Schwerpunkt: Online-Lernen
„Zurück in die Schule“: Was gibt’s Neues im Schichtbetrieb?
Teil 3 der Serie „Zurück in die Schule“: Wir befragen unsere vier BHS-Lehrer/innen, wie es ihnen mit dem Schichtbetrieb an ihrer Schule geht? Und welche digitalen Tools aus dem Online-Lernen funktionieren im Präsenzunterricht?
Florian Wörgötter - 16. Juni 2020
In der Serie „Zurück in die Schule“ wollen wir herausfinden, welche Chancen das Online-Lernen auch für den Präsenzunterricht bietet. Daher begleiten wir vier BHS-Lehrer/innen in vier Episoden auf dem Weg zurück ins Klassenzimmer.
In der ersten Episode haben wir auf die Wochen des Online-Unterrichts zurückgeblickt und darauf, was die Lehrer/innen aus dem Online-Lernen gelernt haben. In Episode zwei haben wir sie gefragt, was sie daraus im Präsenzunterricht umsetzen wollen. Episode 3 versucht nun ein Status-Update, welche digitalen Tools aus dem Online-Lernen auch im Präsenzunterricht funktionieren. Wobei schon jetzt gesagt werden muss: Schichtbetrieb ist noch lange kein Normalbetrieb.
„Es wird sich wenig ändern – außer dass Lehrende mehr Microsoft Teams verwenden und keine Hausübungen mehr ausdrucken.“
Susanne Drobez ist seit dem 3. Juni zurück in der Schule. Auch ihre Laptop-Klassen an der Vienna Business School sind zweigeteilt: Während die eine Hälfte in der Schule sitzt, arbeitet die andere von daheim aus. Am Tag darauf wechseln sich die Schüler/innen ab.
Ihre Einschätzung zum Status Quo: „Es ist ein Traum, pro Klasse nur zehn Schüler/innen zu unterrichten. Man kann mit jedem/jeder sprechen und den Stoff hochwertiger und intensiver gestalten“, erklärt Drobez ihre idealen Unterrichtsbedingungen. Allerdings habe sie auch die doppelte Arbeit, weil die zweite Gruppe daheim ebenso beschäftigt werden muss. Die Schüler/innen jedenfalls würden die jetzige Aufteilung super finden.
Der digitale Sprachenunterricht
Welche digitalen Tools und Methoden Drobez im Deutsch- und Italienischunterricht noch immer verwendet? Auf Microsoft Teams stellt sie Texte, Statistiken, Grammatik- oder Konversationsübungen. Die Schüler/innen geben aber nur noch die Hausübungen online ab.
Allerdings: „Ich versuche eher wegzugehen vom Elektronischen. Wir machen sehr viel Konversation, weil das zu kurz gekommen ist“, erklärt Drobez. Die Stärke der Digitalisierung liege im Sprachenunterricht, wenn man Videos und Audiomaterial hochladen kann und die Schüler/innen ihre Aufgaben online abgeben können.
Offenbar übernehmen manche Schüler/innen dennoch gewisse Routinen aus dem Online-Lernen: So nutzen einige die Deutsch- und Italienisch-Bücher per QR-Code nun auch elektronisch, was sie früher nicht gemacht haben. Oder sie schreiben ihrer Lehrerin Nachrichten über Microsoft Teams, obwohl man sich im Unterricht trifft. Was früher über E-Mail geklärt wurde, werde jetzt über Teams besprochen, meint Drobez.
Förderkurse im Herbst
Wenn der erzwungene Digitalisierungsschub der Anfang eines langen Weges ist, wohin soll dieser gehen? „Ich glaube, es wird sich nicht viel ändern, außer dass mehr Lehrer/innen Plattformen wie Microsoft Teams verwenden und ihre Hausübungen nicht mehr ausdrucken“, meint Drobez. Solange der Lehrplan und die Schulfächer gleich bleiben würden, könne man auch den Stundenplan nicht flexibler gestalten oder den Stoff reduzieren, um mehr auf die Bedürfnisse der Schüler/innen einzugehen.
