Schwerpunkt: Wandel

Heidi Schrodt: „Mangel an Feedback hat strukturelle Gründe“

Bildungsexpertin Heidi Schrodt sieht die neue Lehrerbewertungsapp als „Hilfeschrei“ und plädiert dafür, institutionalisiertes Feedback an den Schulen zu schaffen. Auch mehr Autonomie für die Schulen wünscht sie sich.

Von Florian Bayer - 4. März 2020

 

Frau Schrodt, verstehen Sie die Aufregung rund um die neue Lehrerbewertungs-App „Lernsieg“?

Ja, denn man wird in seinem Beruf, mit vollem Namen, öffentlich bewertet. Für mich ist das fragwürdig und hat nichts mit meiner Einstellung zu Feedback zu tun.

Dass es so eine App gibt, ist aber wohl Folge dessen, dass wir überhaupt keine Feedbackkultur in der Schule haben.

 

Heidi Schrodt ist Vorsitzende der Bildungsinitiative „BildungGrenzenlos“, die sich für mehr Offenheit und Innovationsbereitschaft im Bildungssystem engagiert. Foto: privat

 

Warum ist die App aus Ihrer Sicht problematisch?

Ich kenne keine andere Berufsgruppe, die derart zur Schau gestellt wird. Fragwürdig ist auch die Aussagekraft: Es kann auch sehr guten Lehrkräften passieren, dass sie ein Jahr lang mit einer Klasse nicht zurechtkommen. Da versagt mehreres auf einmal.

Die neue App ist vielleicht sogar ein Hilfeschrei der Schüler/innen. Wenn das Ministerium und die Bildungsdirektionen klug sind, werden sie darauf reagieren und alles daran setzen, mehr Feedback in der Schule zu etablieren. Aber das geht natürlich nicht von heute auf morgen, da ist noch viel zu tun.

Was müsste passieren? 

Feedback soll nicht nur zwischen Lehrer und Schüler stattfinden, sondern auch zwischen Lehrpersonen und mit den Eltern. Das ist bei uns noch sehr ausbaufähig.

Das hat vor allem strukturelle Gründe, weil die Bürokratie das Personal oft derart auslastet, dass keine Zeit mehr bleibt.

Hat sich denn, Ihrer Erfahrung nach, im Lauf der letzten Jahre etwas zum Besseren geändert?

Ich habe Mitte der 1970er an einer neuen Schule zu unterrichten begonnen. Unser Team war jung und wir haben gemeinsam unsere Projekte geplant und uns Rückmeldungen gegeben.

Heute ist das nicht mehr so ungewöhnlich wie damals, doch nach wie vor lassen sich viele Lehrkräfte lieber nicht in die Karten schauen.

Auch habe ich mit selbstgemachten Fragebögen die Schülerinnen und Schüler meinen Unterricht bewerten lassen. Da muss man schon auch mit kritischen Antworten rechnen, dennoch war ich sehr froh darüber, weil man selbst manches übersieht, manch Gutgemeintes des eigenen Unterrichts schlecht ankommt etc.

Wie sieht modernes Feedback aus?

Inzwischen gibt es gute Instrumentarien, mit denen man arbeiten kann, u. a. auch von den Bildungsdirektionen und vom Ministerium bereitgestellt. Aber sie werden noch zu wenig benutzt.

Ein großes Problem ist, dass schlechte Lehrkräfte kaum je gekündigt werden. Versetzt zu werden, ist die schlimmste Konsequenz, und auch das erst nach jahrelangen Problemen – man bleibt im System, dann eben an einer anderen Schule. Das entscheidet aber nicht die Direktion.

Wie könnte es besser gehen?

In vielen Ländern, etwa in Großbritannien oder Schweden, haben Schulen ein hohes Maß an Autonomie. Sie suchen sich ihre Lehrer-/innen aus und sind dann auch für sie verantwortlich.

An einer Brennpunktschule in London, die ich kenne, müssen angehende Lehrer/innen erst für einige Stunden unterrichten, bevor sie überhaupt in die engere Auswahl eines Bewerbungsverfahrens kommen.

