Schwerpunkt: Medienkompetenz

Saferinternet: So klären Lehrende gegen Online-Sexismus auf

Saferinternet.at lädt zur Gesprächsreihe zum Thema Online-Sexismus. Barbara Buchegger erklärt im Interview, wie Lehrende zum Vorbild werden, wie Mädchen auf Sexismus reagieren sollen und wie Burschen ihn vermeiden.

Florian Wörgötter - 17. Juni 2020

In der Corona-Krise hat sich auch der Sexismus noch mehr ins Internet verlagert. Deshalb veranstaltet die Initiative Saferinternet.at mit dem Frauenservice der Stadt Wien die kostenlose Online-Gesprächsreihe Online-Sexismus – was tun?

Die Themen der vier Termine:

  • „Onlinesicherheit für Frauen in Zeiten der Corona-Krise“ (16. Juni)
  • „Cyber-Mobbing in Zeiten der Corona-Krise“ (23. Juni)
  • „Online-Sexismus aus Sicht einer Gamerin“ (30. Juni)
  • „Wer steckt hinter Online-Sexismus?“ (07. Juli)

Wir haben die Moderatorin und pädagogische Leiterin von Saferinternet.at vorab zum Gespräch gebeten: Barbara Buchegger erklärt im Interview, mit welchen Methoden die Schule junge Mädchen stärken kann und die Burschen für sexistisches Verhalten sensibilisiert.

(c) Saferinternet.at

Barbara Buchegger zeigt mit Saferinternet.at den Jugendlichen einen sicheren Umgang mit dem Internet.

Was jetzt: Was verstehen Sie unter Online-Sexismus?

Barbara Buchegger: Online-Sexismus wertet Mädchen und Frauen ab, weil sie Mädchen und Frauen sind. Es werden ihnen Kompetenzen abgesprochen, weil sie aussehen wie sie aussehen. Sie werden als hysterisch in ein Eck gedrängt oder überhaupt aus dem (Online-)Raum vertrieben.

Haben Sie ein Beispiel für das „Vertreiben“ aus dem Internet?

Wenn erfolgreiche Online-Gamerinnen sich als Frauen deklarieren, werten männliche Gamer sie sehr schnell ab. Daher überlegen manche von ihnen, ob sie überhaupt offenlegen, dass sie weiblich sind.

Auf der Live-Streaming-Plattform Twitch geben sich manche Spielerinnen erst als Mädchen zu erkennen, wenn Freundinnen oder Kolleginnen ihnen den Rücken freihalten – also: zurückschimpfen oder Vorwürfe von Männern klarstellen.

Wie zeigt sich Online-Sexismus in sozialen Netzwerken?

Dort machen Burschen die Mädchen mundtot, indem sie ihnen Worte, Emojis oder Memes so lange hinrotzen, bis diese nichts mehr sagen. Immer mehr Mädchen überlegen sich daher, ob sie überhaupt noch was schreiben.

„Burschen machen Mädchen mundtot, indem sie Worte, Emojis oder Memes hinrotzen, bis diese nichts mehr sagen.“

Ein anderes Problem: Dickpicks, also Schwanzbilder. Mädchen empfinden sie als übergriffig und meiden Räume, in denen sie auf solche Bilder stoßen könnten. Manche Männer nutzen Dickpicks als Strategie, um Frauen einzuschränken und letztendlich mundtot zu machen.

Die Broschüre „Mädchen im Netz“ vom Frauenservice Wien spricht auch von „Bodyshaming“, „Slutshaming“ oder „Mansplaining“.

Bodyshaming ist ein relevantes Problem. Es geht um Fragen wie „Wie nehme ich meinen Körper wahr?“ oder „Welchen Vorbildern folgen Jugendliche im Netz?“. Je perfekter ihre Vorbilder erscheinen, desto leichter auch das Bodyshaming.

Laut WHO-Studie sind Mädchen heute schon im Alter von 11 Jahren unzufrieden mit dem eigenen Körper. Früher erst im Alter von 15 Jahren. Warum heute schon so früh?

