Schwerpunkt: Online-Lernen

„Lernen unter COVID-19“: Weitere Ergebnisse der österreichischen Studie

Teil zwei der österreichweiten Studie zum Online-Lernen während der Schulschließungen: Ein Team der Universität Wien hat erforscht, wie es Schülerinnen und Schülern ergangen ist. Diesmal wurden auch die Lehrenden befragt.

MMag. Monika Mair B.Ed. - 12. Juni 2020

Seit 4. Mai sind die Schüler/innen nach und nach wieder an Österreichs Schulen zurückgekehrt. Das Online-Lernen ist geblieben. Die Befragung hat sich damit auseinandergesetzt, wie Schüler/innen mit den Gegebenheiten des Lernens von zu Hause aus umgehen. In der zweiten Welle wollten Univ.-Prof. Dr. Barbara Schober, Ass.-Prof. Dr. Marko Lüftenegger und Univ.-Prof. DDr. Christiane Spiel wissen: Was wurde aus der Zeit der Schulschließungen gelernt? Und was kann an Gelerntem in die Zukunft mitgenommen werden?

In ihrer zweiten Phase richtet sich die Studie sowohl an Schülerinnen und Schüler als auch an Studierende und Lehrende. Vom 27. April bis zum 11. Mai war der zweite Fragebogen online verfügbar. Während dieser Zeit hatte der Präsenzunterricht für Maturantinnen und Maturanten schon begonnen. Zudem wussten die Schüler/innen bereits, dass die Rückkehr in die Schule ab Mitte Mai geplant war.

Die erste Phase endete am 20. April und die ersten Zwischenergebnisse liegen seit dem 27. April vor. Die dritte Befragung ist vom 8. bis zum 29. Juni online. Hier der Link zum dritten Fragebogen. Die Teilnahme an der Befragung ist freiwillig und die Antworten werden anonymisiert zusammengefasst und ausgewertet.

Für diese Analyse wurde eine Teilstichprobe von 11.118 Schülerinnen und Schülern analysiert. Die Lernenden, die die Fragebögen ausgefüllt haben, sind zwischen 10 und 19 Jahre alt. 21,5 % der Befragten haben angegeben, neben Deutsch auch andere Sprachen zu Hause zu sprechen. 62,4 % der Befragten bezeichnen sich als weiblich, 37,2 % als männlich und 0,4 % als divers.

Die Bildungspsychologin Univ.-Prof. Dr. Dr. Christiane Spiel ist das Gesicht der Studie „Lernen unter COVID-19-Bedingungen“.

Was wird wie eruiert?

Um die Ergebnisse zuordnen zu können, fragen die Forscher/innen nach den Sprachen, die die Schüler/innen zu Hause sprechen, dem Schultyp, den sie besuchen, und ob sie eine Ganztagsschule oder Nachmittagsbetreuung besuchen.

Zudem wird analysiert:

  • Informationslage der Schüler/innen
  • Veränderung des Wohlbefindens
  • soziale Verbundenheit
  • Veränderung des Lernens
  • Vorfreude auf die Schule

Auch in der zweiten Analyse spielt das psychische Wohlbefinden der Schüler/innen eine wichtige Rolle. Dieses Mal wird auch insbesondere nach der Veränderung des Wohlbefindens und der sozialen Verbundenheit gefragt. Auch die Vorfreude auf die Schule bekommt Platz in der Analyse. Weitere Fragen beziehen sich auf die Veränderung im Lernen und die Informationslage unter den Schülerinnen und Schülern.

Diskussion der Zwischenergebnisse: Schüler/innen

Die Forschenden weisen in der Diskussion der Zwischenergebnisse erneut darauf hin, dass „Risikogruppen eher unterschätzt werden“, da z. B. Schüler/innen ohne die notwendigen technischen Voraussetzungen nicht an der Umfrage teilnehmen konnten.

Das Wohlbefinden der Schüler/innen geht „mehr in eine positive Richtung als in eine negative“. Fast 30 % der Befragten fühlen sich deutlich besser seit dem Beginn der Schulschließungen. Knapp unter 10 % hingegen fühlen sich nun deutlich schlechter. Vorsichtig hochgerechnet habe sich das Wohlbefinden von mindestens „70.000 Schülerinnen und Schülern in Österreich verschlechtert.“

45,8 % der Befragten geben an, dass die soziale Verbundenheit mit wichtigen Personen seit dem Beginn der Schulschließungen unverändert ist. Bei 26,3% der Lernenden hat diese Verbundenheit sich eher oder deutlich verschlechtert, während die restlichen Lernenden angeben, dass sich der Kontakt zu wichtigen Personen deutlich oder eher verbessert hat.

