Schwerpunkt: Medienkompetenz
Safer Internet Day: „Soziale Netzwerke werden erwachsen”
Der Safer Internet Day erstreckt sich heuer über einen Monat. Barbara Buchegger von Safer Internet Österreich erklärt im Interview, wie Schulen mitwirken können und inwiefern sich der Online-Unterricht auf das Social Media-Verhalten auswirkt.
Florian Wörgötter - 11. Februar 2021
Wie jedes Jahr findet auch heuer am 9. Februar der internationale Safer Internet Day statt. Der jährliche Aktionstag wird von der EU-Kommission im Rahmen ihres Safer Internet-Programms ausgerufen. Auch im 18. Jahr beteiligen sich über 170 Länder am Aktionstag, um über einen sicheren und verantwortungsvollen Umgang mit Smartphone und Internet aufzuklären.
In Österreich wird der Safer Internet Day sogar auf den gesamten Februar ausgeweitet. Schulen sind eingeladen, sich dem Motto „Together for a better internet“ anzuschließen. Daher erklärt Barbara Buchegger von Safer Internet Österreich im Interview, wie Lehrende mit Schülern und Schülerinnen das Internet verbessern können, wie sich ihre Arbeit mit dem Internet in den letzten Jahren verändert hat und inwieweit Jugendliche die Sozialen Medien heute reifer verwenden als früher.
Was jetzt: Der Safer Internet Day feiert seinen 18. Geburtstag. Gratulation zur Volljährigkeit! Wie hat sich die Mission von Safer Internet in den letzten Jahren verändert?
Barbara Buchegger: Anfänglich ging es uns noch darum, die Kinder im Internet zu schützen. Erwachsene haben damals noch Filter und Sperren gefordert. Da wir viel an Schulen mit Kindern und Jugendlichen arbeiten, haben wir jedoch erkannt, dass man Kinder befähigen muss, mit den Herausforderungen leben zu lernen. Daher versuchen wir heute, die Jugendlichen zu empowern, um das Internet zu einem besseren Raum zu machen. Damit sie sich online wohlfühlen, gute Informationen und die richtigen Materialien finden.
Rückblickend: Wie hat sich das Internet in diesen 18 Jahren gewandelt?
Das Internet ist viel gegenwärtiger geworden. Es beschränkt sich nicht mehr auf ein umständliches Hochfahren eines Standcomputers. Gerade heute sind wir auf das Internet als Kommunikationsmedium mehr denn je angewiesen. Und doch verwenden wir es oftmals, ohne es zu wissen – in WhatsApp-Nachrichten, Smart Speakern, Babyphonen oder Waschmaschinen mit IP-Adressen.
Außerdem beginnt die Internet-Nutzung der Kinder nicht mehr in der Pubertät, sondern im Schnitt schon mit dem ersten Geburtstag. Wobei manche Eltern im Sinne der Medienkompetenz schon früh damit beginnen, während andere Eltern ihre Kinder bis zu 6 Jahren vom Internet fernhalten.
„Die Schule ist der wichtigste Lernort für den Umgang mit dem Internet.“
Doch auch die Eltern haben sich geändert. Wir fragen in Studien immer wieder, wo Kinder und Jugendliche den Umgang mit dem Internet lernen. Heuer werden erstmals die Schulen als wichtigster Lernort und die Eltern als drittwichtigster genannt. Früher wurden beide erst zuletzt genannt. Der Grund: Viele Eltern sind selbst mit dem Internet aufgewachsen, kommunizieren online und können soziale Netzwerke besser einschätzen und daher die Kinder besser begleiten.
Das Motto des Safer Internet Days lautet „Together for a better internet”. Wie machen Lehrende mit ihren Schülerinnen und Schülern das Internet zu einem besseren Ort?
Alles ist hilfreich, was das eigene Medienverhalten oder jenes der anderen reflektiert. Im Unterricht können Lehrende eine Umfrage unter Schülerinnen und Schülern erheben und statistisch auswerten, welche Medien zu welchem Zweck genutzt werden. Sie können mit den Schüler/innen Memes entwerfen oder ihr Verständnis von Privatsphäre diskutieren. Oder die Schüler/innen untersuchen, wie sehr die geschätzte Smartphone-Nutzungszeit von ihrer realen Bildschirmzeit abweicht – was sich in den meisten Smartphones eruieren lässt.
