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Neuseeland: Was ihr wollt
Jahr für Jahr punkten die Neuseeländer mit sehr guten PISA-Ergebnissen. Kein Wunder: Bei der beruflichen Ausbildung setzt man auf Individualisierung. Teil 2 unseres International-Schwerpunkts zeigt, wie’s geht.
Von Manuela Tomic - 19. September 2018
Neuseeland gehört zu den liberalsten Volkswirtschaften der Welt. Die „Grüne Insel“, wie Neuseeland wegen seiner Naturvielfalt genannt wird, zählt den Tourismus, neben der Land- und Forstwirtschaft und dem Technologiesektor, zu seinen wichtigsten Wirtschaftszweigen.
Der Inselstaat mit seinen knapp 4,7 Millionen Einwohnern ist stark exportorientiert, mit Australien, den USA und zunehmend auch mit asiatischen Ländern als wichtigsten Handelspartnern.
Bildung für Jung und Alt
Das Bruttoinlandsprodukt betrug 2017 rund 187 Milliarden Euro und damit etwa die Hälfte des österreichischen BIPs. Die relativ niedrige Jugendarbeitslosenquote von knapp fünf Prozent kann sich ebenso sehen lassen.
In Neuseeland ist es durchaus üblich, während der Berufskarriere mehrere Male umzuschulen. Daher nutzen viele Personen, die älter als 25 Jahre sind, das breite Bildungsangebot. An Möglichkeiten mangelt es nicht, denn diese sind zahlreich und individuell auf die Anforderungen der Lernenden zugeschnitten.
Das Alleinstellungsmerkmal
Schon in den Pflichtschuljahren können die Schülerinnen und Schüler Fächerkombinationen testen, die ihren zukünftigen Berufswünschen entsprechen. Das Schuljahr ist in Neuseeland in vier Blöcke unterteilt.
In jedem haben sie die Möglichkeit, einige ihrer Fächer zu wechseln. Hier bieten die Schulen also bereits früh Chancen, den Unterricht an den Berufswunsch auszurichten.
Das Angebot ist durchaus bunt. So können Schüler etwa zwischen Fächern wie Elektrotechnik, Bootsbau, Landwirtschaft, Fotografie, Ernährung und Kochen wählen.
Vielfältige Schultypen
Individuell ist aber nicht nur die Fächerauswahl, auch die Abschlüsse und die Schultypen sind vielfältig. Die klassische duale Berufsausbildung, wie wir sie kennen, ist in Neuseeland nur wenig verbreitet. Stattdessen bieten Berufsverbände eigene Ausbildungen an, die zwischen zwei und vier Jahre lang dauern.
Verbreiteter ist die Berufsausbildung an einem der staatlichen Institute, den Institutes of Technology and Polytechnics (ITP). Diese Ausbildung dauert zwischen sechs Monaten und zwei Jahren und wird mit einem Zertifikat abgeschlossen.
In spezifischen Branchen, wie IT oder Design, können Schüler ihre Zertifikate auch bei privaten Bildungsanbietern erlangen.
Das Schulsystem
Das Bildungssystem in Neuseeland baut auf drei Säulen auf: dem Early Learning für Kinder von drei bis sechs Jahren, der allgemeinen Schulbildung für die Altersklasse fünf bis 19 Jahre und der tertiären Bildung für alle ab 16 Jahren.
Early Learning
Unter dem Begriff „Early Learning“ wird in Neuseeland ein System verstanden, in dem Kinder in sogenannten Pre-School-Einrichtungen von Lehrern eingeschätzt werden, um das kindergerechte Lernen bestmöglich an das jeweilige Kind anzupassen.
Die Schulpflicht besteht aber erst für alle Kinder von sechs bis 16 Jahren. Danach können die Schüler in der tertiären Schulstufe zwischen einer Universität, den „Polytechnics and Institutes of Technology“ (ITPs) und einer so genannten Wānanga wählen.
Wānanga-Berufe
Wānanga sind Bildungseinrichtungen, die eine berufsbezogene Ausbildung im Kontext zur Kultur der Māori anbieten und in der akademischen Bildung den Universitäten gleichgesetzt sind.
Häufig führt der Weg der Berufsausbildung jedoch über Universitäten oder über die ITPs, die ähnlich gestaltet sind wie österreichische Fachhochschulen.
Der Experten-Check
„Neuseeland liegt in allen Kompetenzen deutlich über dem OECD-Schnitt und gibt weltweit den höchsten Prozentsatz an öffentlichen Geldern für Bildung aus“, sagt Martin Stieger, Professor für Berufsbildung und Wirtschaftspädagogik an der Allensbach Hochschule in Konstanz.
Mehr als 24 Prozent der öffentlichen Ausgaben fließen in Neuseeland in die Bildung. In Österreich sind es um die 11 Prozent. Der Inselstaat habe zudem einen hohen Anteil an Privatschulen, erklärt Stieger.
Top-Universitäten
„Das Niveau der Schulabsolventen und Schulabsolventinnen ist sehr hoch und fünf neuseeländische Universitäten finden sich unter den besten 100 der Welt“, erklärt der Bildungsexperte.
Die neuseeländische Vielfalt, versehen mit den hohen finanziellen Mitteln, ermögliche laut Stieger eine individuelle Förderung von Schülerinnen und Schülern.
Das sagt Jorge Miguel Carvalho
Jorge Miguel Carvalho besucht die Media Design School in Auckland und hat sich auf die Entwicklung von Computerspielen spezialisiert. „Neuseeland hat ein sehr breites Angebot an berufsbildenden Ausbildungsstätten, vor allem für Schüler, die sich in sehr speziellen Feldern beruflich ansiedeln möchten“, sagt der 21-Jährige.
Weit gefasster Lehrplan
Die Videospiele-Industrie werde zunehmend ein wachsender Wirtschaftszweig und somit auch in der Ausbildung immer beliebter. „An meiner Ausbildung gefällt mir das breite Know-how, das wir durch den sehr weitgefassten Lehrplan mitbekommen“, sagt Carvalho. „Wir lernen nicht nur programmieren, sondern haben auch Kurse im Fach Projektmanagement. Das hilft uns wiederum, später in diesem Zweig besser Fuß zu fassen“.
Die Universitäten und ITPs orientieren sich laut Carvalho sehr stark an der „echten Welt“. Und ohne diese Praxisnähe könne man schließlich auch in einem so speziellen Feld wie der Spiele-Industrie nicht so einfach bestehen.
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Ein Beitrag aus der Was jetzt-Onlineredaktion.