Schwerpunkt: Orientierung

UNICEF: „Bildung ist die Chance, die Welt zum Besseren zu ändern“

Zum Tag der Kinderrechte bietet UNICEF kostenloses Unterrichtsmaterial für Schulen. Florian Hadatsch erklärt, welche Kinderrechte auch in Österreich ein Thema sind und wie Schulen die Rechte von Jugendlichen stärken können.

Florian Wörgötter - 11. November 2021

MEHR! Bildungsmagazin Was jetzt | Kinderrechte | Florian Hadatsch © UNICEF Österreich

Am 20. November jährt sich der internationale Tag der Kinderrechte. Zur Einstimmung erklärt Florian Hadatsch von UNICEF Österreich, welche Kinderrechte in Österreich bedroht sind und wie Schulen sie stärken können.

Am 20. November jährt sich der internationale Tag der Kinderrechte. Dieses Datum erinnert an den 20. November 1989, an dem die UN-Generalversammlung die UN-Kinderrechtskonvention beschlossen hat. Ihr Ziel seitdem: Jedes Kind – unabhängig von Herkunft, Geschlecht, Religion oder sozialem Status – soll das Recht haben, gesund und in Sicherheit aufzuwachsen und sein Potenzial voll entfalten zu können.

UNICEF, das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen, vertritt diese Kinderrechte weltweit. UNICEF Österreich versucht mit politischer Netzwerkarbeit und Fundraising die Lebenssituation von Kindern und Jugendlichen auch hierzulande zu verbessern. Florian Hadatsch von UNICEF Österreich erklärt im Interview, welche Rolle die Kinderrechte in Österreich spielen, wie das kostenlose Unterrichtsmaterial von UNICEF Schüler/innen ihre Rechte beibringt und was die geplante Zertifizierung „Kinderrechteschule“ bringen soll.

Was jetzt: Herr Hadatsch, was konkret regelt die UN-Kinderrechtskonvention? Und warum ist sie auch heute noch wichtig?

Kinderrechte regeln, was jedes Kind und jeder Jugendliche braucht, um sicher aufzuwachsen und sich bestmöglich entwickeln zu können. Diese Rechte sind verankert in den 54 Artikeln der UN-Kinderrechtskonvention, die auf vier Grundprinzipien beruht: dem Recht auf Gleichbehandlung, dem Recht auf Leben und Entwicklung, dem Vorrang des Kindeswohls und der Achtung der Meinung des Kindes. Die einzelnen Kinderrechte lassen sich in Schutz, Versorgungs- und Beteiligungsrechte zusammenfassen.

„Kinderrechte regeln, was jedes Kind und jeder Jugendliche braucht, um sicher aufzuwachsen und sich bestmöglich entwickeln zu können.“

Da die UN-Kinderrechtskonvention von fast allen Staaten der Welt unterschrieben worden ist, betrifft sie jedes einzelne Kind, woher es auch immer kommt. Kinder sind die Rechtsträger/innen; Erwachsene und Staaten tragen die Pflichten.

Wie haben sich die Kinderrechte im digitalen Zeitalter verändert?

Seitdem die Kinderrechte vom österreichischen Parlament 1992 ratifiziert wurden, haben sie sich nicht verändert. Doch es wurden Zusatzprotokolle verabschiedet und sogenannte „Allgmeine Bemerkungen des Kinderrechtsausschusses“ erstellt, um den Wandel der Zeit zu berücksichtigen, wie auch den digitalen Umbruch, mit dem wir uns schon seit 20 Jahren beschäftigen.

Zum Beispiel?

Das Recht auf Privatsphäre ist heute ein ganz anderes als noch in den Zeiten vor dem Internet. Heute geben Kinder und Jugendliche in den sozialen Medien aktiv vieles von sich preis. Unsere neuen Herausforderungen bestehen darin, wie wir Kindern und Jugendlichen vermitteln können, was sie im digitalen Raum von sich veröffentlichen können und sollen, welche Rechte sie haben, aber auch, wie sie sich schützen können, wenn Privates gegen ihren Willen online gestellt wird.