In der Vergangenheit haben sich auch Peer-Schulungen besonders bewährt, in denen ältere Schüler/innen den jüngeren Schulklassen das Internet erklären. Noch haben wir keine Online-Schulungen mitbekommen, über Microsoft Teams wären sie aber sicher denkbar. Safer Internet hat auch zahlreiche Lehrmaterialien und Informationsbroschüren für Lehrende aller Schulstufen entwickelt.
Zum Safer Internet-Aktionsmonat: Wie können BHS-Schulen mitwirken?
Wir haben erstmals eine „Social Media Wall” eingerichtet, die mit dem Hashtag #SID2021AT erreichbar ist. Also in welchen sozialen Netzwerken auch immer ein Posting mit dem Hashtag versehen wird, stößt der Content zu uns und findet sich in diesem Stream wieder.
Bisher haben Schüler/innen kurze Filme, Plakate oder Präsentationen produziert. Die Themen: Erkennen von Falschinformationen, Bewerten von Verschwörungstheorien, Privatsphäre-Einstellungen in sozialen Netzwerken, Cybermobbing, Sexting oder Cybergrooming, also die Kontaktaufnahme im Internet durch Fremde mit dem Ziel des sexuellen Missbrauchs. Es ist auch noch nicht zu spät, denn der Aktionsmonat geht noch bis Ende Februar – und die Liste bleibt auch danach online.
Was empfehlen Sie den Lehrenden, wie sie Schüler/innen coachen, ohne sie zu bevormunden?
Am meisten hilft es allen Beteiligten, wenn sie Interesse am Online-Leben der Jugendlichen zeigen. Die Lehrenden erhalten wichtige Einblicke, wenn sie sich von Jugendlichen Dinge zeigen oder erklären lassen. Wichtig ist auch anzuerkennen, wie viel Jugendliche unternehmen und leisten, um sich auch weiterzuentwickeln. Diese Schritte sollten auch gewürdigt werden. Dann können sie von den Jugendlichen auch lernen.
Wie haben die sozialen Medien die Jugend verändert?
Das kann ich so nicht beantworten, aber ich kann sagen, dass die Jugendlichen heute soziale Netzwerke anders nutzen als noch vor sechs Jahren. Jede Generation wird stark geprägt von dem sozialen Netzwerk, mit dem sie einsteigt. Die Generation Facebook (Mitte 20) macht noch immer Selfies im Spiegel. Die Jüngeren, die mit Instagram eingestiegen sind, finden das idiotisch, weil sie der Ästhetik ihres Netzwerks nicht mehr entsprechen. Dafür machen sie Bilder mit Augmented Reality-Filtern und designen sich Glubschaugen.
Aber das Selfie dominiert noch als Selbstdarstellungsform, oder?
Nein, das ändert sich tatsächlich: Jugendliche machen zwar noch Selfies, posten sie aber weniger. Gerade in der Pandemie gilt ein Selfie für viele junge Menschen als ein Ausdruck des Alleinseins. Viel interessanter ist es, wenn eine andere Person ein gutes Foto von ihnen macht. Auch auf hohe Qualität wird sehr viel Wert gelegt, daher investieren sie auch Zeit in Fotosessions. Das Selfie ist eher quick and dirty.
In der neuen Studie „Selbstdarstellung in sozialen Netzwerken” habt ihr Jugendliche interviewt. Was habt ihr rausgefunden?
Die heutigen Jugendlichen verwenden nicht mehr nur ein soziales Netzwerk, sondern mindestens zwei bis fünf Plattformen parallel. Sie unterscheiden in ihrer Nutzung auch sehr genau, welche Aufgaben und Funktionen diese erfüllen.
„Das wichtigste an sozialen Netzwerken ist das Kontakthalten. Das Posten rückt in den Hintergrund.“
Zum Beispiel werden im Social-News-Aggregator Reddit, wo es meist um Spaß geht, Nicknames und anonymisierte Bilder verwendet. Facebook hingegen dient für viele als Portfolio für potenzielle Arbeitgeber, daher werden Klarnamen, Porträtfoto und Lebenslauf veröffentlicht. Snapchat ist besonders wichtig, um Kontakt mit alten Schulkollegen und Schulkolleginnen zu halten. Das wichtigste an sozialen Netzwerken ist für Jugendliche das Kontakthalten und zu schauen, wie es anderen geht. Das Posten eigener Inhalte ist in den Hintergrund gerückt.
