Bildung und Beruf

„Über Fachkräftemangel brauchen wir uns nicht zu wundern“

Warum Lehrberufe bei Jugendlichen ein schlechtes Image haben und ein Studienabschluss nicht immer mit einem Aufstieg verbunden ist, erklärt Jugendforscher Bernhard Heinzlmaier im „Was jetzt“-Interview.

Von Manuela Tomic - 14. November 2018


Der Karriereweg der Eltern bestimmt häufig auch die eigenen Berufsentscheidungen. Wie groß ist dieser Einfluss?

Natürlich kommt dem persönlichen Umfeld große Bedeutung zu. Bei Lehrlingen wissen wir, dass der Einfluss der Eltern besonders groß ist, da sie ihre Berufsentscheidung sehr früh treffen.

Was die heutige Generation von früheren unterscheidet, ist, dass sie die Eltern wieder viel stärker in ihre Berufs- und Studienwahl mit einbezieht, als es noch vor 20 oder 30 Jahren der Fall war. Wir haben gewissermaßen eine Renaissance des Elterneinflusses als ganz wichtige Berater und Feedback-Geber.


Welche Generationen-Unterschiede sehen Sie noch?

In der aktuellen Debatte um die so genannte „Generation Y“ gibt es einen grundsätzlichen Irrtum: Die Charakterisierungsmerkmale, wie Abenteuerfreude oder Selbstverwirklichung, treffen nur auf eine kleine Gruppe zu, die zur Oberschicht gehört.

 

„Die Mehrheit der Jugendlichen baut auf drei Dinge: Geld, Sicherheit und Ansehen.“

 

Das sind die Hochqualifizierten 15 bis 20 Prozent, die durch die Welt reisen und einen anderen finanziellen Hintergrund haben. Internationale Beratungsfirmen beschäftigen sich häufig mit dieser Minderheit, wenn sie auf der Suche nach hochqualifizierten Kräften sind. Die Bedürfnisse dieser jungen Menschen haben jedoch nichts mit der Masse zu tun.

Die breite Mehrheit der Jugendlichen baut bei der Berufsauswahl nach wie vor auf drei Dinge: Geld, Sicherheit und Ansehen. Sie möchten ein verlässliches Unternehmen und streben ein minimales Risiko an.

Nur dreißig Prozent von ihnen absolvierten im Rahmen ihrer Berufsausbildung einen Auslandsaufenthalt. In den oberen Schichten sind es zwei Drittel. Man muss, um Jugendliche bestmöglich bei der Berufswahl zu unterstützen, wieder den Blick auf die Normalität richten.

 

Ist das österreichische Bildungssystem zu wenig durchlässig?

Ganz im Gegenteil würde ich sagen, es ist durchlässiger geworden. Jugendliche aus den mittleren und unteren sozialen Schichten können heutzutage bessere Qualifikationen anstreben. Auch durch die Einführung der Fachhochschulen ist in diesem Bereich einiges gelungen.

Das neue Problem jedoch ist, dass diese hohen Qualifikationen keinen beruflichen Aufstieg mehr mit sich bringen. Die Vermassung der Bildungsabschlüsse hat dazu geführt, dass sie an Wert verloren haben.

 

„Die Aufstiegserwartungen nach einem Studium können längst nicht mehr garantiert werden.“

 

Das bedeutet, dass ein Bachelor-Absolvent trotz seines akademischen Abschlusses nicht unbedingt mit einem besseren Gehalt in den Arbeitsmarkt einsteigt.

Das zweite Problem ist, dass mit Studienabschlüssen immer noch Aufstiegserwartungen zusammenhängen, die aber längst nicht mehr garantiert werden. Letztendlich werden diese Abschlüsse trotzdem angestrebt, weil das gehobene Ansehen eine starke Relevanz hat.


Sollten BMHS und die Berufsschulen die Chancen einer Berufsausbildung besser kommunizieren?

Das müsste auf jeden Fall geschehen. Denn Bachelor-Abschlüsse sind längst Massenware geworden. Um sich am Arbeitsmarkt durchzusetzen, sind letztendlich Zusatzqualifikationen und Soft Skills gefragt, die vielleicht nicht zum typischen Werdegang passen und breit gefächert sind.