Manche erleben schon im Alter von 8 Jahren auf Instagram die scheinbar perfekte Welt ihrer Vorbilder. Oder sie sehen auf TikTok, dass die anderen alles viel besser können als sie selbst. In diesem Alter sind Kids noch nicht in der Lage, hinter die Kulissen zu blicken. Da kann sie schon eine blöde Bemerkung anderer – absichtlich oder unabsichtlich –  verunsichern. Wobei nicht hinter jeder Bemerkung eines Burschen auch eine sexistische Absicht stecken muss.

„Heute erleben 8-jährige auf Instagram die perfekte Welt ihrer Vorbilder und auf TikTok, dass andere alles besser können als sie selbst.“

Dazu empfehle ich auch einen Blick in die eben veröffentlichte Broschüre des Frauensvervice Wien (MA57) „Frau(en) im Netz“.

Wie können Lehrer/innen im Unterricht auf Online-Sexismus aufmerksam machen?

Das Wichtigste generell: Mädchen in ihrer Rolle als Frauen zu stärken. Man muss ihnen zeigen, wie toll sie als Frauen sind. Dann sollte man ihnen Handwerkszeug mitgeben, damit sie sich nicht aus der Online-Welt vertreiben lassen. Sie sollen sich nicht schlecht machen lassen – was aber nicht bedeutet, dass sie ihre Angreifer/innen schlecht machen müssen.

Wie kann „Empowerment“ durch Lehrende aussehen?

Sie können sich in Gesprächen erkundigen, was die Jugendlichen in der Online-Welt machen. So lernen und profitieren sie von den Jüngeren und stärken diese gleichzeitig in ihrer Identität, ihrem Bewusstsein und ihrer Gender-Rolle.

Wir haben auch Unterrichtsmaterial zur „Selbstdarstellung von Mädchen und Jungs im Internet“ veröffentlicht. Die Übungen für die Oberstufe beantworten Fragen wie: „Müssen Mädchen immer schön sein? Müssen Jungs immer stark sein?. Man kann die Schüler/innen fragen, was sie darüber denken.

Welche Lehrmethoden zeigen jungen Mädchen, wie sie auf sexistische Kommentare, Nachrichten oder Memes richtig reagieren?

Man kann im Unterricht gemeinsam Kommentare analysieren und überlegen, wie man schlagfertig darauf antwortet. Also: Was sage ich auf abwertende Fragen oder untergriffige Bemerkungen, ohne selbst zurückzuschlagen. Manche Mädchen wehren sich gekonnt, doch bei vielen eskaliert die Spirale der verbalen Gewalt.

„Das Ignorieren eines Kommentars mag manchmal gut sein, signalisiert aber letztendlich, dass die Aussage in Ordnung geht.“

Viele Mädchen ignorieren solche Kommentare einfach. Sinnvoller aber wäre es, mit ihrer Reaktion zu zeigen, dass diese sie nicht berühren. Zum Beispiel können Mädchen so antworten: „Es kümmert mich nicht.“, „Was du möchtest, erfüllt sich nicht.“, „Niemanden interessiert es.“ oder „Es ist dein eigenes Problem, wenn du solche Dinge von dir gibst.“

Wie reagiert man auf Shitstorms gegen andere Mädchen?

Auch hier gilt: Ignorieren mag zwar manchmal gut sein, signalisiert aber letztendlich, dass die Aussagen in Ordnung gehen. Die Alternative: In einer WhatsApp-Gruppe könnte man kommentieren „Muss das schon wieder sein?“, „Kannst du das nicht unterlassen?“, „Keinen Mensch interessiert das!“. Oder man meldet den/die Kommentator/in direkt beim sozialen Netzwerk.

Welche Lehrmethoden können Burschen aufklären, dass sie Mädchen nicht sexistisch behandeln?

Ein umgekehrtes Rollenspiel könnte ihnen klar machen, wie sich Mädchen fühlen, wenn sie ins Eck gedrängt werden.

Doch es ist auch wichtig, sie in ihrer Burschen-Rolle anzusprechen. Oft werten sie andere ab, weil sie nicht zufrieden sind in ihrer Rolle, mit der eigenen Identität und dem, was sie im eigenen Umfeld erreichen können.

