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Berufsbildung International: Das haben wir gelernt!

Sieben Länder, sieben teils sehr unterschiedliche Zugänge zum Thema berufliche Bildung: Ein Fazit unseres International-Schwerpunkts – und was Österreich beim Blick über den Tellerrand lernen könnte.

Eine Analyse von Manuela Tomic - 14. November 2018

 

Digitale Klassenzimmer in Estland, Berufsschulen mit Sprachkursen in Kroatien oder Berufsfächer als Wahlmodule in Neuseeland: Blickt man bei der Berufsausbildung über den österreichischen Tellerrand, findet man sich schnell in einer ganz neuen Welt wieder.

Und einiges, was in anderen Länder gerade umgesetzt wird, könnte auch hierzulande zum Erfolgsfaktor werden, um berufsbildende Schulen wieder attraktiver zu gestalten.

Berufsbildung früh ansetzen

Dass die Berufsausbildung zum Beispiel nicht erst nach der Pflichtschule beginnt, beweisen die Neuseeländer. So können neuseeländische Schüler in der Pflichtschule aus Fächern wie Elektrotechnik, Bootsbau, Landwirtschaft oder Fotografie wählen, um nur einige zu nennen.

Durch frühes Herantasten an den Beruf werden die Jugendlichen entscheidungssicherer, was ihren weiteren Weg anbelangt. In Japan oder Dänemark hingegen haben die Unternehmen das Sagen. Sie bestimmen die Lehrinhalte der Schüler und ändern sie Jahr für Jahr flexibel nach ihren Wünschen, ganz ohne Bürokratie und langes Zuwarten.

Vor allem in hochspezialisierten technischen Berufen wie etwa in der Robotik und der Informationstechnologie können so neue Potenziale gehoben werden. Unternehmen wissen schließlich am besten, was sie brauchen. Darüber hinaus können die Lehrinhalte immer an den neuesten Erkenntnisstand angepasst werden.

Erasmus fördern

Kroatien fügt hier noch den Faktor Internationalisierung hinzu. Längst haben die Kroaten, deren junge Menschen im berufsfähigen Alter in Scharen das Land verlassen, aus der Not eine Tugend gemacht und betrachten Vernetzung jetzt als Chance. Was sie ihren Schülern bieten, ist Auslandserfahrung, die jedoch mit dem Heimatland gekoppelt wird.

So gibt es an kroatischen Berufsschulen längst ein breites Angebot an Sprachkursen, die Teil der Berufsausbildung sind und nicht etwa mühsam nebenbei nachgeholt werden müssen. Außerdem verfügt das Land über eine Vielfalt an Schulpartnerschaften und hat sich so quasi sein eigenes Erasmus-Netzwerk aufgebaut.

Unternehmen unterstützen

Apropos Erasmus: Während das Austauschprogramm bei Studenten immer noch relativ beliebt ist, haben es österreichische Lehrlinge ungemein schwer, im Ausland neue Erfahrungen zu sammeln. Hier gibt es Handlungsbedarf.

Wenn diese Lehrlinge sehen, wie Betriebe in anderen Ländern funktionieren, ist das eine Bereicherung für den Betrieb zu Hause. Unternehmen, vor allem Klein- und Mittelständler, brauchen hier Unterstützung von Partnern wie der Wirtschafts- und der Arbeiterkammer.

Nicht zuletzt benötigen die Ausbildungsbetriebe Planungssicherheit und Hilfe bei der bürokratischen Abwicklung, um ihren Lehrlingen Austauschprogramme zu ermöglichen, von denen österreichische Unternehmen, aber auch deren Kundinnen und Kunden profitieren.

Ausbildung exportieren

Auch Deutschland baut auf einer internationalen Win-Win-Situation auf. Die deutschen Großkonzerne exportieren nicht nur ihre Güter, sondern ihr duales Ausbildungssystem in die ganze Welt, von Brasilien bis nach Singapur, und bilden ihre Fachkräfte vor Ort gleich selbst aus.

Diese Fachkräfte sind dann auch an anderen Standorten flexibel einsetzbar und bringen die Auslandserfahrung gewissermaßen gleich mit. Estland reüssiert in der Berufsausbildung hingegen mit einer digitalen Gesamtstrategie, die ihresgleichen sucht. Bis 2020 will das baltische Land alle Schulbücher digitalisieren.