Das soziale Netzwerk Reddit wurde soeben durch den Hype um die GameStop-Aktien einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Was treiben Jugendliche dort?
In Reddit suchen Jugendliche nach Informationen. Dort geht es oft um Unterhaltung, aber auch um politische Kommunikation. Dort wird sehr viel mit Memes, also mit Wort-Bild-Kombinationen kommuniziert. Reddit ist so umfassend, dass man sehr schnell Beiträge zu seinen Interessen findet, die auch die eigene Meinung verstärken. Allerdings sehe ich Reddit nicht als besonders wichtiges Netzwerk für Jugendliche.
Was ist derzeit das wichtigste soziale Netzwerk für Jugendliche?
Discord und TikTok haben massiv zugelegt. Discord ist ein Netzwerk, das ursprünglich nur unter Gamern und Gamerinnen verwendet wurde. Mitlerweile finden dort Lerngruppen statt, die Silvester-Party wird gefeiert oder man schaut dort miteinander Netflix-Filme und hört Spotify-Playlists.
… und wie nutzen die 15- bis 20-Jährigen TikTok?
Wie alle anderen Netzwerke auch – indem sie davor in Starre verfallen und durch den Stream „swipen”. Die Unterhaltung ist bei TikTok das Allerwichtigste. Interessant ist, dass sich der Algorithmus – im Gegensatz zu Instagram – sehr schnell verändern lässt, der Stream also innerhalb weniger Tage auch relevante Videos zu Themen zeigt, die sie aktuell interessieren. Und Jugendliche finden dort so gut wie alle Inhalte, die sie bewegen. Sie lernen dort auch neue Leute kennen oder kommentieren die Videos ihrer TikTik-Vorbilder. Wobei ihnen schon auch bewuss ist, dass TikTok nicht bloß ein Wohlfühl-Raum ist, sondern dort auch Beschimpfungen und Hass kursieren.
Lässt sich erkennen, dass das ständige Online-Sein im Homeschooling auch das Verhalten auf Social Media beeinflusst?
Ja, ganz sicher. Jugendliche wollen nun auch Kontakt mit der Familie halten, was früher nur jenen mit migrantischem Hintergrund wichtig war, weil deren Familie auf der halben Welt verstreut ist. Was mir in Gesprächen aber immer wieder auffällt: dass über 15-Jährigen die digitalen Medien auch auf die Nerven gehen und sie sich abkehren. Generell bemerken wir einen Trend weg von der öffentlichen Kommunikation in Instagram oder TikTok hin zum „Dark Social Web”, also zu nichtöffentlichen Instant Messengern wie WhatsApp, Snapchat oder Discord.
„Ein Leben ohne Soziale Medien ist für Jugendliche nicht mehr möglich.”
Wie groß ist diese Abkehr von Social Media? Sprechen wir von Einzelfällen?
Das lässt sich nicht quantifizieren. Ich beobachte bei Jugendlichen zwischen 17 und 19 Jahren, dass sie sich vereinzelt eine Weile aus den sozialen Medien zurückziehen. Dieser Rückzug geschieht aber nicht komplett. Ein Leben ohne soziale Medien ist für Jugendliche nicht mehr möglich. Weil sie ein wichtiger Bestandteil des eigenen Lebensumfelds geworden sind – auch ohne Pandemie.
Doch wir sehen in unserer Studie, dass alle Jugendlichen die sozialen Netzwerke reifer verwenden: Sie beschäftigen sich eher mit Privatsphäre-Einstellungen, sie posten weniger von sich selbst, überlegen sich genauer, wofür sie einzelne soziale Netzwerke parallel verwenden. Um ein Zitat aufzugreifen: Soziale Netzwerke haben das Ende ihrer Pubertät erreicht. Anfangs wurde viel Blödsinn gemacht. Heute nutzen Jugendliche sie erwachsener als früher.
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