Andererseits besteht auch das Recht auf Information, auf Basis dessen sich Kinder und Jugendliche über das Weltgeschehen informieren können und an allen vorhandenen Kommunikationsmitteln teilhaben sollen. Das umfasst natürlich auch das Internet.

Zur Situation in Österreich: Wie falsch liegt man, wenn man denkt, dass in Österreich alle Kinderrechte gewahrt sind?

Grundsätzlich hat sich die kinderrechtliche Situation in Österreich in den letzten 50 Jahren natürlich verbessert. Dennoch sind wir weiterhin mit Problemen konfrontiert: Obwohl es ein Gewaltverbot gibt, ist Gewalt gegen Kinder ein verbreitetes Phänomen, jedoch ein Tabuthema, über das mehr gesprochen und aufgeklärt werden sollte.

Wir sehen auch eine große Notwendigkeit, dass die Partizipation von Kindern und Jugendlichen gefördert werden sollte, auch im Hinblick auf die gesellschaftliche Teilhabe und eine positive Entwicklung der Gesellschaft.

„Jedes fünfte Kind in Österreich ist armutsgefährdet – was an der Oberfläche kaum sichtbar ist.“

Ein weiteres wichtiges Thema in Österreich: Jedes fünfte Kind ist armutsgefährdet – was an der Oberfläche kaum sichtbar ist. Viele Familien stehen seit Corona vor prekären finanziellen Herausforderungen. Die Kluft zwischen Arm und Reich wächst weiter und zeigt sich schon im Kindes- und Jugendalter. Leider macht die Pandemie viele unserer Errungenschaften der letzten 30 Jahre zunichte.

Was kann UNICEF Österreich bewirken, dass hierzulande weniger Kinder in die Armutsfalle schlittern?

Wir setzen in der Armutsbekämpfung auf unsere Netzwerkarbeit. Wir versuchen, politischen Entscheidungsträger/innen zu kommunizieren, dass Armut ein relevantes Thema ist und auch alle Kinder von den Maßnahmen der Politik erreicht werden sollen. Ganz wichtig ist der nationale Schulterschluss von Organisationen und Privatpersonen der Zivilgesellschaft. Denn: Je lauter die Stimme der Zivilgesellschaft ist, desto mehr kann erreicht werden.

Laut UN-Kinderrechte-Konvention sollten Kinder und Jugendliche ein Recht auf Mitwirkung bei Angelegenheiten haben, die sie betreffen. Der Klimawandel wird die Kinder von heute künftig am meisten betreffen, obwohl sie ihn nicht verursacht haben. Was macht UNICEF Österreich, damit die Stimme der Jugend mehr Gehör in der Klimapolitik bekommt?

Uns ist ganz wichtig, dass man nicht nur über Kinder redet, sondern mit Kindern redet, ihnen zuhört und ihre Meinung ernst nimmt. Zu diesem Zweck haben wir zum Beispiel den Kreativ-Wettbewerb „Denk dir die Welt“ gestartet. Die Frage „Wie stellen sich Kinder und Jugendliche eine bessere Welt vor?“ hatte das Ziel, die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen zu stärken. Mit den Einreichungen betreiben wir auch Öffentlichkeitsarbeit: Wir haben die Inhalte in einem Ideen-Katalog veröffentlicht und kommunizieren sie direkt an Entscheidungsträger/innen, etwa bei politischen Terminen.

Welches Ergebnis hat Sie am Wettbewerb „Denk dir die Welt“ am meisten überrascht?

Die Themenvielfalt. Zurzeit sind der Klimawandel und die Corona-Pandemie in aller Munde. Aber auch Themen wie Nichtdiskriminierung und Bildung sind ihnen wichtig. Kinder und Jugendliche sehen in Bildung die Chance, die Welt zum Besseren zu ändern. Ihnen ist es wichtig, dass die Schule sie auf das Leben vorbereitet – auch abseits des Lernstoffes der Lehrbücher. Es geht ihnen um ein Leben miteinander, um Gewaltfreiheit, politische Teilhabe und wirtschaftliche Bildung.