Spannend ist sicherlich das Thema Vorfreude. Die Schüler/innen wurden gefragt, wie sehr sie die Schule vermissen. 32 % der Befragten geben an, diese sehr zu vermissen, 24,6 % vermissen sie etwas. Insgesamt geben 22,1 % der Lernenden an, dass sie die Schule eher oder gar nicht vermissen.

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Woran liegt das? Die zusätzlichen Angaben der Lernenden sind bildungspolitischpolitisch äußerst interessant. Die Schüler/innen vermissen weder das frühe Aufstehen noch den Prüfungsstress oder die „Langeweile im Unterricht, wenn nicht wie derzeit im eigenen Tempo gelernt werden kann“. Vermisst wird aber der soziale Kontakt mit Schulkolleginnen und -kollegen sowie Lehrkräften.

Die Informationslage sieht gut aus. Fast die Hälfte der Schüler/innen fühlt sich sehr gut informiert und knapp weniger als 5 % der Befragten geben an, sich eher schlecht oder sehr schlecht informiert zu fühlen. Zu den gewünschten Infos zählen: Praktika(abläufe), Leistungsüberprüfungen, Notenzusammensetzung und Gruppeneinteilungen.

Zusammenhänge

Je erfolgreicher Schulaufgaben erledigt werden können, desto höher ist das Wohlbefinden der Schüler/innen. Lernende, die Strategien und Zeitpläne zur Lernorganisation einsetzen, haben auch ein höheres Wohlbefinden. Das Wohlbefinden hat sich anscheinend bei jenen Schülerinnen und Schülern verschlechtert, die älter sind und wenig Hilfe von zu Hause bei Bedarf bekommen.

Umso besser der Kontakt mit wichtigen Personen für die Lernenden ist, desto wohler fühlen sich diese und geben auch eine Zunahme im Wohlbefinden an. Umgekehrt gilt dasselbe: Je schlechter der Kontakt mit wichtigen Personen ist, desto schlechter ist das Wohlbefinden der Lernenden.

Und wieder: selbständiges Arbeiten und Eigenorganisation

Das Forschungsteam hat danach gefragt, inwiefern sich das selbständige Lernen verändert hat. Wiederum ist ein positiver Trend festzustellen. 29,4 % der Lernenden geben an, dass sie sich jetzt deutlich besser organisieren können, und weitere 18,2 % können es eher besser. 40% der Befragten sehen keine Veränderung in ihrer Organisationsfähigkeit.

Zudem besteht auch ein Zusammenhang zum Bewältigen der Lernaufgaben: „Je erfolgreicher sich Schüler/innen bei der Bewältigung ihrer Aufgaben im Vergleich zu Beginn des Home-Learnings fühlen, desto eher berichten sie auch über eine Zunahme in ihrer Selbstorganisation und desto eher geben sie auch an, selbstbestimmt, z. B. im eigenen Tempo, zu lernen“. Umgekehrt gilt dasselbe.

Es stellen sich z. B. die folgende Fragen:

  • Was können Lehrende nun tun, um Schüler/innen weiterhin optimal zu unterstützen?
  • Wie kann Selbstorganisation als Kompetenz noch mehr in den Unterricht integriert werden?
  • Wie kann Selbstorganisation im Online-Lernen optimal gefödert werden?
  • Was brauchen Lehrende und Schulen, um Selbstorganisation zu fördern?
  • Welche technischen Möglichkeiten unterstützen die Förderung von Selbstorganisation?
  • Wie kann Langeweile verhindert werden, indem Schüler/innen im eigenen Tempo arbeiten können?

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Und jetzt zu den Lehrerinnen und Lehrern

Für die Analyse zu den Lehrpersonen wurde eine Teilstichprobe von 1.759 Lehrerinnen und Lehrern analysiert. Die Lehrenden, die die Fragebögen ausgefüllt haben, sind zwischen 22 und 65 Jahre alt. 77 % der Befragten bezeichnen sich als weiblich, 22,9 % als männlich und 0,1 % als divers. Durch die Selbstselektion wird die Stichprobe nicht als repräsentativ betrachtet. Trotzdem ergeben sich spannende Einblicke.

Folgendes wird analysiert:

  • Erfolg des Unterrichts im Homeoffice
  • Chancen durch die neuartige Situation
  • Wohlbefinden der Lehrer/innen

Nur 9,1 % der Befragten geben an, mit dem Unterrichten von zu Hause nicht gut klargekommen zu sein. Fast drei Viertel der Lehrkräfte sind laut eigenen Angaben sehr gut oder ziemlich gut mit dem Lehren von Daheim zurechtgekommen. Technische Gegebenheiten spielen dabei natürlich eine Rolle. 8,5 % der Lehrkräfte konnten mit dem Unterricht von zu Hause nicht gut umgehen, da sie die technischen Möglichkeiten zu Hause nicht hatten.