Erst der Herbst würde zeigen, sofern auch der Normalbetrieb wieder läuft, welche digitalen Standards in der Schule eine Chance haben. Gleichzeitig offenbart sich dann, welche Schüler/innen den Stoff dieses Semesters verpasst haben. „Ich rechne damit, dass ich im Herbst mit einigen Klassen auch Förderkurse machen werde, um die Lerninhalte wieder aufzuholen.“
Ihr zufolge hätte aber nur ein Bruchteil mit erschwerten Bedingungen während des Online-Lernens zu kämpfen gehabt. Die meisten ihrer Schüler/innen bekennen ehrlich: Sie waren nicht motiviert oder hätten zu spät erkannt, dass das keine Ferien sind.
„Wir nutzen den Schwung und planen ein digitales Korsett
für die nächsten fünf Jahre.“
In seinen ersten Wochen zurück in der Schule wunderte sich Helmut Bauer, dass ihn seine Maturaklasse gebeten hat, ob sie die letzten zwei Stunden Rechnungswesen doch per Videokonferenz machen könnten. „Man merkt, dass wir uns nach zehn Wochen virtuellen Treffen an Videokonferenzen gewöhnt haben“, lacht Bauer.
Welche Lernplattformen und digitale Tools er auch heute noch im Unterricht verwendet? Die Rolle von Microsoft Teams habe sich vom progressiven Insider-Tool zum einfach bedienbaren Standard weiterentwickelt. Die wichtigsten Funktionen mit Bestand: Online-Aufgaben und Multiple-Choice-Tests mit Deadlines, das Datei-Sharing und der Kalender mit allen Terminen einer Klasse. Videokonferenzen hingegen würden an Bedeutung verlieren, könnten aber außerhalb des Unterrichts funktionieren, etwa bei der Betreuung von Projektsitzungen.
Ein „heißes Thema“ sei die Integration von One Note, ein digitales Schulheft mit Registerkarten von Microsoft. „Fortgeschrittene“ Lehrer/innen können es mit Grafiken füllen, Dateien posten, Aufgaben stellen und Anmerkungen machen. „Wir lassen uns das Tool im Herbst von einem Experten erklären“, sagt Bauer.
Digitales Schulbuch
Den Lernraum von LERNEN WILL MEHR! verwendet er immer noch in Rechnungswesen, denn die Inhalte sind zu hundert Prozent auf das Buch abgestimmt. „Ich kann eine Übung aus dem Schulbuch wählen, Schüler/innen lösen sie digital und ich habe sofort die Korrektur“, so Bauer.
Längerfristig könnte es für Schüler/innen aber schwierig werden, wenn sie in allen Fächern insgesamt acht bis zehn verschiedene Plattformen nutzen müssen, weil jeder Schulbuchverlag seinen eigenen Bereich schafft. Über Microsoft Teams können Lehrende zwar Links zu den Schulbuch-Plattformen einbetten, das Arbeiten funktioniere aber nur auf der Webseite des Verlages.
Weiters arbeitet Bauer mit Response Tools wie „Answergarden“ oder „Padlet“, mit denen Schüler/innen vom Tablet oder Smartphone ihre Statements auf den Beamer schicken können. Solche Tools eignen sich zum Brainstorming und für Listen. Sie würden wichtiger werden, wenn der Bund demnächst die Sekundarstufe I mit Tablets ausstattet.
Bauer hat sich schon früh für das Unterrichtskonzept des Flipped Classroom ausgesprochen (siehe auch weiter unten). „Diskussionen haben gezeigt, dass das Konzept des eigenständigen Arbeitens der Schüler/innen mehr ist als ein Trend“, meint Bauer. Denn heute seien wesentlich mehr Videos und digitales Unterrichtsmaterial im Umlauf als früher. Wenn die Verlage noch aktiver werden, dann könne auch das Niveau mit dem Anspruch übereinstimmen.