UNICEF bietet auch Unterrichtsmaterial für alle Schulstufen. Was empfehlen Sie für die Sekundarstufen I und II?

Wir bieten grundlegendes Material zu Kinderrechten an, weil viele junge und erwachsene Menschen nicht wirklich wissen, was Kinderrechte überhaupt bedeuten. Damit geht auch die Falschannahme einher, dass mit Rechten auch Pflichten einhergehen. Uns ist sehr wichtig, die Mythen und Missverständnisse um Kinderrechte aufzuklären, indem wir die UN-Kinderrechtskonvention in einfacher Sprache anbieten.

„Viele junge und erwachsene Menschen wissen nicht, was Kinderrechte überhaupt bedeuten.“

Wir haben zum Beispiel ein Kinderrechte-Poster, das auf der Vorderseite Kinderrechte-Icons zeigt und auf der Rückseite die einzelnen Artikel in einfacher und kindgerechter Sprache erklärt. Denn diese Vertragstexte sind sehr verklausuliert und kompliziert geschrieben.

Lehrende können dieses Unterrichtsmaterial in der kostenlosen Kinderrechte-Box für Schulklassen bestellen. Was beinhaltet das Paket?

Die Kinderrechte-Box enthält das Kinderrechte-Plakat, eine Kinderrechte-Fibel, ein Kinderrechte-Kartenspiel, ein Begleitheft und 25 Arbeitshefte, mit denen Jugendliche lernen, welche Rechte sie und andere haben und welche Rechte zusammenspielen. Zielgruppen der Kinderrechte-Box sind in erster Linie Jugendliche von 10 bis 13 Jahren. Das Material ist aber adaptierbar und kann auch von anderen Altersgruppen verwendet werden.

Was sind die großen Lernziele der Kinderrechte-Box?

Kinder und Jugendliche sollen erfahren, dass sie in ihrem Alltag ständig mit Kinderrechten konfrontiert sind und diese nicht nur in Entwicklungsländern bedeutend sind. Sie sollen die Unterschiede zwischen Grundbedürfnissen und Wünschen kennenlernen. Und besonders wichtig: Sie sollen wissen, wie sie reagieren können und wo sie Hilfe erhalten, wenn Kinderrechte verletzt werden.

UNICEF unterstützt Lehrende auch mit dem internationalen Unterrichtsmaterial der World’s Largest Lesson

… der größten Unterrichtsstunde der Welt. Jedes Jahr erscheinen neue Materialien, in denen es um Schwerpunktthemen zur Erreichung der Sustainable Development Goals (SDGs) geht. Dieses Jahr ist die Umweltbildung das große Thema. Unterschiedliche Materialien lassen sich gut in verschiedenen Kontexten, Unterrichtsfächern, Jahrgängen und Sprachen einsetzen.

Wie hängen SDGs und Kinderrechte zusammen?

Die SDGs sind die Vision einer Zukunft, ein Aufruf zum Handeln, um eine Welt zu schaffen, in der niemand zurückbleibt; die Kinderrechte existieren bereits am Papier, sie müssen nur noch umgesetzt werden. Wir sehen Kinderrechte als ein Mittel, um die SDGs zu erreichen und die Agenda 2030 umzusetzen.

„Wir sehen Kinderrechte als ein Mittel, um die Sustainable Development Goals zu erreichen und die Agenda 2030 umzusetzen.“

UNICEF hat ein Mapping entwickelt, in dem wir die SDGs und Kinderrechte miteinander verknüpfen, wo man sehr gut sieht, wie sie zusammenhängen. Ein wesentlicher Punkt, um die SDGs zu erreichen, wäre das Sammeln von statistischen Daten. Die Datenlage etwa über Flüchtlingskinder oder die psychische Gesundheit der Jugend könnte in Europa noch detaillierter sein.

Zusammenfassend: Warum sollten Lehrkräfte an österreichischen Schulen Kinderrechte thematisieren?