Wenn man Burschen stärkt, können sie sich in ihrer Rolle wohlerfühlen und empfinden sich nicht erst dann als cool, wenn sie über anderen stehen.

Wie kann man Burschen in ihrer Rolle stärken?

Eine Erkenntnis unserer Broschüre: Gemeinhin dürfen Burschen online weniger Gefühle der Unzufriedenheit zulassen als Mädchen. Öffnen sie sich nach außen, werden sie schnell fertig gemacht. Es könnte ein guter Weg sein, sie zu ermutigen, auch ihre Gefühle auszudrücken.

Wie lernen Burschen das Kritisieren von Mädchen im Internet, ohne sexistische Klischees zu bedienen?

Wenn ich Konflikte online anspreche, dann sollte immer aus der Ich-Perspektive argumentiert werden: „Ich empfinde es so …“ oder „Bei mir kommt das so an …“ oder „Hast du das so gemeint …?“.

Wenn ich Konflikte online anspreche, dann sollte immer aus der Ich-Perspektive argumentiert werden.

Burschen können Konflikte gut Face-to-Face austragen – sofern dies auch möglich ist. In Gesprächen mit Lehrenden, Schülerinnen und Schülern, Sozialarbeiterinnen und -arbeitern haben wir festgestellt, dass während der Schulschließung vielmehr Cybermobbing-Fälle und Konflikte aufgetreten sind. Der Grund: Die Möglichkeit hat gefehlt, Dinge direkt anzusprechen.

Ist in der Corona-Krise der Online-Sexismus eine noch gewichtigere Bedrohung geworden?

Ja, Frauen berichten mengenmäßig mehr Übergriffe. Betroffene haben diese auch als drastischer empfunden, weil das Korrektiv des Offline-Lebens gefehlt hat. Das haben uns auch Mädchen in einer Befragung bestätigt.

Strafrechtlich relevant sind Stalking, Beleidigung, Nötigung, Gefährliche Drohung, üble Nachrede, Verleumdung. Wann wird Sexismus in der Praxis zur Straftat?

Wie die strafrechtlichen Bestimmungen ausgelegt werden, entscheidet letztlich ein Gericht. Auch wenn die Paragraphen klar sagen, was es ist – in der Praxis ist’s nicht immer so einfach. Aus der Frauenberatung wissen wir, dass nicht immer klar einzuschätzen ist, wann eine Anzeige notwendig ist und ob die Polizei sie überhaupt ernst nimmt.

Wie können sich Lehrer/innen über Online-Sexismus informieren?

Ich empfehle den Newsletter von Saferinternet, in dem wir Lehrende regelmäßig zu den Entwicklungen von Kindern und Jugendlichen im Internet updaten.

„Schüler/innen beobachten sehr genau, ob Lehrende sich selbst reflektieren – ob sie auch zuhören und sich weiterentwickeln können.“

Es gibt auch hilfreiche, fachspezifische Facebook-Gruppen wie die Gruppe „Medienpädagogik“. Das gute an Facebook: Das Netzwerk ist mittlerweile ein schüler/innenfreier Raum geworden.

Wie können Lehrer/innen selbst Vorbilder sein, indem sie nicht Stereotype bedienen?

Das Wichtigste: authentisch bleiben. Hin und wieder kommen auch Lehrer/innen nicht drum herum, Stereotypen zu bedienen. Doch sie sollten sich immer wieder hinterfragen, ob sie in Rollenbilder vergangener Zeiten verfallen: Welche Beispiele verwenden sie im Unterricht? Welche Bilder haben sie von bestimmten Personengruppen?

Die Schüler/innen beobachten sehr genau, wenn Lehrende sich selbst reflektieren können. Lassen sie sich Dinge sagen und entwickeln sie sich weiter, dann hat das einen unglaublichen Effekt auf Schüler/innen.

 

Zur Anmeldung zur vierteiligen Online-Gesprächsreihe Online-Sexismus – was tun? geht es hier. Die brandneue Broschüre Frau(en) im Netz finden Sie hier.

 

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Ein Beitrag aus der Was jetzt-Redaktion.
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