Zeit für die HAK 4.0
Als E-Learning-Beauftragter der BHAK1 Salburg gestaltet Bauer auch die digitalen Standards der Schule mit. In einer kommenden Strategiesitzung soll ein digitales Korsett für die nächsten fünf Jahre ausgearbeitet werden. Das Ziel: den Weg zum Unterricht 4.0 in der HAK zu ebnen. Also: eine Infrastruktur für Tablets oder Notebooks im Unterricht zu schaffen und Lehrer/innen auszubilden, damit sie auch digital unterrichten können.
Ein verpflichtendes Fortbildungskonzept soll die digitalen Kompetenzen aller Lehrer/innen auf einen Mindestlevel bringen. Konkret: das Programm „Digikomp für Pädagogen“ von „eEducation Austria“, einer Initiative des Bildungsministeriums.
Im Modul „Digital Lehren und Lernen“ lernt man etwa das Planen, Durchführen und Evaluieren mit digitalen Medien und Lernumgebungen oder das Beurteilen und einen sicheren Umgang im Netz. Im Modul „Digital Lehren und Lernen im Fach“ erfährt man den fachspezifischen Einsatz von Content und Software, Medien und Werkzeugen. „Wir wollen den Schwung ausnützen“, sagt Bauer. „Die Direktion steht zu hundert Prozent dahinter.“
„Ich schalte eine Schülerin, die einer Risikogruppe angehört,
live ins Klassenzimmer, damit sie keine Fehlstunden hat.“
„Eine halbe Klasse zu unterrichten, finde ich super, wenn ich nur nicht alles doppelt machen müsste“, sagt HAK-Lehrerin Elke Friesacher. Man erfülle die Bedürfnisse der einzelnen Schüler/innen besser und könne qualitativ in die Tiefe gehen. Es falle auch schneller auf, wenn jemand etwas nicht versteht.
Welche Tools, Methoden und Aufgaben aus dem Online-Lernen im Präsenzunterricht funktionieren, kann Friesacher wohl erst im Herbst im Rahmen eines Reality Checks nachhaltig beurteilen. Doch die Schüler/innen fragen schon jetzt immer wieder, ob sie ihr Unterrichtsmaterial eh online stelle.
Livestream im Klassenzimmer
Friesacher lädt Arbeitsblätter für Haus- und Schulübungen auf Microsoft Teams – auch wenn die Notwendigkeit im Präsenzunterricht sinkt. Sie nutzt noch immer den Lernraum von LERNEN WILL MEHR! und dessen Übungen, um Fakten online zu überprüfen. Und: Sie überträgt den Unterricht live für den einen speziellen Fall:
Eine Schülerin mit Handicap muss dem Unterricht fernbleiben, weil sie zur Risikogruppe zählt. Daher schaltet Friesacher sie über ihren eigenen Laptop auf Microsoft Teams dazu, damit sie keine Fehlstunden hat. „Wenn in der Klasse jemand etwas sagt, dann reichen wir das Gerät herum, damit sie auch alles mitbekommt“, sagt Friesacher. „Oder ein/e Schüler/in setzt sich vor den Laptop und macht mit ihr gemeinsam den Arbeitsauftrag.“ Auch andere Kollegen und Kolleginnen würden ihre Risikoschüler/innen mit dem Computer live in den Unterricht holen.
Lernschwache Schüler/innen
Wie gelingt es ihr, lernschwache Schüler/innen zurückzuholen? „Ich gebe ihnen einen Raum, indem sie angstfrei, ohne sich schlecht zu fühlen, sagen können: Ich habe das nicht verstanden, ich möchte das noch einmal hören“, sagt Friesacher. Manche trauen sich, das zu sagen, andere könne man nur immer wieder fragen, ob sie alles verstanden haben.
Wie groß der Bedarf für die Wiederholung des Stoffes während der Corona-Quarantäne in ihren Klassen ist? Sie habe überhaupt nicht den Eindruck, alles nachbereiten zu müssen. Dennoch habe sie mit ihrer Fachgruppe beschlossen, dass im Herbst der für die Matura relevante Stoff noch einmal wiederholt werden soll, damit er auch gefestigt wird.