Wie beurteilen Sie das Regierungsübereinkommen von Türkis-Grün?

Es sind einige positive Absichtserklärungen dabei, etwa dass Elementarpädagogik und ganztägige Schulangebote ausgebaut werden. Auch dass „Deutsch als Fremdsprache“ in die Lehrerausbildung kommt und dass Schulen mehr Spielraum bei den Deutschförderklassen haben sollen, ist positiv.

Allerdings wird die Entscheidung, ob man eine höhere Schule besuchen kann oder nicht, bereits in die dritte Klasse Volksschule vorverlegt. Das ist eine versteckte Aufnahmeprüfung, obwohl längst klar ist, dass diese Trennung zu früh und zu wenig aussagekräftig ist.

Warum ist das problematisch?

Unser Schulsystem ist ohnehin sozial ungerecht und es ist äußerst schwer, via Schule sozial aufzusteigen. Kinder, die schon mit Entwicklungsrückständen in die Schule kommen, bekommen künftig noch früher negative Rückmeldungen. Es trifft die besonders, die zuhause nicht nachholen können, was sie oft herkunftsbedingt nicht wissen oder nicht können.

Es ist bedauerlich, dass die Maßnahmen der Vorgängerregierung Bedingung für die Koalition mit den Grünen waren: Die getrennten Deutschklassen, das Sitzenbleiben ab der zweiten Schulstufe und die verpflichtenden Ziffernnoten.

Würden Sie die Ziffernnoten in der Volkschule gleich ganz abschaffen?

Sie sind nicht notwendig, aber ich würde die Entscheidung der jeweiligen Schule überlassen. In Finnland gibt es erst gegen Ende der Schulpflicht Ziffernnoten, sowohl Schüler wie auch Eltern bekommen aber im Wochenrhythmus Rückmeldung, wo sie gerade stehen.

In anderen Ländern gibt es Punktesysteme. Das Wesentliche ist, dass ich jedes Kind so weit wie möglich bringe. Ich bin absolut für hohe Erwartungen, Schülerinnen und Schüler sollen gefordert werden. Dafür brauche ich aber keine Ziffernnoten.

Was braucht es dann?

Die Schüler müssen ganz genau wissen, was sie brauchen, um an diesen und jenen Punkt zu kommen. Die Lernziele müssen klar sein.

Viele, auch gebildete Menschen sind nach wie vor der Meinung: Noten gleich Leistung. Sie glauben, wer gegen Noten ist, sei auch gegen Leistung. So kennt man es und so hat man es selbst erlebt, es bleibt aber ein fataler Fehlschluss.

Warum ist es generell so schwierig, Reformen im Bildungsbereich umzusetzen?

Ich glaube nicht, dass die Lehrer/innen gegen Reformen sind. Das Problem ist vielmehr, dass mit jeder Regierung neue Teilreformen kommen, durch die sich aber nie wirklich etwas ändert, sondern nur noch die Bürokratie zunimmt.

Beim Supportpersonal belegen wir innerhalb aller OECD-Länder den letzten Platz, da braucht es mehr Anstrengungen und Ressourcen. Dasselbe in Sachen Schulautonomie und Gestaltungsspielraum.

Bei uns muss man seitenlange Anträge für Schulversuche schreiben, anderswo, in Finnland oder England, machen die Schulen das einfach – und es funktioniert.

 

Zur Person:

Heidi Schrodt studierte Lehramt Deutsch und Englisch und unterrichtete 17 Jahre lang an mehreren AHS. 1992 wurde sie Direktorin der Wiener AHS Rahlgasse und blieb es bis zu ihrer Pensionierung 2010. Außerdem ist Schrodt Vorsitzende der Bildungsinitiative BildungGrenzenlos, die sich für mehr Offenheit, Sachlichkeit und Innovationsbereitschaft im Bildungssystem engagiert.

 

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Ein Beitrag aus der Was jetzt-Redaktion.

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