Digitale Kompetenzen fördern

Tablet-Klassen, Smartboards, also interaktive Tafeln, und ein digitales Klassenbuch sind in Estland längst Realität. Wer sich kein Smartphone oder Tablet leisten kann, dem wird ausgeholfen.

Digitaler Unterricht alleine wird dennoch nicht ausreichen. Was es braucht, ist Digitalisierung als Lerngegenstand. Kinder müssen früh lernen, welche Darstellungsformen es im Netz gibt und wie sie Informationen richtig einordnen. Medienkompetenz lautet hier das Stichwort.

Mit dem Fach „Digitale Grundbildung“ ab dem Schuljahr 2018/19 wurde in Österreich in dieser Sache erstmals Abhilfe geschaffen. Und das ist nur eine von vielen Maßnahmen, die es künftig umzusetzen gilt. Auch berufsbildende Schulen müssen in Sachen Digitalisierung weiter aufholen, um nicht abgehängt zu werden. Alleine mit modernen Gerätschaften ist dies nicht getan.

Finanzielle Anreize schaffen

Arbeitgeber und Politiker müssen zudem finanzielle Anreize für Berufe schaffen, die derzeit als „Mangelberufe“ bezeichnet werden. Wenn man von dem Vollzeitgehalt als Kindergartenpädagoge oder Koch nur schwer leben kann, werden sich auch in Zukunft immer weniger junge Menschen für diese Berufe entscheiden.

Dasselbe gilt aber auch für hochqualifizierte Berufe aus dem technischen Spektrum. Wer sich hier spezifische Qualifikationen erarbeitet hat, wird früher oder später ins Ausland abwandern, wenn österreichische Unternehmer keine entsprechenden attraktiven Arbeitsplätze offerieren.

Die Schulen müssen sich zudem an der jeweiligen Region orientieren. Dazu ist eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen den Kammern, den Unternehmen und den Bildungseinrichtungen erforderlich. So kann der Übergang von der Schule ins Berufsleben noch besser gelingen.

Lernprofil schärfen

Berufsbildende Schulen, vor allem Handelsakademien und Handelsschulen, müssen ihr Lernprofil weiter spezialisieren und an neue Berufe anpassen, um weiterhin attraktiv zu bleiben.

Schwächere Schüler und nicht zuletzt Menschen mit Migrationshintergrund gilt es, noch stärker ins Schulsystem zu integrieren. Dazu bedarf es größerer Ressourcen, mehr Lehrpersonal und kleinerer Klassen. Diese Extrameile wird notwendig sein.

Schließlich orientieren sich heute junge Menschen längst nicht mehr an Unternehmen oder Bildungsangeboten in ihrer unmittelbaren Umgebung. Sie wollen ins Ausland, etwas Neues entdecken und können sich mit einigen Mausklicks ihre Ausbildung nahezu selber organisieren.

Attraktive Jobs garantieren

Wenn es österreichische berufsbildende Schulen schaffen, den Jugendlichen Auslandserfahrung zu bieten und ihnen danach einen attraktiven Job in der Heimat zu garantieren, wird es uns auch gelingen, hochqualifizierte und nachgefragte Fachkräfte im Land zu behalten.

Schule muss in Zukunft auf jeden Fall international gedacht werden. Österreichs berufsbildendes Schulsystem hat in vielen Bereichen zweifelsohne Vorbildcharakter. Doch andere Länder machen ebenfalls ihre Hausaufgaben, das beweist nicht zuletzt die Vielfalt der berufsbildenden Schulmodelle rund um den Globus.

Wenn wir diese als Inspiration für neue Ideen sehen, ist der erste erfolgreiche Schritt in Richtung Zukunft bereits gemacht.

 

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Berufsbildung International Teil 1, Estland: Die digitalen Champions
Teil 2, Neuseeland: Was ihr wollt
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Teil 4, Interview: „Lernstoff Digitalisierung wird in Österreich völlig vernachlässigt“
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Wie machen das die anderen?

 

Ein Beitrag aus der Was jetzt-Redaktion.

 

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