Die Arbeit zu Kinderrechten bietet nicht nur einen Mehrwert für die Kinder und Jugendlichen, sondern auch für die Erwachsenen und die Schule selbst. Wenn Kinderrechte in der Schule ernst genommen werden, ergibt sich daraus ein positiver Mehrwert für die ganze Gesellschaft. Wenn etwa das Recht auf Partizipation durch einen Klassenrat oder einer Kinderrechte-Charta realisiert wird, werden Schüler/innen auf das Leben in der Gesellschaft vorbereitet und die Schule entwickelt sich positiv weiter.

Die UNICEF plant mit dem internationalen Programm „Kinderrechteschule“ auch eine Kinderrechte-Zertifizierung für Schulen in Österreich. Was ist darunter zu verstehen?

Das Programm „Kinderrechteschule“ ist ein ganzheitliches Schulentwicklungskonzept mit dem Ziel, den Schulalltag für Kinder und Jugendliche zu verbessern und die Schulgemeinschaft in eine positive Richtung zu entwickeln. Im September 2023 starten wir den ersten Zertifizierungsdurchgang in Österreich. Teilnehmende Schulen erhalten ein einjähriges Kinderrechte-Training für das Schulpersonal. Dieses hybride Trainingsmodell besteht aus E-Learning-Einheiten und einer Prozessbegleitung durch Trainer/innen in der Schule vor Ort. Die Schwerpunktthemen: Partizipation, Nichtdiskriminierung, Gewaltfreiheit, die Kinderrechte und SDGs allgemein.

„Unser Programm ,Kinderrechteschule‘ ist ein ganzheitliches Schulentwicklungskonzept mit dem Ziel, den Schulalltag für Kinder und Jugendliche zu verbessern.“

Dabei ist uns wichtig, die individuellen Bedürfnisse und Herausforderungen einer Schule zu beachten. Das gewährleisten wir, indem wir zu Beginn und während des Programms eine Situationsanalyse am Standort durchführen. Wenn die Schule dieses Kinderrechte-Training positiv durchläuft und Kinderrechte-Maßnahmen an der Schule umsetzt, erhält sie am Jahresende das Zertifikat „Kinderrechteschule“.

Demokratische Grundprinzipien können auch ohne Zertifizierung in Schulen Eingang finden. Warum sollte sich eine Schule in Österreich dieser Zertifizierung stellen?

Wir setzen auf einen langfristigen Mehrwert für die Schulen, die einzelnen Personen und darüber hinaus für die Gesellschaft. Die Schwerpunktthemen sollen die Teilhabe von Kindern und Jugendlichen fördern und deren Entwicklung zu mündigen Bürgerinnen und Bürgern unterstützen. Indem sie den Mehrwert von Vielfalt und Nichtdiskriminierung erkennen, wird Extremismus und Ausgrenzung vorgebeugt. Maßnahmen zur Gewaltprävention sorgen dafür, dass Schulen sicherere Orte werden und die psychische und physische Gesundheit von Schülerinnen und Schülern gewährleistet wird.

Wir wollen auch Interessengruppen im Schulumfeld in das Programm einbinden und mit den Eltern zusammenarbeiten. Das Zertifikat soll aber erst der Anfang eines nachhaltigen Prozesses sein. In Situationsanalysen und Umfragen soll auch nach der Vergabe ermittelt werden, wie die einzelnen Maßnahmen wirken und welche zu adaptieren sind. In regelmäßigen Abständen ist ein Re-Zertifizierungsprozess geplant. Wir wollen im Herbst 2022 mit den ersten Pilot-Schulen starten und arbeiten eng mit den Pädagogischen Hochschulen zusammen.

Schulen können sich schon jetzt unverbindlich zum Kinderrechte-Training anmelden. Was kostet sie die Teilnahme?

Das Programm und alle Schulungen stellen wir kostenfrei zur Verfügung.

 

Im aktuellen WissenPlus finden Sie Unterrichtsmaterial von UNICEF zum Thema Kinderrechte. Im WissenPlus der letzten Woche finden Sie Unterrichtsmaterial der World’s Largest Lesson zu den Natur-SDGs.

Hier können Sie das kostenlose Kinderrechte-Material für den Unterricht bestellen.

Hier finden Sie weitere Informationen zum Thema Kinderrechte-Schule von UNICEF.

 

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