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Aus der Praxis: Mehr Mut zum Denken

Schülerinnen und Schüler machen naturgemäß Fehler. Doch wie bringt man sie dazu, daraus zu lernen? Vier Lehrerinnen und Lehrer berichten im ersten Teil unseres neuen Schwerpunkts „Fehlerkultur“ über ihre Erfahrungen.

Von Manuela Tomic - Fotos: Christopher Mavrič - 24. April 2019

 

 

Anleitung zum Selberdenken
Martin Sommer unterrichtet Elektrotechnik, Elektronik und Steuerungstechnik an der HTL Rennweg in Wien

Bereits kleine Ungenauigkeiten haben in Martin Sommers Werkstatt mitunter gravierende Folgen: Falsch verschaltete Bauteile können überhitzen, ja, sogar anbrennen. Viel sollte also nicht schiefgehen. Dafür ist der Elektrotechnik-Lehrer im theoretischen Unterricht durchaus fehlertolerant.

„Mir geht es immer um den Denkprozess, der zum Ergebnis geführt hat“, sagt der 43-Jährige. In den kleinen Gruppen mit je acht Schülerinnen und Schülern könne er sehr gut auf jeden Einzelnen eingehen. Hat die ganze Gruppe etwas nicht verstanden, wird alles noch einmal erklärt.

Sommer, ein ruhiger, fokussierter Typ, versucht vor allem, Freiräume zu gewähren. „Wenn ich zum Beispiel eine neue Schaltung an die Tafel zeichne, frage ich, wie diese funktionieren könnte“, erzählt er. Die Schüler sollen sich melden, auch wenn sie sich nicht sicher sind, ob ihre Annahme richtig ist. Keine leichte Aufgabe.

Denn oft erwarten sie von ihm vorgefertigten Lernstoff. Er möchte sie dazu anregen, selbst zu denken, ohne gleich benotet zu werden. Dieser Weg erfordere echte Auseinandersetzung mit den Inhalten, sagt Sommer. Auch auf die Gefahr hin, dass manchmal etwas nicht auf Anhieb klappt.

 

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Bewusstsein schaffen
Martina Böck unterrichtet Serviceorganisation, Servieren und Getränke an den Tourismusschulen Semmering

Ihr scheint nichts zu entgehen. Im Eiltempo läuft Martina Böck die Flure entlang, vorbei an Küchen, Weinkellern und Übungs-Waschräumen. Wie eine Hotelmanagerin hat sie jedes Detail im Blick. Und das erwartet die 49-Jährige auch von ihren Schülerinnen und Schülern.

„Wir haben den Vorteil, dass sie alles, was sie in der Theorie lernen, gleich in die Praxis umsetzen können“, sagt Böck. Dann werde benotet. „Bleibt etwa die erste Palatschinke in der Pfanne kleben und sind fünf weitere verwertbar, ergibt es vielleicht immer noch ein Befriedigend statt einem Nicht Genügend“.

Doch Böck geht es um viel mehr. Sie möchte Bewusstsein schaffen: für guten Service, saubere Küchen, den gewissen Perfektionismus, der in Gastro und Service eben dazu gehört. Dennoch hält sie nichts vom Bulimie-Lernen, also Wissen in sich hineinzustopfen. Vielmehr gehe es darum, ein Gespür zu entwickeln.

„Am glücklichsten bin ich, wenn mir Schüler nach einem Restaurantbesuch aufzählen, was dort alles nicht gepasst hat, wie etwa das persönliche Auftreten“, sagt Böck und verschränkt stolz die Arme: „Dann kann ich mir sicher sein, dass sie das Gelernte verinnerlicht haben.“

 

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Mut machen
Silke Riedl unterrichtet Englisch und Russisch an der Höheren Bundeslehranstalt für wirtschaftliche Berufe St. Pölten

Eine ausgelassene Stimmung, ein spielerisches Miteinander: Silke Riedl versteht sich gut mit ihren Schülerinnen und Schülern – sehr gut sogar. Für die 44-Jährige ist das jedoch nicht nur Beiwerk, sondern der Kern ihrer Arbeit, erzählt sie im bunt gestalteten „COOL“-Raum für kooperatives und offenes Lernen.

„Egal, wie schlecht eine Schularbeit war“, meint die quirlige Lehrerin, „ich zeige ihnen immer auch, was sie gut gemacht haben.“ Mut machen und Strategien beibringen, wie sich Jugendliche selbst weiterentwickeln: Darin sieht Riedl ihre Hauptaufgabe. Und das nicht nur, wenn es ums Fachliche geht.

Sie begleitet die jungen Menschen auch auf persönlicher Ebene. „Hier passieren eben auch Fehler.“ Mit längeren Gesprächen und indem sie alle Beteiligten einbindet, sollen sie eine Möglichkeit bekommen, darüber nachzudenken, was sie mit ihrem Verhalten aufs Spiel setzen, langjährige Freundschaften etwa.

In solchen Situationen ist die Lehrerin Silke Riedl ganz in ihrem Element. „Das Wichtigste ist es, den Schülerinnen und Schülern sowohl fachlich als auch menschlich eine Perspektive zu geben“, sagt Silke Riedl. „Und das versuche ich Tag für Tag zu erreichen.“

 

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Das große Erwachen
Michael Fuchs unterrichtet Deutsch, Turnen und die Fächer Technisches Zeichnen, Technisches Seminar und Werkstätte im Fachbereich Bau/Holz an der Polytechnischen Schule in Eisenstadt

„In der Wirtschaft kannst du dir nicht viele Patzer erlauben“, erzählt Michael Fuchs mit energischem Unterton in der Stimme. Der 38-Jährige weiß, wovon er spricht. Er war selbst Lehrling, bevor er die Matura nachgeholt und danach Lehramt studiert hat.

„Kuschelpädagogik nützt niemandem.“ Schon gar nicht, wenn Jugendliche auf das Arbeitsleben vorbereitet werden. Manche Fehltritte seien gravierend, andere tolerierbar. „Und manchmal“, erzählt er, „muss im Praxis-Unterricht eben eine Mauer komplett neu aufgebaut werden.“ Dann seien die Schüler meist frustriert.

Doch das sei notwendig, um die Bedeutung eines Arbeitsauftrags zu verstehen. Dann erst komme das große Erwachen, und sie würden plötzlich merken, dass es hier um etwas geht.

Sauberes Handwerk. Fuchs lehnt sich zurück und grinst: „Das ist der Moment, wo sie sich entwickeln, aus Fehlern lernen und Lust bekommen, sich zu beweisen.“ Und Letzteres sei essenziell.

„Unsere Schüler sind tolle Arbeiter“, sagt Fuchs – und schließt dabei konkret Themen wie Kommunikation, die optimale Vorbereitung auf Bewerbungsgespräche ein. Auch das erfordere Arbeit – an sich, an der eigenen Persönlichkeit.

 

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Ein Beitrag aus dem Was jetzt-Magazin, Ausgabe 1/19.

 

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