Schwerpunkt

Aus der Praxis: Wir haben die Wahl

Von der Notengebung über das gezielte Gewähren von Freiheiten bis zum Auftreten vor der Klasse. Vier Lehrerinnen und Lehrer erzählen darüber, wie Entscheidungen Schule machen.

Von Christian Seidel und Christopher Mavric (Fotos) - 9. Jänner 2019

 

 

Streng mit Augenmaß
Markus Fedrigolli, Lehrer für Betriebswirtschaft, EDV und Mathematik mit Internatsdienst an der Weinbauschule Eisenstadt

Eine wichtige Entscheidung steht in der ersten Schulstunde eines jeden Jahres an: Wie präsentiert sich ein neuer Lehrer seinen Schülerinnen und Schülern? Dafür hat Markus Fedrigolli eine Patentlösung: „Sei so streng, wie du es mit dir noch vereinbaren kannst. Lockerer werden kann man immer noch, strenger nicht mehr.“

Ein Ratschlag, den er in seinen Anfangsjahren von einem Kollegen bekommen hat. Seine Schüler seien in einem Alter, in dem sie ausprobieren wollen, wo die Grenzen sind, was erlaubt ist. Und das sollen sie auch, so Fedrigolli.

Die möglichen Reibeflächen gilt es eben gleich am Anfang anzusprechen. Etwa, wie mit Schülern umgegangen wird, die zu spät aus der Rauchpause kommen.

Unentschlossenheit kann er sich kaum erlauben, er arbeitet auch im schuleigenen Internat. Dort muss nicht nur der Alltag, sondern auch das Zusammenleben gemanagt werden – mit all den kleinen Grenzüberschreitungen und Zwisten.

Fedrigolli tritt hier selbstsicher auf, seine Entscheidungen sind gründlich durchdacht. Wer Blödsinn macht, der muss mit Konsequenzen leben. Wer vorher fragt, der kriegt vielleicht – nein, sogar wahrscheinlich – eine Erlaubnis.

 

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Toto macht’s möglich
Sandra Losbichler, Lehrerin für Mathematik und Konstruktions- und Projektmanagement an der Höheren Technischen Lehranstalt in Steyr

Entscheidend ist: Das Projekt „Formula 1 in Schools“ ist für Schülerinnen und Schüler freiwillig. Wer stattdessen lieber ein anderes Langzeitprojekt bestreiten möchte – die Konstruktion eines Modell-Motorboots etwa –, der kann das natürlich tun. Die Bewertungskriterien bleiben die gleichen. Jedoch ist es gut möglich, dass einem dann die Chance auf einen Spaziergang durch die Boxengasse der echten Formel 1 entgeht.

Und zwar gemeinsam mit Mercedes-Teamchef Toto Wolff oder mit Lewis Hamilton. Eine leichte Entscheidung, prinzipiell. Und eine von vielen. Schließlich genießen die Jung-Techniker bei „Formula 1 in Schools“ viele Freiheiten. Design und Materialien der gasbetriebenen Mini-Flitzer können sie selbst bestimmen. Auch die Arbeitseinteilung innerhalb eines bestimmten Zeitplans ist frei.

Selbstständigkeit ist ein wichtiges Lernziel. Denn es geht darum, die Schüler auf das Arbeitsleben vorzubereiten, also wird ihnen so oft wie möglich die Wahl überlassen. Zwischendurch gibt es Feedback-Schleifen, werden die Fortschritte kontrolliert.

Die besonders Motivierten dürfen die Schule auch nach außen vertreten, bei Treffen mit Sponsoren etwa. Oder beim Spaziergang mit Toto Wolff.

 

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Nicht nur eine Frage des Geschmacks
Gerhard Pachschwöll-Kral unterrichtet Kochen an der Höheren Lehranstalt für Tourismus in Krems

Die Liste, die alles entscheidet, hat 17 Zeilen. Konsistenz Schokomousse: drei Punkte. Portionierung Topfenstrudel: zwei Punkte. Farbe und Form der Nusstorte: acht Punkte. Summiert ergeben alle Kriterien maximal 80 Punkte. Es geht um Sauberkeit, Umgang mit den Lebensmitteln, Techniken. Um was es eher nicht geht: Geschmack.

Denn: „Früher habe ich gesagt: So muss die Suppe schmecken! Dann habe ich zwanzig gleiche Suppen bekommen. Jetzt kriege ich zwanzig verschiedene, und drei davon sind besser als meine“, erklärt Pachschwöll-Kral.

Seine Schülerinnen und Schüler wissen, welche Kategorien und wie viele Punkte es gibt und dass dazwischen viel Spielraum für Kreativität liegt. Und im Zweifel entscheidet der Gesamteindruck: Wie motiviert der Schüler wirkt, wie er sich entwickelt, ob seine Stärken eher in der Praxis liegen.

Wie richtig er mit seiner Art der Entscheidungsfindung liegt, lässt sich an dem Feedback, das er immer wieder erhält, ablesen: Dann etwa, wenn sich ein Schüler, der dank guter Soft Skills die bessere Note bekommen hat, sich aus einem 5-Sterne-Hotel auf den Cayman Islands meldet. Oder wenn sich ein internationaler Spitzenkoch per E-Mail für den gut geschulten Jungkoch bedankt.

 

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Das größere Bild
Mira Pfeiffer-Talasz ist Lehrerin für Mode und Projektmanagement, Produktdesign und Werkstofflehre an der Höheren Bundeslehranstalt für Wirtschaftliche Berufe für Tourismus, für Mode und Kleidungstechnik in Oberwart

Entscheidend, um als Lehrerin an einer berufsbildenden Schule tätig zu sein, war der Praxisbezug. Mira Pfeiffer-Talasz sieht sich als kreativen Kopf, der sich austoben will. Eine Einstellung, die sie sich auch von ihren Schülerinnen und Schülern wünscht, die schließlich die gleiche Entscheidung getroffen haben wie sie. Keiner von ihnen ist gezwungen, fünf Jahre auf eine höhere Lehranstalt zu gehen.

Sie entscheiden sich bewusst dafür. Und so ist auch die Arbeitshaltung ein wichtiger Punkt in der Notengebung – neben den technischen Fertigkeiten und der Mitarbeit. Die Eigeninitiative kann den Unterschied zwischen den Noten ausmachen.

Transparenz ist dabei wichtig. Allesamt Entscheidungen, die nicht immer leicht sind. Dann muss Pfeiffer-Talasz mit anderen Lehrerinnen und Lehrern diskutieren. Einerseits versucht sie so, ein größeres Bild zu erhalten, andererseits sieht sie sich auch in der Pflicht, für ihre Schüler einzustehen.

Ganz objektiv. Denn langfristig könne etwa für einen Schüler der Aufstieg in die nächsthöhere Klasse ein größerer Nachteil sein als die Wiederholung der Schulstufe. Ein angeblich „verlorenes Jahr“, sagt sie, könne langfristig auch ein Gewinn sein.

 

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Ein Beitrag aus dem Was jetzt-Magazin, Ausgabe 2/18

 

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