Bildung und Beruf

„Es wird Zeit für eine neue Feedbackkultur“

Jennifer Uzodike, Schülerin der HLW19 in Wien-Döbling, ist seit kurzem neue Bundesschulsprecherin. Im Interview mit Was jetzt plädiert sie für eine verbesserte Ausbildung der Lehrkräfte, 360-Grad-Feedback – und das endgültige Aus für Overhead-Projektoren.

Das Gespräch führte Florian Bayer - 25. September 2019

 

Was ist Ihr Hauptanliegen als neue Bundesschulsprecherin?

Mir ist vor allem die stärkere Mitbestimmung der 1,1 Millionen Schülerinnen und Schüler wichtig, deren Meinung zu bildungspolitischen Fragen derzeit kaum gehört und oft ignoriert wird.

Auch wünsche ich mir mehr Einbindung der Bundesschülervertretung in die verschiedenen bildungspolitischen Gremien, etwa in die Bildungsreformkommission. Aktuell werden wir oft außen vor gelassen und können nicht einmal eigenständig unsere Homepage gestalten.

 

Jennifer Uzodike von der VP-nahen Schülerunion ist seit Mitte September Bundesschulsprecherin. Die 18-Jährige besucht eine Maturaklasse an der HLW19 in Wien und hat sich auf Sozialmanagement spezialisiert. Foto: Alex Krivda

                                                                                                                 

Was erwarten Sie sich von der neuen Regierung?

Unabhängig davon, wie die neue Bundesregierung aussehen wird: Wir wünschen uns mehr Mitbestimmung. Wir werden kurz nach den Parlamentswahlen ein umfassendes Bildungskonzept vorlegen, das wir den Verhandlern der neuen Bundesregierung mit auf den Weg geben.

Zu diesem Zweck haben wir kurz nach Beginn des Schuljahres eine Umfrage gestartet, die sich an alle Schülerinnen und Schüler richtet und sie nach ihren Problemen und Wünschen befragt. Die Umfrage läuft noch bis 29. September, die Ergebnisse werden wir in unser Konzept einfließen lassen.

 

Welche Eckpunkte stehen schon fest?

Wir, also die neugewählte Bundesschülervertretung, wünschen uns mehr Schulautonomie, konkret personelle, finanzielle und pädagogische Autonomie der einzelnen Schulstandorte.

Zwischen den Schulen soll Wettbewerb stattfinden dürfen, wodurch auch das Engagement der einzelnen Schulen steigen wird.

Darüber hinaus treten wir für Umweltschutz, Digitalisierung und zusätzliches Supportpersonal an den Schulen ein.

In Österreich übernehmen Lehrkräfte derzeit ja nicht nur die Aufgabe zu unterrichten, sondern sind nebenbei auch noch Schulpsychologinnen und Schulpsychologen, Erzieherinnen und Erzieher und vieles mehr.

 

„Wir treten für Umweltschutz, Digitalisierung und zusätzliches Supportpersonal an den Schulen ein.“

 

Ein Thema, das viele beschäftigt, ist auch noch die Zentralmatura: Da wurde zwar schon nachgeschärft, es braucht aber noch mehr Vorbereitungsstunden, besser funktionierende Einreichplattformen für vorwissenschaftliche Arbeiten und die zentrale Korrektur der schriftlichen Arbeiten durch unbeteiligte Dritte.

 

Was streben Sie in punkto Digitalisierung an?

In der Vergangenheit wurde oft ausschließlich neue Infrastruktur gefordert, man muss aber auch bei den Lehrkräften ansetzen. An meiner Schule etwa sind noch immer Overhead-Projektoren im Einsatz.

Es braucht mehr Fortbildungen für die älteren, teils auch jungen Lehrkräfte, die Scheu haben, moderne Lernmethoden anzuwenden.

 

Die Fridays For Future-Bewegung ist derzeit ein großes Thema. Sollen Schülerinnen und Schüler streiken gehen dürfen?

Wir haben erst letzte Woche mit Bildungsministerin Iris Eliisa Rauskala einen Erlass für den Earth Strike am 27. September erarbeitet, Schülerinnen und Schüler dürfen also dem Unterricht fernbleiben. Wichtig ist dabei nur, dass es eine Begleitperson vonseiten der Schule gibt, damit die Aufsichtspflicht erfüllt ist.

 

„Wir rufen nicht aktiv zur Teilnahme an Fridays For Future auf.“

 

Grundsätzlich stehen wir natürlich für Klimaschutz ein und unterstützen die Fridays For Future-Bewegung. Wir rufen allerdings nicht aktiv zur Teilnahme auf, denn die steht natürlich jedem und jeder frei.

