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Handy-Debatte: „Smartphones gehören zu unserer Lebensrealität“

Warum ein generelles Verbot nichts bringt und warum sie einen Beitrag zur Integration leisten können: Wissenschafter Christopher Frauenberger im Was jetzt-Interview.

Das Gespräch führte Manuela Tomic - 12. Dezember 2018

 

An französischen Schulen herrscht seit diesem Schuljahr ein gesetzliches Handyverbot. Wie sehen Sie diese Entscheidung?

Im Bildungsbereich gibt es beim Thema Digitalisierung viele Missverständnisse, und das spiegelt auch die Handydebatte wider. Smartphones gehören zu unserer Lebensrealität, deswegen bin ich gegen ein generelles Verbot, weil es die Schule wieder ein Stück weiter weg vom wirklichen Leben rückt.

 

Und das wirkliche Leben spielt sich am Display ab?

Teilweise. Erst neulich habe ich mit einer Mutter gesprochen, die ihrem Sohn verbietet, sein Smartphone in die Schule mitzunehmen. Er und die anderen Mitschüler würden dort den ganzen Tag Ego-Shooter-Spiele spielen, erzählte sie mir.

Ohne Handy habe er jetzt aber auch Schwierigkeiten, soziale Bindungen zu seinen Freunden zu halten. Hier zeigt sich, dass es natürlich Probleme für Eltern, Lehrer und Schüler gibt, die nicht leicht zu lösen sind.

Dies sollte aber nicht zu einem generellen Verbot führen. Sonst werden auch Chancen vergeben, auch einen guten Umgang damit zu vermitteln.

 

Wo sehen Sie die Chancen für den Unterricht?

Smartphones können helfen, Schülerinnen und Schülern mit unterschiedlichen Begabungen verschiedene Aufgaben zu stellen und in der Ausbildung differenzierter und inklusiver zu werden.

Das Handy hat auch einen demokratiepolitischen Nutzen. Lehrer können etwa Schulrelevantes mit ihren Schülern in sozialen Netzwerken diskutieren. Die spielebasierte Lernplattform Kahoot! ist ebenso ein beliebtes Tool unter Lehrern.

Schüler können hier mithilfe von einem Quiz lernen. Außerdem schaffen Handys Begegnungsräume und fördern die Integration von Migranten, etwa mithilfe von Sprachspielen und Übersetzungsprogrammen.

 

„Wir brauchen keine Fabriksarbeiter, die programmieren, sondern kritische junge Menschen, die Auswirkungen neuer Technologien reflektieren.“

 

Das klingt alles sehr positiv. Was sagen Sie Lehrerinnen und Lehrern, für die Handys im Unterricht ein reiner Störfaktor sind?

Es braucht definitiv eine Reglementierung der Nutzung. Schüler müssen auch lernen, eine Zeit lang ohne das Handy auszukommen. Und sie brauchen natürlich auch Regeln.

Wenn man sich zum Beispiel in einen Kreis setzt und miteinander diskutiert, dann hat das Smartphone nichts am Tisch verloren.

Digitale Geräte in gewissen Situationen nicht zu benutzen, ist genauso eine digitale Kompetenz, die Schüler in der Schule lernen müssen. Das Handy unkontrolliert im Unterricht zuzulassen, kann dazu führen, dass es ein Störfaktor wird. Das ist nicht das Ziel.

 

Länder wie Estland treiben ganz gezielt eine Digitalisierungsstrategie voran. Ein Best-Practice-Beispiel für Österreich?

Derzeit kümmern wir uns vordergründig um die Technologie, indem wir und unsere europäischen Nachbarn zum Beispiel Klassen mit Tablets ausrüsten.

Aber es geht nicht um die Technologie, sondern um die Denkweisen, die hinter der Technologie stehen. Wir brauchen keine Fabriksarbeiter, die programmieren können, sondern kritisch denkende junge Menschen, die Auswirkungen neuer Technologien reflektieren und einzusetzen wissen.

 

„Es geht nicht um die Technologie, sondern um die Denkweisen, die hinter der Technologie stehen.“

 

Wie soll das geschehen?

Lehrer können sich mit Schülern gemeinsam neue, interaktive Lernhilfen erarbeiten und so auch von der Expertise der Schüler lernen. Die Wissenschaft muss verstehen, wie die Realität an den Schulen aussieht, damit die Potenziale der Digitalisierung auch dort genutzt werden können.

Hier braucht es Brückenbauer. Nur wenn Akteure aus Wissenschaft, Politik und Ausbildung zusammenarbeiten, können wir die Zukunft an den Schulen sinnvoll gestalten.

 

Zur Person

Christopher Frauenberger ist Wissenschafter im Bereich Interaktionsdesign an der Technischen Universität Wien. Er ist Leiter eines Forschungsprojekts, bei dem gemeinsam mit autistischen Kindern Technologien entwickelt werden.

Frauenberger hat an der TU Graz studiert und sein Doktorat an der Queen Mary University of London absolviert.

 

 

 

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Ein Beitrag aus dem Was jetzt-Magazin, Ausgabe 2/18

 

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