Schwerpunkt: Orientierung
Wie Facebook unseren Alltag im „Metaverse“ virtualisieren will
Facebook-Chef Mark Zuckerberg möchte künftig in seinem „Metaverse“ unsere physikalische Welt mit der virtuellen Welt verschmelzen. The next big Thing? Oder zum Scheitern verurteilt? Und was könnte das für das Lernen bedeuten?
Florian Wörgötter - 25. November 2021
Alle Jahre wieder geistert ein neuer Hype um Virtual Reality durch die Medien. Die meisten davon haben eines gemeinsam: Sie bleiben virtuell. Facebook-Chef Mark Zuckerberg kündigt nun den Hype der Hypes an. Mitten im Kreuzfeuer der Kritik stehend tauft er das Facebook-Mutterunternehmen in Meta um und verschreibt seine Mission dem Metaverse – einer Cyberwelt, in der sich unsere physikalische Realität mit der erweiterten Realität (Augmented Reality, AR) und der virtuellen Realität (Virtual Reality, VR) verbinden soll.
Dieses „Metaverse“ sollen Menschen nicht nur am Computer betrachten, sondern mit einer VR-Brille am Kopf auch betreten können und mit einer Handschuh-Technologie sogar anfassen können. Das Ziel: Eine VR-Brille soll nicht mehr nur für Computerspiele verwendet werden, sondern für praktisch alle unsere Lebensbereiche: das kollaborative Arbeiten, das Einkaufen, den Sport, die Wohnraumgestaltung, den Urlaub, Konzerte, Kunst und Kino. Daher investiert Facebook auch Milliarden, um diese Cyberwelt in den nächsten zehn bis 15 Jahren aufzubauen.
Dabei trifft die Vorstellung, dass wir uns in der virtuellen Realität auch wohlfühlen könnten, den Nerv der Zeit der Pandemie. Seit dem ersten Lockdown hat sich das Wort „virtuell“ in die Alltagsrealität der breiten Masse eingeschrieben – wir besprechen uns in virtuellen Meetings, besuchen virtuelle Konferenzen und lehren und lernen im virtuellen Unterricht. Da verwundert es kaum, dass Tech-Giganten wie Facebook, aber auch Microsoft aus diesen einzelnen virtuellen Räumen eine gesamte Welt entwerfen wollen.
Virtuelle Welt, reale Belastung
Laut dem deutschen Digital-Experten Jörg Schieb versuche Zuckerberg, sein soziales Netzwerk von der 98-prozentigen Abhängigkeit von Werbeeinnahmen loszulösen und warnt vor Facebooks Marktmacht. „Wenn Zuckerberg ein solches Metaverse ,beherrschen‘ könnte, würde er nicht nur die Regeln vorgeben und Lizenzen herausgeben, sondern auch an jeder einzelnen Finanz-Transaktion verdienen“, sagt Schieb im Interview mit der Deutschen Welle.
Abgesehen davon würde ein „Metaverse“ gigantische Rechenzentren erfordern, deren Energieaufwand den CO2-Ausstoß enorm erhöhen würden. Die Kosten, eine künstliche Welt zu erhalten, könnten besser in das Aufhalten des realen Klimawandels gesteckt werden, womit aber wenig bis gar kein Geld verdient werden könnte, so Schieb.
Keine Angst vor VR
Wie so oft sucht die Tech-Branche nach neuen Möglichkeiten, sich weiterzuentwickeln und neue Geschäftsfelder zu eröffnen. Der Hype zum „next big Thing“ wird dadurch befördert, dass Investoren und Investorinnen keinen neuen Goldrausch verpassen wollen. Entscheidend für die soziale Akzeptanz einer Innovation bleibt jedoch immer der gesellschaftliche Nutzen und wie der Mainstream sie nutzen wird.