Natürlich entstehen dadurch Fehlstunden und man muss Stoff nachlernen – jede Schülerin, jeder Schüler soll selbst entscheiden, ob er das tun kann und will.

 

Eine Ihrer Forderungen lautet „360-Grad-Feedback“. 

Die Zeit ist reif für eine neue, konstruktive Feedbackkultur in der Schule. Lehrkräfte sollen Schülerinnen und Schülern Rückmeldungen geben, und zwar nicht nur in Form von Noten. Umgekehrt sollen auch Lehrkräfte durch ihre Schülerinnen und Schüler verbal bewertet werden.

Dieses Feedback soll digital und anonymisiert an die Schulleitungen gehen, die es an die Lehrkräfte weitergeben und, wenn nötig, etwa Fortbildungen anregen können. Ebenso sollen auch Eltern miteinbezogen werden, indem sie die Schule bewerten können. Darüber hinaus wünschen wir uns „gläserne Noten“.

 

Was verstehen Sie darunter? 

Die Leistungsbeurteilungsverordnung wurde seit fast 50 Jahren nicht überarbeitet, ist ungenau und lässt zu viel Spielraum für Interpretationen.

 

„Ich bin gegen die Gesamtschule, aber für die Förderung von Talenten.“

 

Wir wünschen uns eine Beurteilung, die mehr ist als eine subjektive Bewertung in Form einer Zahl, sondern sich stärker an Kompetenzen orientiert, etwa: Welche Fähigkeit muss ich zu einem bestimmten Zeitpunkt erlernt haben? Wo stehe ich gerade und wie setzt sich meine Note zusammen? Was kann und soll ich tun, um meine Lernziele zu erreichen und meine Note zu verbessern?

All das soll transparenter und nachvollziehbarer werden, indem man offener darüber spricht.

 

Wie stehen Sie zur Gesamtschule, die ja ein Dauerbrenner in der bildungspolitischen Debatte ist? 

Die Bundesschülervertretung und auch ich sind gegen die Gesamtschule, denn wir treten für die Förderung von Talenten ein, die dann nicht im selben Ausmaß gegeben ist.

Bei Beibehaltung verschiedener Schultypen können Schüler besser individuell gefördert werden, denn manche lernen schneller, andere brauchen länger.

 

„Es braucht eine professionelle Ausstattung für die einzelnen Schulen.“

 

Eine Lehrerin bzw. ein Lehrer kann nicht auf derart unterschiedliche Niveaus eingehen – manche Schüler sind dann zwangsläufig überfordert, andere langweilen sich, weil sie den Stoff schon früher verstanden haben.

 

Welche Anliegen verfolgen Sie im Bereich der berufsbildenden Schulen?

Es braucht eine professionelle Ausstattung für die einzelnen Schulen: In einer HLW wird eine zeitgemäße Betriebsküche benötigt, in HTLs moderne Werkstätten.

In den Schulen, in denen der IT-Unterricht zur Vertiefung der Berufsbildung zählt, braucht es natürlich Investitionen in neueste Technik sowie in die Ausbildung von Lehrkräften.

Auch funktionierendes WLAN in jeder Klasse muss es geben, damit jede und jeder die Möglichkeit hat, mit eigenen Geräten mitarbeiten zu können.

 

Haben Sie noch weitere Ideen für Berufsschulen?

Viele Berufsschülerinnen und -schüler haben weite Wege zurückzulegen, da es für manche Berufe nur wenige einschlägige Schulen gibt.

Für sie wünsche ich mir eine bundesländerübergreifende Freifahrt in den öffentlichen Verkehrsmitteln – das wäre einerseits eine finanzielle Erleichterung und im Vergleich zur Fahrt mit dem Auto auch gut für die Umwelt.

Auch braucht es einheitliche Ausgehzeiten für all jene, die ein öffentliches Internat besuchen. Diese gibt es aktuell noch nicht, und vor allem Volljährige kommen sich bevormundet und eingesperrt vor.

 

Wie sehen Ihre eigenen Pläne aus?

Ich maturiere heuer und möchte danach Jus studieren, mit einem Schwerpunkt auf das Thema Menschenrechte. Derzeit absolviere ich ja den Zweig Sozialmanagement und habe erst diesen Sommer ein Praktikum bei einer ukrainischen NGO absolviert, die sich mit dem Thema Menschenhandel beschäftigt.

Auch in der Flüchtlingshilfe und mit Menschen mit Behinderung habe ich bereits Erfahrung gesammelt – von diesen Praktika weiß ich, dass mir diese Arbeit sehr gefällt.

 

 

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Ein Beitrag aus der Was jetzt-Redaktion.

 

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