Bildung und Beruf

„Schimpfen ist leider zur Gewohnheit geworden“

Oksana Havryliv forscht an der Universität Wien zum Thema verbale Gewalt an Schulen. Warum diese häufig unterschätzt wird und was verbale Aggression ausmacht, erklärt sie im Interview mit Was jetzt.

Das Gespräch führte Manuela Tomic - 19. Juni 2019

 

Worum geht es in Ihrem Forschungsprojekt „Verbale Aggression und soziale Variablen Geschlecht – Alter – sozialer Status“?

Das Projekt setzt sich zum Ziel, das wissenschaftliche Know-how, das meinen Forschungsarbeiten im Bereich der verbalen Aggression zugrunde liegt, an Schülerinnen und Schüler zu vermitteln.

Der vorrangige Antrieb richtet sich darauf, den Schülerinnen und Schülern verbale Gewalt als eigenständige Form der Gewalt darzustellen, sowie Kinder und Jugendliche darin zu sensibilisieren, dass sprachliche Handlungen genauso wie die physischen verletzen können.

 

„Schülerinnen und Schüler lernen, dass Sprache Konfliktsituationen entschärfen kann.“

 

Gleichzeitig lernen sie, dass die Sprache sowohl zur Eskalation als auch zur Entschärfung von Konfliktsituationen beitragen kann und dass es zur Kommunikation gehört, auch die negativen Emotionen auszudrücken, ohne sich verbalaggressiver Sprechakte zu bedienen.

 

Sie bieten auch Workshops für Schüler an. An wen richten sich diese genau?

In erster Linie arbeite ich mit Kindern und Jugendlichen im Alter von zehn bis 17 Jahren aus der AHS, NMS oder auch BHS. Ich war aber auch schon an einigen Volksschulen.

In den Workshops werden, anhand der von den Schülern durchgeführten Recherchen, die Ursachen, Formen und Reaktionen auf verbalaggressive Sprechakte besprochen und Möglichkeiten gewaltfreier Emotionskommunikation diskutiert. Zusätzlich halte ich auch öffentliche Vorträge zu dem Thema, gestalte Workshops für Lehrende und Kinderbetreuende.

 

Wie können sich Schülerinnen und Schüler verhalten, um verbale Gewalt erst nicht entstehen zu lassen oder sie abzumildern?

Das verbalaggressive Verhalten betrachten wir  immer eingebettet in eine konkrete Kommunikationssituation. Denn die Intensität eines Schimpfwortes ist immer kontextbezogen. Die Schülerinnen und Schüler reflektieren ihr eigenes verbalaggressives Verhalten.

 

„Für Lehrerinnen und Lehrer ist es häufig schwer, die Situation richtig einzuschätzen.“

 

Wir fragen aber auch, wieso die andere Person schimpft und welche Ursachen es dafür geben kann. So trainieren wir die Empathie. In manchen Klassen spielen die Kinder Konfliktszenen aus dem Schulalltag vor und dann gleich eine Variante, wie dieselbe Situation gewaltfrei aussehen könnte.

 

Welche Tipps haben Sie für Lehrerinnen und Lehrer?

Für Pädagogen ist es häufig schwer, die Situation richtig einzuschätzen und diese nicht zu dramatisieren: Ist es jetzt scherzhafter Gebrauch, der für die beiden etwas Gewöhnliches darstellt, oder ist es beleidigend?

Denn das Schimpfen ist leider zur Gewohnheit in der Schule geworden – niemand wundert sich darüber oder nimmt es beleidigend auf. Trotzdem sollte den Kindern erklärt werden, dass es nicht normal ist, gleich zu jemandem, dessen Verhalten uns stört, „du Trottel“ zu sagen, sondern gerade dieses fehlende Verhalten anzusprechen.

 

„Das Konzept der Ehre ist von Kultur zu Kultur unterschiedlich.“

 

Auch die interkulturellen Besonderheiten der Emotionsäußerung und Wahrnehmung spielen eine große Rolle und sollten von den Lehrenden berücksichtigt werden. Die Beleidigung und die Reaktionen hängen stark mit dem Konzept der Ehre zusammen und diese sind ebenfalls von Kultur zur Kultur unterschiedlich.

 

Was sind die bisherigen wichtigsten Erkenntnisse aus Ihrer langjährigen Forschung und Beschäftigung mit dem Thema?

Eine wichtige Erkenntnis ist, dass der scherzhafte Gebrauch von aggressiven Sprechakten sowohl bei den Erwachsenen als auch bei den Kindern häufig ist. Außerdem spielt es immer eine wichtige Rolle, wie etwas gesagt wird und nicht, was gesagt wird.

Zudem muss man auch die interkulturellen Besonderheiten für die Wahrnehmung verbaler Aggression untersuchen. Denn Schimpfwörter erfüllen in anderen Sprachen mitunter eine andere Funktion als im Deutschen.

In slawischen Sprachen oder im Englischen ist es zum Beispiel Usus, Schimpfwörter als Pausenfüller im Gespräch zu nutzen. All das muss beachtet werden, wenn man verbale Gewalt analysieren möchte.

 

Zur Person

Oksana Havryliv ist Projektleiterin des Forschungsprojekts „Verbale Aggression im Handlungsfeld Schule: Ursachen, Formen, Gewaltprävention“, im Zuge des FWF Wissenschaftskommunikationsprograms, am Germanistik-Institut der Universität Wien in Kooperation mit dem Young Science Zentrum für die Zusammenarbeit von Wissenschaft und Schule.

 

 

 

Literatur

Oksana Havryliv: „Verbale Aggression: Formen und Funktionen am Beispiel des Wienerischen“. Reihe Schriften zur deutschen Sprache in Österreich, Verlag Peter Lang , 2009.

 

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Ein Beitrag aus der Was jetzt-Redaktion.

 

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