Studium und Beruf
Jugendwertestudie: 7 von 10 fühlen sich von Politik ignoriert
Die Jugendwertestudie 2021 befragt junge Menschen zu ihrem Leben in der Corona-Zeit. Das Ergebnis: Das Vertrauen in die Politik sinkt weiter. Freundschaften werden weniger wichtig. Und: Die Zukunft ist auch nicht mehr das, was sie einmal war.
Florian Wörgötter - 6. Mai 2021
Das Institut für Jugendkulturforschung vergleicht in seiner jährlichen Jugendwertestudie das Leben junger Menschen in Österreich und Deutschland. Gemeinsam mit dem deutschen Markforschungsinstitut tfactory wurden in jedem Land jeweils 1.000 repräsentativ ausgewählte 16- bis 29-Jährige online befragt. Durchführungszeitraum: 24. Februar bis 10. März. 2021.
Studienautor Bernhard Heinzlmaier hat die zentralen Ergebnisse der Jugendwertestudie für uns kommentiert. Welche Noten vergibt die Jugend der österreichischen Corona-Politik? Werden die Corona-Maßnahmen akzeptiert? Und wie wichtig sind der Jugend traditionelle Werte?
Vertrauen in Politik sinkt
In Österreich benotet fast die Hälfte der jungen Menschen das Handeln der Regierung in der Corona-Krise mit „Nicht Genügend“ oder „Genügend“. In Deutschland bewerten lediglich 15 Prozent der Befragten ihre Regierung so negativ. In beiden Ländern herrscht jedoch Konsens, dass in der Corona-Krise niemand die Sorgen und Ängste der Jugend ernst nimmt. Rund sieben von zehn jungen Menschen fühlen sich vom politischen Diskurs ausgeschlossen.
Das führe auch dazu, dass das Vertrauen der jungen Menschen in die Politik weiter sinkt. In Österreich vertraut lediglich ein Drittel der Regierung – in Deutschland: 40 Prozent. Auch die Opposition habe es verpasst, sich als glaubwürdige Alternative mit besserem Zukunftsprogramm und Krisenmanagement darzustellen, so Heinzlmaier. „Die aus dem ständigen Streit und der dauerhaften Uneinigkeit der politischen Akteure folgende Repräsentationskrise der Politik hat in der Zwischenzeit katastrophale Ausmaße angenommen“, lautet seine Diagnose.
Verständnis für Corona-Maßnahmen
Die Jugendwertestudie untersucht auch, wie junge Menschen den Corona-Maßnahmen gegenüberstehen. Positiv beurteilt werden Abstandsregeln, Maskenpflicht oder Kontaktbeschränkungen, die das Verhalten der/s Einzelnen regulieren sollen. Das Schließen von Kindergärten, Schulen, Geschäften, Sportstätten und der Gastronomie kann nur ein Drittel der Jugendlichen nachvollziehen. Dass Clubs und Bars geschlossen werden und Massenveranstaltungen verboten sind, akzeptieren aber über zwei Drittel.
Generell ist in Österreich die Skepsis gegenüber den Einschränkungen stärker ausgeprägt als in Deutschland. Heinzlmaier schließt daraus, dass es der deutschen Politik besser gelungen sei, die junge Zielgruppe ins Boot zu holen. In beiden Ländern stehen vor allem die niedrige und mittlere Bildungsschicht den Maßnahmen kritisch gegenüber. Ein Drittel der jungen Österreicher/innen nennt Heinzlmaier sogar Impfgegner/innen; in Deutschland sei diese Zahl „auffällig kleiner“. Das Gesundheitssystem genießt unter den jungen Staatsbürgern und Staatsbürgerinnen das größte Vertrauen aller Institutionen (71 Prozent). Angst vor COVID-19 haben nur zwei von zehn der unter 30-Jährigen.
Intensität von Freundschaft nimmt ab
Mit den reduzierten Kontakten zu Gleichaltrigen habe auch die Intensität der Freundschaftsbeziehungen deutlich abgenommen, so Heinzlmaier. Im Jahr 2019 sagten noch über 70 Prozent der jungen Österreicher/innen, dass „Freunde und Bekannte“ für sie „sehr wichtig“ sind. Inmitten des ersten Lockdowns im März 2020 war die Wichtigkeit der Freundesbeziehungen schon auf 55 Prozent gesunken; im März 2021 betonen sie nur mehr 50 Prozent. Hingegen habe die Kontrolle der Eltern auf den Alltag der jungen Menschen wieder zugenommen.
Heinzlmaiers Appell: „Jugendliche brauchen Restaurants, Bars, Clubs, Event- und Party-Locations, um altersadäquate Beziehungserfahrungen machen zu können und Entwicklungsaufgaben in Bezug auf die eigene Sexualität lösen zu können. Gleichaltrigengruppen und jugendkulturelle Freiräume sind die wichtigsten Bedingungen für eine gelingende Sozialisation. Schneidet man Jugendliche langfristig von ihnen ab, können sie die wichtigen Lern- und Lebenserfahrungen einer erfüllten Jugend nicht machen.“
Zukunft, quo vadis?
Der Blick ins Morgen der jungen Menschen verrät: Ihre Zukunft ist auch nicht mehr das, was sie einmal war. Schon vor Corona waren Menschen unter 30 Jahren verunsichert, pessimistisch und standen traditionellen Formen des Zusammenlebens aufgeschlossener gegenüber als dem Fortschritt der globalen, digitalen Hochgeschwindigkeitsgesellschaft, so Heinzlmaier.
Die Corona-Pandemie habe die Zukunftssicht der jungen Menschen noch weiter verdüstert. Nur mehr 23 Prozent blicken positiv nach vorne; 42 Prozent sehen die Zukunft der Gesellschaft sogar negativ. Seit Beginn der Pandemie ist der letzte Wert bei jungen Männern um 10 Prozent gestiegen; bei jungen Frauen sogar um 15 Prozent. Lediglich ein Viertel glaubt, dass die eigenen Kinder es einmal besser haben werden als sie selbst. Bei den Jugendlichen mit Migrationshintergrund steigt diese Hoffnung auf immerhin 45 Prozent.
Trend zum Konservatismus
Die Entwicklung der Werthaltungen und Einstellungen zeigt, dass sich die Jugend zum Konservatismus hinwendet. In beiden Ländern nennen sieben von zehn Befragten die Traditionen als wichtig. Über acht von zehn schätzen Sauberkeit, Ordnung und Sparsamkeit. Auch die traditionelle bürgerliche Familie wird hochgeschätzt.
Während acht von zehn Österreichern und Österreicherinnen stolz darauf sind, Österreicher/innen zu sein, nennen sich unter den befragten Deutschen rund 70 Prozent überzeugte Patriotinnen und Patrioten. In beiden Ländern zeigt sich, dass in unsicheren und unbeständigen Zeiten die Tendenz zu retrotopischen, traditionalistischen und patriotischen Weltbildern und Lebensentwürfen zunimmt, so Heinzlmaier.
Hier geht’s zu einer Zusammenfassung der Jugendwertestudie 2021.
Mehr zum Thema Bildung und Beruf:
Das Europäische Solidaritätskorps fördert junge Weltretter/innen
WissenPlus: WissenPlus: Was genau machen eigentlich Nanotechnologien?
WissenPlus: Lerntempo-Duett zum Thema Bewerbungsgespräch
Fachhochschule des BFI Wien: Ein virtuelles Praktikum? Geht das?
Matura 2021: So soll die Schule nach Ostern weiterlaufen
Kartographie als Berufung: Zum Gedenken an Moshe Brawer
Wie prügeln sich Politiker? Das Magazin Katapult antwortet in Karten
Innovationskonferenz in Wien: Innovativ durch die Pandemie
ÖH-Vorsitzende Sabine Hanger: „Die UG-Novelle ist kein Weihnachtsgeschenk“
Entrepreneurial School Award an HTL Wolfsberg und HAK Oberwart
Literaturtipp: Die Geschichte der Berufsbildung in Österreich
HTLs in Kärnten: Wie smart ist eine Smart Learning Klasse?
Anton Bucher zum Ethikunterricht: „Nicht ethisch sein geht nicht“
BildungsHub.wien: Virtueller Tag der offenen Tür an Wiener Schulen
CLILvoc2020: Wie lernt man Fachthemen in Fremdsprachen?
Business Intelligence: Goldwaschen in der Informationsflut
Gesprächsleitfaden: So können Lehkräfte über Terrorismus sprechen
VfGH-Präsident Grabenwarter über „Verfassung macht Schule“
Tinkering: Tüfteln zwischen Technik, Physik und Kunst
Young Science: Diese Schulen beweisen Forschergeist
More Than Bytes: Kunst, Kultur und digitale Medien im Unterricht
Jugend Innovativ: Die kreativsten Schulprojekte des Jahres
WissenPlus: Das Coronavirus verstärkt die Ernährungskrise
Reportage YOVO2020: Besuch der Online-Freiwilligenmesse
Aidshilfe Wien: Leitfaden für Sexuelle Gesundheit im Unterricht
Gesetzesentwurf: Ethik oder Religion?
Amnesty International: Menschenrechte in der Schule
Vegucation: Vegan-vegetarisches Kochen im Unterricht
Interview mit Kabarett-Lehrer Andreas Ferner
Initiative Schule im Aufbruch