„Angst davor brauchen wir nicht zu haben“, sagt die österreichische VR-Expertin Johanna Pirker im derStandard-Interview. Die preisgekrönte Forscherin der TU Graz betont, dass ein komplexes, abstraktes VR-Gesamtsystem wie das „Metaverse“ noch eine weit entfernte Vision sei, die auch nicht alleine in der Hand von Mark Zuckerberg liege. Damit die virtuelle Realität einen „positiven Nutzen, sinnvolle und spannende Anwendungsszenarien und vor allem Sicherheit bietet“, sei es wichtig, dass „digitale Welten für uns alle erstens mit uns gestaltet werden und unsere Bedürfnisse einschließen und zweitens gemeinsam mit Expertinnen und Experten unterschiedlichster Bereiche gestaltet werden – angefangen im Bereich Soziologie bis hin zur Psychologie“, meint Pirker.
Tatsächlich plant Mark Zuckerberg, der bekannt dafür ist, Konkurrenten wie Instagram oder WhatsApp einfach aufzukaufen, mehr auf Kollaboration zu setzen. Vor kurzem gab Facebook bekannt, mehrere Institute zu fördern, damit diese Programme zur Digital Literacy von Kindern und Jugendlichen entwickeln, um deren „Sicherheit und Wohlbefinden“ im „Metaverse“ zu steigern.
Lernen im Metaverse
Auch das Lernen anhand von VR-Brillen soll weiterentwickelt werden. Daher investiert Facebook 150 Millionen US-Dollar in das „immersive Lernen“ – konkret in die Ausbildung von Entwickler/innen, damit diese auch Zugang zu Geräten haben, um virtualisierte Lerninhalte wie im folgenden Video erstellen können.
Zum Beispiel: Eine VR-Brille holt das Sonnensystem samt seinen planetarischen Eigenschaften vor die Linse, ermöglicht einen hautnahen Tauchgang bei den Fischen des Great Barrier Reefs oder eine Zeitreise ins alte Rom, wo Schicht für Schicht der Bau des Forum Romanums illustriert wird. Dafür möchte Meta auch mit Bildungsinstitutionen kooperieren.
Wobei eines gewiss ist: Ihre Schüler/innen werden die Idee des Metaverse schneller erfassen können als manche ihrer Eltern. Denn gerade die Gamer/innen unter ihnen bewegen sich bereits in virtuellen Welten von Multiplayer-Spielen wie „Fortnite“ oder „World of Warcraft“, in denen sie echtes Geld in ihre Avatare investieren, in ihr Aussehen, ihre Fähigkeiten, ihre Waffen, ihren Status. Die Grenze zwischen online und offline ziehen Digital Natives kaum noch.
Es gibt kein Second Life
Der Journalist Dirk Walbrühl warnt auf Perspective Daily davor, dass ein „Metaverse“ die digitale Welt zu einem „Anderswo“ hochstilisieren würde. Ein Ort, an dem andere Regeln gelten würden als im real life. Diese Sicht auf das Internet führe dazu, dass sich Hass im Netz kompromissloser verbreitet und die Politik die virtuelle Welt als Problemviertel entschuldige, anstatt sie als Spiegel der Gesellschaft zu begreifen.
Vermutlich würde Mark Zuckerberg darauf antworten, dass sein Metaverse diese vermeintliche Grenzziehung der Realitäten ohnehin aufheben möchte und wir alle künftig nicht mehr zwischen digitaler und analoger Realität unterscheiden werden, wenn wir mit VR-Brille am Kopf unsere Wohnung mit schicken Möbeln einrichten, unseren Astronautenanzug vom Kleiderständer anziehen, unsere Freunde nur mehr als Roboter-Avatar treffen und selbstgebastelte 3D-Kunst als Hologramm vorführen.
Doch bis es soweit kommt, werden noch einige Nullen und Einsen den virtuellen Bach hinunter laufen – und vielleicht haben wir bis dahin die Pandemie hinter uns gelassen und finden keinen Grund mehr, uns in virtuelle Räume einzusperren.
Im Artikel zur Initiative Kunst:Bildung finden Sie diverse Online-Kurse für Schulen, in denen Künstler/innen einen künstlerisch-kritischen Umgang mit digitalen Medien innerhalb und außerhalb der virtuellen Realität demonstrieren.
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