Schwerpunkt: Vertrauen
Im Gespräch: „Wir sind die Notfallambulanz“
Astrid Bacsila-Wachter ist Vertrauenslehrerin an der HAK/HAS Feldkirch. Mit „Was jetzt“ hat sie darüber gesprochen, weshalb die Schülerinnen und Schüler zu ihr kommen.
Das Gespräch führte Eva Konzett - 6. Juni 2018
Frau Bacsila-Wachter, Sie arbeiten in einer Schule mit mehr als 600 Schülerinnen und Schülern. Hat heute schon jemand bei Ihnen Rat und Hilfe gesucht?
Nein. Heute nicht. Der letzte große Einsatz liegt schon etwas länger zurück. Eine wirklich ernste Sache. Es ging um einen Schüler, der ein Gewaltverbrechen begangen hatte. Da muss man sich natürlich um die Klasse kümmern, in der er war, und um seine Bekannten, die in anderen Klassen sind.
Wie haben seine Mitschüler reagiert?
Als mich drei Mädchen an diesem Montag weinend angesprochen haben, dachte ich zuerst an Liebeskummer. Nach dem Wochenende ist das häufig der Fall. Mit einem Gewaltverbrechen rechnet man ja nicht. Mein Kollege hat dann mit den drei Mädchen einzeln geredet, und ich habe die Klasse betreut, die natürlich sehr durcheinander war.
In so einem Fall geht es auch darum, die Schule aufzufangen, da muss man schnell reagieren. Es kam ein Psychologe des Landesschulrates. Nach zwei Stunden Gespräch hatte sich die Klasse beruhigt und wollte den Unterricht fortsetzen. Das Thema war damit abgehakt.
Eine Ausnahmesituation! Mit welchen Problemen wenden sich die Schülerinnen und Schüler häufig an Sie?
Als Vertrauenslehrer kümmern wir uns um alle Anliegen der Jugendlichen, seien diese privater, schulischer oder gesundheitlicher Natur. Wir unterliegen der Schweigepflicht und die Schüler wissen das. Das schafft Vertrauen. Nur bei Drogen und Waffen müssen wir eine Meldung machen.
„Ein relativ neues Phänomen ist Cybermobbing, besonders mit Nacktbildern.“
Die Klassiker sind eben Liebeskummer oder Zoff mit den Eltern. Oder wenn sich Schüler von Lehrern ungerecht behandelt fühlen. Häufig geht es auch um Drogenmissbrauch. In einem Fall hat es einem Schüler tatsächlich die Festplatte gelöscht. Ich habe das Gefühl, dass das zunimmt. Ein relativ neues Phänomen ist Cybermobbing, besonders mit Nacktbildern. Solche Fälle haben wir leider auch immer wieder.
Es geht oft um sehr sensible Themen. Wie nehmen die Schüler Kontakt mit Ihnen auf?
In jeder Klasse hängt ein Plakat, das meinen Kollegen und mich als Vertrauenslehrer – wir nennen es Social Networker – ausweist. Ich finde es gut, dass ich mit einem Mann zusammenarbeite. Die Mädchen können sich mir gegenüber leichter öffnen, umgekehrt versteht mein Kollege die Probleme der Burschen besser. Man kann uns auch per E-Mail kontaktieren.
Meistens aber kommen die besten Freundinnen oder Freunde der Betroffenen und sprechen uns direkt an. Wir sind durch den Unterricht vielen Schülern bekannt. Diese Sichtbarkeit und Einfachheit der Kontaktaufnahme finde ich sehr wichtig. Es kommt auch vor, dass sich ein Lehrer an uns wendet, dem aufgefallen ist, dass sich ein Jugendlicher stark verändert hat.
Sie stellen sich den Schülern als Anwalt zur Seite, auch bei schulinternen Auseinandersetzungen. Hat sich Ihre Position im Lehrkörper verändert, seit Sie Vertrauenslehrerin sind?
Nein. Wir werden gut angenommen. Wir sind ja auch eine Anlaufstelle für die Kollegen, wenn etwas in die falsche Richtung läuft oder sie mit einem Schüler oder einer Klasse feststecken.
„Wenn ein Schüler mit einem Problem zu mir kommt, muss ich versuchen, es zu lösen.“
Wir sind so eine Art Notfallambulanz und können auch weitere Schritte einleiten wenn Bedarf ist, etwa Experten an die Schule holen. Wir haben das schon gemacht, etwa um die Burschen für die Grenzen der Mädchen zu sensibilisieren. Und den Mädchen umgekehrt zu erklären, dass nichts daran falsch ist, die eigenen Grenzen klar aufzuzeigen.
Wie viele Stunden arbeiten Sie als Vertrauenslehrerin?
Die Zeit lässt sich schwer messen. Es gibt Wochen, in denen nichts anfällt. Aber wenn ein Schüler mit einem Problem zu mir kommt, muss ich versuchen, es zu lösen. Da kann ich dann nicht die Stunden zählen und die Betroffene oder den Betroffenen auf die kommende Woche vertrösten.
Zur Person
Astrid Bacsila-Wachter unterrichtet seit 22 Jahren Französisch, Geschichte und Politische Bildung an der HAK/HAS Feldkirch.
Als sich vor vier Jahren eine Schülerin mit Suizidgedanken an sie wendete, beschloss sie, eine Ausbildung zur Vertrauenslehrerin zu machen. „Es ging mir um ein professionelles Rüstzeug für solche Fälle“, sagt sie.
Ein Beitrag aus dem Was jetzt-Magazin, Ausgabe 1/18