Ein Abschluss alleine garantiert in der Regel gar nichts. Ich sehe hier auch ein gesellschaftliches Problem. Wenn jungen Menschen kommuniziert wird, der Bundeskanzler habe nur eine Matura und sei dadurch nicht als Kanzler geeignet, dann darf man sich nicht erwarten, dass die Jugendlichen frohen Mutes eine Facharbeiterausbildung machen.

Dieses Streben nach Image und Abschlüssen kommt aus dem Bildungsbürgertum. Schulen können aber genau hier ansetzen und solche Prozesse mit Schülerinnen und Schülern reflektieren.

 

„Jungen Menschen wird oft kommuniziert, dass eine Matura nichts wert ist.“

 

Ein Tischler am Land kann am Ende des Tages mehr verdienen als ein Bachelor der Sozialwissenschaft. Aber der Bachelor genießt trotzdem ein höheres Ansehen in der Gesellschaft. Und da müssen wir alle gemeinsam ansetzen.

Sowohl Betriebe als auch Lehrerinnen und Lehrer sowie Eltern sollten jungen Menschen nicht täglich signalisieren, dass jemand, der keine Matura hat, weniger wert ist.

In Österreich sollte man sich ebenso davon verabschieden, akademische Titel auf Visitenkarten zu drucken. Auch das ist ein Zeichen an junge Menschen. Und da brauchen wir uns nicht wundern, dass uns Facharbeiter fehlen.


Was können Betriebe unternehmen, um Lehrlinge für das Unternehmen zu interessieren?

Sie sollten sich umstellen und offener werden. Wir leben in einer Hashtag-Gesellschaft, in der es für alles ein Schlagwort gibt. Das spiegelt sich auch im Bewerbungsprozess wider.

 

„Unternehmen sollten auch atypische Lebensläufe in Betracht ziehen.“

 

Die Lebensläufe der Kandidaten werden nach bestimmten Standards gescannt und erst in einem zweiten Schritt folgt die Auslese durch die Beachtung sekundärer Merkmale.

Hier wird es in Zukunft notwendig sein, auch atypische Lebensläufe in Betracht zu ziehen und die entsprechenden Bewerber zu Gesprächen einzuladen.


Was können Schulen tun, um jungen Menschen die Orientierung im Berufsleben zu erleichtern?

Lehrer haben hier nur einen marginalen Einfluss auf die Schüler. Schulen könnten aber Persönlichkeiten aus dem Berufsleben verstärkt in die Lehrinhalte einbeziehen und quasi als Mentoren in die Klassen einladen.

Wenn Schülerinnen und Schüler sich ein Bild davon machen können, wie ein Tischler, ein junger Entrepreneur oder ein Elektrotechniker arbeitet und wie viel dieser oder diese verdient, haben sie ihren Horizont für die Berufswahl erweitert.

 

„Lehrer, die früher in der freien Wirtschaft tätig waren, sind ein großer Gewinn für die Schulen.“

 

Unternehmer können bei den Schülern so mobilisierende Effekte auslösen. Der Beruf wird dann für den Schüler greifbar und weniger abstrakt.

Außerdem können Schulen nicht früh genug mit Berufstests und der Berufsorientierung anfangen. In einem weiteren Schritt gilt es auch, Menschen, die früher selber in der freien Wirtschaft tätig waren, für den Lehrerberuf zu begeistern. Je mehr Lehrer wir haben, die früher in der freien Wirtschaft tätig waren, desto größer ist der Gewinn für die Schulen.


Zur Person

Bernhard Heinzlmaier ist seit über zwei Jahrzehnten in der Jugendforschung tätig. Er ist Mitbegründer des Instituts für Jugendkulturforschung und seit 2003 ehrenamtlicher Vorsitzender. Hauptberuflich leitet er das Marktforschungsunternehmen tfactory in Hamburg.

Seine Arbeitsschwerpunkte sind Praxiskonzepte Jugendpolitik, Freizeitforschung, Jugend und Gesundheit, Lifestyleforschung sowie Zielgruppenkommunikation.

 

 

Mehr

International-Schwerpunkt: Hinein in den Beruf, hinaus in die Welt
Interview: „Die Schulen müssen sich mehr am Arbeitsmarkt orientieren“
Der Super-Lehrling aus Wundschuh
EuroSkills 2018: Budapest sehen und siegen

 

Ein Beitrag aus der Was jetzt-Redaktion.

 

Diesen Artikel teilen: