Schwerpunkt: Medienkompetenz

Peter Filzmaier: Einen Wahlkampf im Unterricht analysieren

Wien-Wahl 2020: Politikwissenschafter Peter Filzmaier erklärt im Interview, wie Schüler/innen einen Wahlkampf im Unterricht kritisch hinterfragen lernen und was Lehrkräfte über Wahlwerbung auf Instagram und YouTube wissen sollten.

Florian Wörgötter - 1. Oktober 2020

Politikwissenschafter Peter Filzmaier erklärt, wie Lehrkräfte einen Wahlkampf im Unterricht analysieren können. Was jetzt – Peter Filzmaier © A&W

Politikwissenschafter Peter Filzmaier gibt Tipps, wie Lehrkräfte einen Wahlkampf im Unterricht analysieren können.

Peter Filzmaier ist bekannt für seine messerscharfen Politik-Analysen, die er im ORF druckreif ausspuckt wie ein Computer. Der Politik-Professor lehrt Demokratiestudien und Politikforschung an der Donau-Universität Krems und Politische Kommunikation an der Karl-Franzens-Universität Graz. Außerdem schreibt der Wiener auch Bücher sowie Kolumnen und ist Geschäftsführer des Institut für Strategieanalysen (ISA). Wir haben ihn vor der Wien-Wahl 2020 am 11. Oktober zum Thema Wahlkampf im Unterricht befragt.

Im Was jetzt-Interview erklärt der Politikexperte der Nation, wie Parteien die Jugend online wie offline erreichen können/wollen, wie Lehrkräfte das nötige Faktenwissen zum Wahlkampf im Unterricht beibringen und warum für die Jugend Wählen cooler sein sollte als Nicht-Wählen – auch wenn die Ideologien der Parteien sie nicht abholen.

Was jetzt: Herr Professor Filzmaier, hat die Jugend noch Bock auf Parteipolitik?

Peter Filzmaier: Beim Thema Jugend und Politik lassen sich die Umfragedaten so zusammenfassen, dass das politische Interesse oft mittelmäßig bis mäßig ist. Doch dazu muss man fairerweise ergänzen, dass weder früher alles besser war noch Erwachsene sich zwangsläufig mehr interessieren. Der einzige Unterschied: Junge Menschen fangen mit traditioneller Parteipolitik noch weniger an, ihr Politikverständnis ist allgemeiner.

Was sollten Lehrkräfte ihren Schüler/innen beibringen, damit diese einen Wahlkampf im Unterricht kritisch hinterfragen lernen?

Erstens natürlich Faktenwissen. Wer nicht einmal weiß, wer wofür wie gewählt werden kann und welche Kompetenzen Landtag und Gemeinderat sowie die Stadtregierung haben, der kann auch im Wahlkampf nichts hinterfragen.

Mindestens genauso wichtig ist zweitens die Kommunikationslehre. Denn alle Kampagnen haben ja das Ziel der Überredung, uns zu einem bestimmten Wahlverhalten zu bringen, also uns einseitig zu beeinflussen.

Drittens müssen die Themen des Intensivwahlkampfes inhaltlich aufbereitet werden. Ja, und ich weiß, die Summe dieser drei Punkte stellt eine hohe Anforderung für Lehrkräfte dar. Nur kann man nichts davon guten Gewissens einfach weglassen.

Was haben Sie im Wien-Wahlkampf 2020 beobachtet: Welche Aktionen der Parteien richten sich an die Jugend? Welche davon können die Jugend auch erreichen?

In meiner Wahrnehmung gab es weder irgendeine sensationelle Aktion noch steht die Jugend im Mittelpunkt. Ja, es gab zum Beispiel die Sperre einer Straße für einen autofreien Tag durch die Grüne Jugend, doch konsequenten Aktionismus sehe ich kaum.

Das ist gar nicht negativ gemeint: Es werden ja durchaus Themen diskutiert, die für Jugendliche gerade in Coronazeiten bedeutend sind, etwa Bildungs- und Jobchancen oder die Möglichkeit, gerade jetzt eine Lehrstelle zu finden.

„Für eine Wahlkampf-Analyse sollten Schüler/innen lernen: Wer kann wofür gewählt werden? Wie wollen Kampagnen beeinflussen? Welche Themen bestimmen die Wahl?“

Dass der Jugendwahlkampf generell nicht so bedeutend ist, das resultiert außerdem aus einem rechnerischen Phänomen: In der Wählerschaft sind viel mehr über 50-Jährige und besonders Pensionisten und Pensionistinnen vertreten, das wissen auch die Parteien …

Mit welchen Strategien versuchen die einzelnen Parteien, die Jugend über Social Media zu erreichen? Welchen Politikern und Politikerinnen gelingt das?

Die Jugendorganisationen aller Rathausparteien spiegeln auf ihren Profilen in sozialen Medien großteils die Themenpositionen ihrer Mutterpartei wider. Inhaltliche Abweichungen gibt es kaum, was Geschlossenheit signalisiert.

Während einer Pandemie ist nicht der richtige Zeitpunkt für allzu schräge Kommunikationsformen wie einst das „Geilomobil“ der Jungen ÖVP unter Sebastian Kurz. Coronabedingt sind auch die Spitzenkandidaten und -kandidatinnen mit wagemutigen Eigenaktivitäten zur Jugendansprache allesamt eher defensiv und überlassen das ihren Social-Media-Teams.

Ich halte das für richtig, denn es ist vom Alter und/oder Typ her niemand dabei, der sich als moderner Influencer eignet. Die passen alle mehr in traditionelle Medien.

Was sollten Jugendliche über bezahlte Wahlwerbung auf Instagram oder YouTube wissen, damit sie solche auch richtig einordnen können?

Die für die Beurteilung einer Wahlkampfbotschaft theoretisch einfache Frage lautet: Wer sagt was mit welcher Absicht? In der Praxis ist die Antwort freilich schwierig.

Zunächst einmal müssen nicht nur Jugendliche richtig erkennen, dass es Werbung ist und wer diese platziert. Hier sind in neuen Medien nicht einmal „false flag“-Aktionen mit falscher Identität auszuschließen. Für die Einordnung muss ich etwa wissen, ob eine Partei nicht vor kurzem das glatte Gegenteil beworben hat. Oder im Werbespot objektiv Unsinn behauptet oder völlig unrealistische Sachen verspricht.

„Die für die Beurteilung einer Wahlkampfbotschaft theoretisch einfache Frage lautet: Wer sagt was mit welcher Absicht? In der Praxis ist die Antwort freilich schwierig.“

All das zu erkennen, da hilft nur ein größtmögliches Wissen über Politik und Parteien. Eine Hilfe ist es, Berichte und Analysen in mehreren Medien zu verfolgen, was jedoch als Nutzungskompetenz verlangt, seriöse und unseriöse Quellen zu unterscheiden.

Versuchen die Parteien auch schon auf TikTok ihr Glück bei den Jungen?

Ja, wobei ich Ihre Formulierung „das Glück versuchen“ treffend finde. Eine spektakuläre Großaktion wie in den USA, als – übrigens von einer gar nicht jungen Oma initiiert – Nutzer/innen von TikTok mit Scheinanmeldungen bewirkten, dass eine Veranstaltung von Donald Trump ganz schlecht besucht war, so etwas gibt es in Wien nicht.

Auch wenn TikTok selbst viele Nutzer/innen bejubelt, so bezweifle ich zudem, ob bei dieser Wahl die Zielgruppe „Erstwähler/in, 16 bis 20 Jahre und in Wien wahlberechtigt“ bereits groß genug ist, um großartige Parteikampagnen zu rechtfertigen. Da gibt es via Facebook & Co einfach mehr Stimmen zu holen.

Welche Partei hat tendenziell die größte Chance bei Schülerinnen und Schülern?

Bisherige Studien zeigen, dass junge Menschen – egal ob noch in der Schule oder nicht – im Vergleich zum Gesamtergebnis aller Altersgruppen seltener Parteien in der Mitte wählen. 2015 waren in Wien bei den unter 30-Jährigen Grüne und Neos überdurchschnittlich stark. Doch 2020 werden die Karten natürlich neu gemischt.

„Bei der Wien-Wahl 2015 waren bei den unter 30-Jährigen Grüne und Neos besonders stark. 2020 werden die Karten neu gemischt.“

72.000 Wiener/innen zwischen 16 und 24 sind vom Wahlrecht ausgeschlossen, weil sie keine österreichische Staatsbürgerschaft besitzen. Viele von ihnen sind hier geboren und lernen in der Schule Politische Bildung. Braucht es eine Wahlrechtsreform, weil sonst der Demokratie die Jungwähler/innen ausgehen?

Das Alter der Wähler/innen ist hier nicht der entscheidende Punkt, weil aus politikwissenschaftlicher Sicht ist das eine altersunabhängige Grundsatzfrage. Es ist naheliegend, das Wahlrecht mit der Staatsbürgerschaft als Merkmal der Zugehörigkeit zu einem politischen System zu verbinden. Doch kann man genauso argumentieren, dass ja alle in Wien lebenden Menschen von den Entscheidungen der Politik betroffen sind, nicht nur österreichische Staatsbürger/innen.

Ein dementsprechendes „Ausländerwahlrecht“ würde allerdings eine Änderung der Bundesverfassung mit Zweidrittelmehrheit verlangen, was ich ausschließe. Eine Ergänzung noch: EU-Staatsbürger/innen dürfen in Wien auf Bezirksebene wählen.

Wie erklärt man jungen Menschen, dass Wählen wichtiger ist als Nicht-Wählen – auch wenn sie sich von politischen Parteien und deren Ideologien nicht vertreten fühlen?

Eine Beschreibung von Politik ist, dass dort allgemein verbindliche Entscheidungen getroffen werden, die unser aller Zusammenleben regeln. Dazu gehört beispielsweise, wie lange man in die Schule gehen muss und welche Fächer dort unterrichtet werden. Oder ab welchem Alter was erlaubt ist oder nicht – von den Fortgehzeiten über Alkoholkonsum bis zum Sex. Ist all das für einen jungen Menschen unwichtig, so dass er oder sie nicht durch Wählen indirekt mitbestimmen will?

Die Parteien haben zu diesen und anderen Themen sehr unterschiedliche Vorstellungen. Also ist es kaum egal, ob jemand die Mehrheit bekommt, der auch meine Meinung dazu vertritt oder nicht.

Schlussfrage: Was glauben Sie, warum verzichtet HC Strache diesmal auf seinen Rap?

Keine Ahnung. Doch sind 51-jährige Rapper zunehmender Gewichtsklasse für Jungwähler/innen nicht „lame“?

 

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