Schwerpunkt: Fehlerkultur

Aus der Praxis: „Brisant wird es bei Fahrlässigkeit“

In Pflegeberufen können Fehler drastische Folgen haben. Simone Chukwuma-Lutz, Direktorin der Pflegeschule Unterland in Bregenz, erklärt, wie sie und ihr Team damit umgehen.

Das Gespräch führte Christian Seidel - 12. Juni 2019

 

Welchen Fehler konnten Sie jüngst vermeiden?

Vielleicht haben wir ja einen großen vermieden und es gar nicht bemerkt. Als ich hier als Direktorin angefangen habe, hatte ich im ersten Jahr ständig das Gefühl: Jetzt kommt ein Super-GAU, weil ich irgendetwas nicht mache, von dem ich gar nicht weiß, dass ich es machen muss.

 

Und hat sich die Sorge vor dem Super-GAU gelegt?

Ja. Ich habe nach bestem Wissen und Gewissen gearbeitet und immer geschaut, wie es mein Vorgänger gemacht hat. Ich musste als neue Direktorin auch die Jahresstruktur verändern, die Praktika und Unterrichtszeiten anpassen.

 

„Ich habe mich natürlich immer gefragt, ob ich das richtig mache.“

 

Und da habe ich mich natürlich immer gefragt, ob ich das richtig mache. Dabei habe ich mich viel bei Kolleginnen und Kollegen erkundigt, die diese Erfahrung schon gemacht haben.

 

Und die Konsequenzen sind ja nicht immer so schlimm, wie man sich das vorstellt.

Auf alle Fälle. Aber ich war neu. Vorher war ich Lehrerin an einer Fachhochschule und nie in die Administration eingebunden. Plötzlich muss ich all diese Einteilungen machen. Da war vieles einfach noch nicht geläufig.

 

In welchem Bereich versuchen Sie gerade, so ziemlich alles richtig zu machen?

Wir führen gerade eine neue Ausbildung zur Pflegefachassistenz ein. Das ist eine vom Bund geregelte Ausbildung, aber es gibt noch kein fertiges Curriculum. Deswegen habe ich immer wieder Kontakt mit Kolleginnen und Kollegen, die diese Schulung schon gestartet haben.

 

„Manche Fehler geschehen, weil Regeln nicht eingehalten wurden, die muss man dann erklären.“

 

Ich gehe auf Kongresse und Veranstaltungen, bei denen das thematisiert wird. Wir haben eine zweitägige Klausur gemacht, Literatur gesucht und Unterrichtsmaterial gesammelt.

Vor allem haben wir uns gesagt, dass wir wohl Fehler machen werden und deswegen unsere Arbeit immer wieder anpassen müssen. Learning by Doing. Um dieses Bewusstsein haben wir uns bemüht.

 

Und wenn doch einmal einer passiert?

Man muss sich anschauen, wo der Fehler herkommt. Oft passieren sie ja ungewollt. Manche geschehen, weil Regeln nicht eingehalten wurden, die muss man dann erklären.

 

„Meine Persönlichkeit ist an meinen Fehlern gewachsen, nicht an den Erfolgen.“

 

Wirklich brisant wird es bei uns aber bei Fahrlässigkeit. Wenn Lernende in der Praxis mit Patientinnen und Patienten umgehen, sollten keine Fehler passieren, weil sie tödlich sein können.

 

Wie vermitteln Sie diese ernsthaften Konsequenzen?

Das passiert im Schulalltag. Da fließt ganz viel in den Unterricht mit ein. Es fängt bei der Hygiene an. Erfüllen Pflegerinnen und Pfleger die Vorgaben nicht, kann ein Patient eine Infektion bekommen. Diese Konsequenzen sind ein großer Teil der Ausbildung.

 

Wie gehen Sie persönlich mit Fehlleistungen um?

Man muss dazu stehen. Aber manchmal merkt man gar nicht, dass man einen begeht, weil man im Prozess drinsteckt.

Ich habe meine unbewusst gemacht, aber mit dem Vorsatz, das Beste zu wollen. Meine Persönlichkeit ist daran gewachsen, nicht an den Erfolgen.

 

Wie konkret?

An meinen Fehlern etwa, die ich in der Kommunikation begangen habe, gerade in meiner Anfangszeit als Führungsperson. Da habe ich auf Fragen und Forderungen sehr oft rasch eine Antwort gegeben.

Jetzt weiß ich, dass es oft besser ist, erst einmal darüber nachzudenken und später Bescheid zu geben. Weil man das Gesamte im Auge behalten muss, um gerecht zu sein.

 

Zur Person

Direktorin Mag. Simone Chukwuma-Lutz (58) hat an der Pflegeschule Unterland in Bregenz 1981 diplomiert. Später studierte sie Pflegewissenschaften. Sie unterrichtete selbst zehn Jahre in Bregenz, bevor sie an der FHS St. Gallen Dozentin wurde.

2011 kam sie zurück und trat ihre jetzige Stelle an. In der Pflegeschule Unterland streben derzeit 121 Lernende den Abschluss der dreijährigen Diplomausbildung in der Gesundheits- und Krankenpflege an.

 

 

 

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Ein Beitrag aus dem Was jetzt-Magazin, Ausgabe 1/19.

 

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