Schwerpunkt: Vertrauen

Blindes Vertrauen: „Die Sehbehinderung treibt mich an“

Heinz Pfeifer ist Lebenscoach, Mediator und fast blind. Wie er einschätzt, wem er vertrauen kann und warum er seine Motivation seiner Seheinschränkung zuschreibt, erzählt er hier im Interview.

Das Gespräch führte Nina Horcher - 23. Mai 2018

 

Herr Pfeifer, wenn ich Ihnen gegenübersitzen würde – was würden Sie von mir wahrnehmen?

Interessante Frage. Ich werde oft gefragt „Was siehst du?“ Ich würde es als Gegenfrage stellen: „Was siehst du denn?“ Menschen gehen immer davon aus, dass man dasselbe sieht, dabei nimmt doch jeder andere Dinge wahr.

Wenn ich Ihnen gegenübersitzen würde, würde ich Sie nicht sehen. Ich versuche es immer anhand eines Puzzles zu erklären. Bei mir fehlen Puzzleteile im Zentrum, im Randbereich wird es klarer. Also erkenne ich in Gesichtern nicht mehr als Umrisse und Kontraste. Dafür nehme ich andere Dinge aber deutlicher wahr. Die Stimme, den Tonfall oder andere akustische Reize.

 

Heinz Pfeifer und eines seiner erfolgreichen Projekte: Sein Wegbegleiter, Blindenführhund Netty, den er selbst ausgebildet hat.

 

Bei Ihrer Arbeit als Lebensberater müssen Sie Menschen gut einschätzen können. Auf welche Eigenschaften achten Sie?

Man kann viel aus der Stimme herauslesen und die Art und Weise wie jemand spricht. Sinne haben auch immer etwas mit Entfernung zu tun: Um jemanden nur zu sehen, kann er auch weit weg sein. Hören, riechen und schmecken – dafür muss man schon Distanzen überwinden.

Was ich natürlich nicht einschätzen kann, sind Mimik und Gestik. In Einzelgesprächen konzentriere ich mich deshalb vor allem auf akustische Aspekte. Man kann als Mensch mit Seheinschränkung sicher nicht besser hören, aber ich denke, dass ich die Informationen, die ich bekomme, anders verarbeite. Zum Beispiel achte ich sehr darauf, wie mir jemand die Hand gibt.

Wie entscheiden Sie, ohne nonverbale Merkmale wahrzunehmen, wem Sie Ihr Vertrauen schenken?

Ich bin gerade zu Fuß auf dem Weg in die Stadt, das dauert eine Stunde. Ich muss darauf vertrauen, dass Autofahrer, Radfahrer oder andere Fußgänger auf mich Acht geben. Man braucht im Leben also in jeder Situation ein gewisses Grundvertrauen gegenüber seinen Mitmenschen. In meiner Situation vielleicht noch mehr. Und natürlich Vertrauen in sich selbst.

Und als Lebenscoach muss ich den Menschen das Vertrauen entgegen bringen, dass sie für sich eine Lösung finden können.

 

„Ohne meine Sehbehinderung wäre ich nicht der Mensch, der ich heute bin und vielleicht hätte ich auch gar nicht die Motivation, das alles zu machen.“ 

 

Wie sind Sie zum Coaching gekommen?

2003 steckte ich in einer tiefen Lebenskrise. Meine EDV-Firma ist pleite gegangen, meine Beziehung gescheitert. Ich habe mir gedacht, ich muss etwas finden, worin ich sonst noch gut bin in meinem Leben und für Selbsthilfe habe ich mich schon immer interessiert.

Meine Haltung war immer, ich brauche nicht in jeder schwierigen Situation einen Therapeuten, sondern jemanden, der einem hin und wieder aufhilft und einen Startschwung gibt. So bin ich zur Coachingausbildung gekommen.

Hat Ihre Sehbehinderung jemals Ihre beruflichen Entscheidungen beeinflusst?

Ohne meine Sehbehinderung wäre ich nicht der Mensch, der ich heute bin und vielleicht hätte ich auch gar nicht die Motivation dazu, das alles zu machen. Dieses Defizit treibt mich an. Es bringt mich immer wieder dazu, meine eigenen Grenzen zu überwinden. Mir ist es sehr wichtig, das zu trainieren. Das ist natürlich nicht immer leicht.

Wann haben Sie festgestellt, dass Sie viel schlechter sehen, als andere?

Als der Angabezettel bei der Rechnungswesen-Schularbeit leer vor mir lag, wusste ich, da stimmt etwas nicht. Die letzten zwei Schuljahre konnte ich die Tafel gar nicht mehr lesen. Da ich aber keinen ärztlichen Befund hatte, glaubten viele Lehrer, ich würde schwindeln.

Nach der Matura habe ich mich dann das erste Mal untersuchen lassen. Diagnose: Retinis pigmentosa. In Wirklichkeit wurde die Sehbehinderung aber schon in meiner Kindheit festgestellt. Meine Mutter dürfte das einfach ignoriert haben. Heute bin ich dankbar dafür, weil sie mir so unbewusst geholfen hat, trotzdem ein normales Leben führen zu können.

 

„Das größte Problem ist die Ignoranz. Menschen mit Behinderung werden oft auf diese reduziert, das ist mir selbst kürzlich bei einem Klassentreffen passiert.“ 

 

Trotz Ihrer Seheinschränkung haben Sie sich dazu entschieden, Volkswirtschaft zu studieren. Wie haben Sie das geschafft?  

Während des Studiums sind meine Augen noch schlechter geworden, ich musste mich also organisieren. Manchmal habe ich Menschen angestellt, die mir vorgelesen haben. Das war bei volkswirtschaftlichen Themen aber nicht immer so einfach.

Bei manchen Professoren durfte ich statt schriftlicher, mündliche Prüfungen absolvieren. So hat das irgendwie funktioniert. Diese Alternativlösungen musste ich aber immer aktiv vorschlagen. Es waren nicht alle Professoren kompromissbereit. Manche wollten mit meiner Behinderung nicht konfrontiert werden.

Wie gehen Sie damit um, wenn Menschen mit Ihrer Sehbehinderung überfordert sind?

Das größte Problem ist die Ignoranz. Mangelnde Empathie, fehlender Weitblick. Gleichzeitig werden Menschen mit Behinderung aber auch oft auf diese reduziert. Das ist mir kürzlich auch selbst wieder bei einem Klassentreffen passiert. Die einzige Frage, die mir gestellt wurde, war: „Wie geht’s dir mit den Augen?“ Nicht, wie es sonst in meinem Leben läuft.

Ich würde mir wünschen, dass man die Perspektive wechselt und auf das Positive schaut. Sich fragt, was kann ich von dem Menschen lernen?

 

Zur Person

Heinz Pfeifer wurde 1968 in Kärnten geboren und hat an der Universität Innsbruck Betriebswirtschaftslehre studiert. Seit 1995 lebt er in Osttirol, wo er neben seiner selbständigen Arbeit als Mediator, Lebens- und Sozialberater in der Männerberatungsstelle MENergie in Lienz tätig ist. www.heinz-pfeifer.at

 

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Ein Beitrag der Was jetzt Online-Redaktion.

 

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