident hat so oft nationale Sicherheitsberater oder Chefs von Agenturen wie dem CIA im öffentlichen Konflikt ausgetauscht („You’re fired.“). Das alles hat die amerikanische Außen- und Sicherheitspolitik zu einem diskontinuierlichen Auftreten geführt. Noch lässt sich der Schaden, was die transnationale Handlungsfähigkeit, Glaubwürdigkeit und Berechenbarkeit angeht, nicht bilanzieren. Das wird die große Herausforderung der Biden-Präsidentschaft sein, hier wieder ein Interesse an Kontinuität zu zeigen.
Trump hat sich mit seiner Maxime „America First“ von der EU und dem gemeinsamen Weg seit dem zweiten Weltkrieg abgekehrt. Wie groß ist die Kluft zwischen den USA und der EU gewachsen?
Sie ist so tief wie niemals zuvor. Die Jahrzehnte bestimmende Orientierung an transatlantischen Beziehung hat deutlich abgenommen. Erstens mangels Gesprächspartnern, die auch am Austausch interessiert waren. Zweitens wegen eines Präsidenten, der über Twitter mit Sanktionen droht.
Die transatlantischen Beziehungen zu Europa über die EU hinaus sind dringend konstruktiver zu gestalten. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und andere prominente Stimmen innerhalb der EU erhoffen sich nun eine Chance, mit der Biden-Präsidentschaft wieder in diesen Dialog einzutreten. Auch der neue US-Außenminister Antony Blinken ist ein Kenner Europas. All das hat unter Trump gefehlt.
Die USA sind das zweitwichtigste Exportland für Österreich. Welche Auswirkungen nimmt die Politik von Donald Trump auf Österreich?
Trump hat mit Sanktionsdrohungen, De-Facto-Handelskriegen und Strafzöllen auch die österreichische Wirtschaft belastet. Grosso modo haben wir das nicht gespürt, aber einzelne hoch spezialisierte Exportzweige und landwirtschaftliche Produkthersteller waren von der geringen Berechenbarkeit irritiert. Auch Alltagsprodukte wie Manner-Schnitten oder Emmentaler finden sich in amerikanischen Supermärkten. Insgesamt ist Österreich für Trump wohl eher ein Terra Incognita, mit dem er sich, glaube ich, nicht auseinandergesetzt hat.
„Die USA sollen wieder zum Orientierungspunkt für uns werden, was Zivilgesellschaft, humanitäre Werte und die Funktionsfähigkeit demokratischer Institutionen betrifft.“
Als bekennender Amerika-Liebhaber: Was wünschen Sie sich persönlich für die Zukunft der Vereinigten Staaten von Amerika?
Dass die USA wieder zum Orientierungspunkt für uns werden, was Zivilgesellschaft, humanitäre Werte und die Funktionsfähigkeit demokratischer Institutionen betrifft. Damit wir sie wieder achten und uns nicht reflexartig abwehren, weil wir uns nicht mehr mit ihnen identifizieren.
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