Ob die für die Unterstufe geplante Summer School auch in der BHS eine Chance hätte? Die Frage sei, ob sich die betroffenen Schüler/innen auch anmelden würden. Und: Ein/e Erstklassler/in hat einen anderen Nachholbedarf als ein/e Drittklassler/in. Man müsste also jedes Fach auch in jeder Schulstufe unterrichten. Dann könnten viele Schüler/innen profitieren. In der Unterstufe wäre so etwas viel leichter umzusetzen als in der HAK.
„Microsoft Teams ist ein gutes Archiv für die gesamte Schulzeit.
Keiner verliert mehr ein Blatt – und mich plagt keine Zettelwirtschaft.“
Auch Thomas Heimhofer befindet sich noch im Schichtbetrieb. Den anwesenden Schülerinnen und Schülerinnen lehrt er den „normalen“ Stoff. Jene daheim erhalten Aufgaben über Microsoft Teams. „Die Plattform ist ein gutes Archiv für die gesamte Schulzeit“, sagt Heimhofer. „Keiner verliert mehr ein Blatt – und mich plagt keine Zettelwirtschaft.“
Sein bisheriges Fazit zum Status Quo: „Wir haben mit der Digitalisierung zwei, drei große Schritte gemacht. Die neue Methodenvielfalt könnte den Unterricht verbessern.“ Ob die Schule im Normalbetrieb auch wieder ein, zwei Schritte zurückgehen kann? „Nein, Lehrende und Lernende sollen die neu erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten nutzen, damit der Unterricht abwechslungsreich bleibt. Seine Vorschläge: Videos selber machen, Fragebögen in Microsoft Forms erstellen und die Aufgaben in Microsoft Teams abwickeln.
Willkommen im Flipped Classroom
Die größte didaktische Veränderung für Heimhofer sei aber, dass er neuerdings die Heimarbeit mit dem Konzept des Flipped Classroom organisiert. Die Schüler/innen erarbeiten den Theorieteil selbständig, indem sie neue Kapitel im BWL-Buch lesen und Hausaufgaben lösen. In der Schule werden nur mehr Verständnisprobleme geklärt und weitere Aufgaben gestellt. Denn die Schüler/innen hätten beim Online-Lernen mehr Selbständigkeit gelernt, meint Heimhofer.
Der große Vorteil der Methode: „Je nach Verständnisfortschritt kann man unterschiedlich mit den Schülerinnen und Schülern arbeiten“, sagt Heimhofer. „Jene, die die Grundkompetenzen schneller erfassen, können an komplexeren Fallbeispielen weiterarbeiten. Mit den anderen gehe ich die Grundlagen noch einmal durch. So stelle ich sicher, dass sich alle weiterentwickeln können.“
Die digitale Kluft
Ob zwischen guten und lernschwachen Schülerinnen/Schülerinnen während der Schulschließung die Kluft gewachsen ist? „Das ist die größte Herausforderung: Jene, die mit der Distanzphase am schlechtesten umgehen konnten, haben die größten Probleme, neuen Stoff zu verstehen. Mit dem Flipped Classroom kann ich sie besonders fördern und wieder an Bord holen“, meint er. Bessere Schüler/innen sollen aber keinen neuen Stoff erarbeiten, sonst würde sich die Kluft noch vergrößern.
Ob es ein Fehler war, die Summer School nur für Unterstufen anzubieten? „Möglicherweise“, meint Heimhofer. Allerdings gelinge es seiner Erfahrung nach gut, alle Schüler/innen wieder an Bord zu bringen, wenn spätestens im September eine allgemeine Wiederholung des Semesters passiere.
Welche Lehren die Schule aus dem Online-Lernen ziehen kann, soll an seiner Schule künftig eine Befragung der Schüler/innen und der Lehrer/innen zeigen.
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