Insgesamt sind auch 85 % der Lehrkräfte überzeugt, dass sie den Schülerinnen und Schülern den Lernstoff gut vermitteln können. Wobei es interessant ist, anzumerken, dass nur 7 % der Befragten angeben, auch Schülerinnen und Schülern mit Problemen den Lehrstoff gut vermitteln zu können. Vielleicht sind es genau diese Schüler/innen, die den Unterricht in der Schule und zusätzliche Unterstützung der Lehrkräfte brauchen?

Auch bei den Lehrerinnen und Lehrern wird der sozialen Verbundenheit nachgegangen. Schön ist es zu lesen, dass die persönlichen Beziehungen zwischen Lehrenden und Lernenden von mehr als 90 % der Lehrenden als positiv eingestuft wurden. Auch Verbundenheit mit den Schülerinnen und Schülern wird als hoch eingestuft: Nur 16,2% der Befragten geben an, sich weniger oder nicht wirklich mit den Lernenden verbunden zu fühlen. Der Zusammenhang zwischen sozialer Verbundenheit und positiven Lernergebnissen fällt auch in dieser Analyse auf. Dieses Ergebnis kann wiederum bildungspolitisch genutzt werden: nämlich einen größeren Fokus auf soziale Komponenten des Lernens zu legen.

Allgemein fühlten sich die meisten Lehrpersonen wohl im Unterricht von zu Hause. Weniger als 20 % der Befragten konnten der Aussage, sich gut zu fühlen eher nicht oder nicht zustimmen. Lehrkräfte, die sich einem Zeitdruck ausgesetzt bzw. sich durch die Verantwortung belastet sahen, gaben auch geringes Wohlbefinden an.

Auch Lehrpersonen brauchen das Gefühl, sich mit den wichtigen Personen in ihrem Leben verbunden zu fühlen. Je verbundener sich die Lehrpersonen fühlen, desto höher ist das Wohlbefinden. Interessant ist auch der Faktor Selbstwirksamkeit: Jene Lehrkräfte, die überzeugt sind, Schwierigkeiten bewältigen zu können, fühlen sich auch wohler. Es stellt sich die Frage: Kann Selbstwirksamkeit gelernt oder gelehrt werden? Natürlich. Wie aber kann sie integriert werden in den Schulalltag und das Online-Lernen?

Chancen

Die Lehrenden geben an, dass sich selbstorganisiertes Lernen, Selbständigkeit und digitale Kompetenzen bei den Schülerinnen und Schülern verbessert haben. Zudem geben die Lehrenden an, dass sich auch ihre eigenen Kompetenzen in Bezug auf digitale Medien erhöht haben.

Tools, die die Lehrkräfte auch in Zukunft einsetzen möchten, sind digitale Lernplattformen wie Moodle und Kommunikationsplattformen wie MS Teams. Weiterhin möchten viele Befragte auch zusätzliches digitales Material zur Vertiefung des Gelernten für ihre Schülerinnen und Schüler erstellen.

Flipped Classroom, Modelle und Inputphasen mit erstellten Videos, ziehen einige Lehrer/innen auch in Erwägung. Interessant ist es zu sehen, welche Möglichkeiten und Chancen sich aus der Zeit im Unterricht von zu Hause und dem intensiven Online-Lernen ergeben haben.

 

Blick in die Zukunft

Der dritte Fragebogen kann bis zum 29. Juni ausgefüllt werden. Wir sind gespannt darauf zu erfahren, wie es den Schülerinnen und Schülern Österreichs bis zum Schulende ergehen wird.

Die Bildungspsychologin Christiane Spiel unterstützt zudem auch eine weitere Studie. Am 4. Mai startete die Ludwig Boltzmann Gesellschaft die Initiative „Reden Sie mit! Was macht Corona mit unserer psychischen Gesundheit?“. Der erste Teil (4. bis 21. Mai) setzte den Schwerpunkt auf Bildung. Von 22. Mai bis 10. Juni wurde die Arbeit untersucht und daraufhin folgt der Themenkomplex um Isolation. Ziel der Initiative ist es, einen offenen Dialog zwischen Praktikerinnen, Praktikern, Expertinnen und Experten sowie der Bevölkerung zu schaffen.

 

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Ein Beitrag aus der Was jetzt-Redaktion.

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