Schwerpunkt

Lernbüro: „Jugendliche gehen endlich wieder gerne in die Schule“

Gottfried Koppensteiner, Abteilungsvorstand am TGM in Wien, erzählt im zweiten Teil unseres Schwerpunkts von seinen Erfahrungen. Und auch an neuen Mittelschulen sind individualisierte Lernkonzepte mittlerweile angekommen. Was macht sie so erfolgreich?

Von Thomas Rott, Fotos: Christopher Mavrič - 6. Februar 2019

 

Im ersten Teil unseres Schwerpunkts zum Thema Lernbüro haben wir uns mit dem neuen pädagogischen Konzept am Beispiel des TGM in Wien, einer der größten HTLs des Landes, auseinandergesetzt. Hier berichtet nun Gottfried Koppensteiner, Vorstand der Abteilung für Informationstechnologie, von seinen Erfahrungen. 

 

Eines ist sofort erkennbar: Das Lernbüro findet Anklang, nicht zuletzt auf Bildungsmessen, auf denen das Unterrichtskonzept regelmäßig präsentiert wird. Für unsere Schülerinnen und Schüler, die seit Jahren durch Österreich fahren und das System vorstellen, ist das nichts Neues.

Außerdem haben Lehrerinnen und Lehrer aus bereits 40 Schulen das TGM besucht und „Lernen im Aufbruch“ erlebt. Das ist auch der Name einer Initiative, die alle Lehrerinnen und Lehrer an Bildungseinrichtungen, die gerade Erfahrungen mit Lernbüros machen, miteinander vernetzt.

 

Niedrigere Drop-out-Zahlen, mehr Motivation: Abteilungsvorstand Gottfried Koppensteiner ist vom offenen Lernkonzept überzeugt.

 

An unserer HTL gilt der Erfolg als bestätigt, neben den positiven Erkenntnissen aus einer Begleitstudie ließen sich in den bald drei Jahren seit Beginn niedrigere Drop-out-Zahlen feststellen.

Darüber hinaus hat es in Lernbüroklassen die erste Mathematik-Schularbeit ohne Fünfer gegeben – und das, obwohl Lernbüroklassen und ganz gewöhnliche Klassen eines Jahrgangs gemeinsam ihre Schularbeiten ablegen.

Teamwork und neue Materialien

Der größte Erfolg ist jedoch, dass die Jugendlichen endlich wieder gerne in die Schule gehen, Lehrer und Schüler gemeinsam an ihrer Potenzialentfaltung arbeiten und nicht mehr gewissermaßen Gegner sind.

 

Digitale Medien sollen bei der „Integrativen Lernzeit“ vermehrt zum Einsatz kommen.

 

Und in der Tat gehen die Schülerinnen und Schüler ungleich motivierter ans Werk – und das gilt ebenso für unsere Lehrerinnen und Lehrer. In der Kollegenschaft jedenfalls ist man von diesem System überzeugt und sich der Aufgabe bewusst, andere Schulen, die diesen Schritt wagen wollen, in der Vorbereitung zu unterstützen.

Gleichzeitig soll auf der Website des Vereins Lernen im Aufbruch unter anderem entsprechendes Unterrichtsmaterial zur Verfügung gestellt werden und in geförderten Projekten gemeinsam mit Partnern, wie etwa dem MANZ Verlag Schulbuch, an der Weiterentwicklung geeigneter Materialien gearbeitet werden.

 

 

Freier Lernen 
Auch an den Neuen Mittelschulen sind individualisierte Lernkonzepte angekommen

 

Integrative Lernzeit (ILZ) an der NMS Konstanziagasse in Wien

An der Neuen Informatikmittelschule und Junior High School Konstanziagasse in Wien-Donaustadt wurde ein Konzept für offenen Unterricht entwickelt, das unter dem Begriff „Integrative Lernzeit“, kurz ILZ, firmiert.

Dahinter steht das Ziel, dass in diesen Unterrichtsphasen alle Schüler gemeinsam, aber trotzdem selbstständig und in ihrem jeweils individuellen Tempo lernen.

Das sind die Merkmale der ILZ: Jeder Schüler erhält zu Beginn einer Arbeitsphase Aufträge für die verschiedenen Gegenstände, die innerhalb dieses Zeitraumes (rund zehn Wochen) zu erledigen sind.

Lehrende als Unterstützer

Dabei werden die unterschiedlichen Bedürfnisse und Fähigkeiten der Schülerinnen und Schüler berücksichtigt. Während der ILZ dürfen sie frei wählen, womit sie sich beschäftigen, und begeben sich in den entsprechenden Lernraum. Dort finden sie sowohl Arbeitsmaterial als auch Unterstützung durch Lehrende.

Für individuelle Förderung stehen auch Extraräume zur Verfügung. Digitale Medien (Active Board, Computer, eventuell Handy) dürfen und sollen genauso eingesetzt werden wie herkömmliche Schulbücher.

Neben dem selbstständigen Arbeiten lernen die Schüler so, wie und wo sie sich Unterstützung holen und ihr Handeln planen können. Sie müssen schriftlich dokumentieren, wann sie woran arbeiten, die Ergebnisse der Aufträge müssen am Ende jeder Arbeitsphase vorgelegt werden.

 

In Lernbüros wie etwa am TGM in Wien können Schüler und Schülerinnen in Teams die zu erlernenden Themen erarbeiten.

 

Vom Lehrpersonal erhalten sie genaues Feedback zu ihrem Lernverhalten und ihrer Leistung. Als Zusatzangebot kann jeder Schüler zwei Workshops pro Woche innerhalb der ILZ besuchen. Diese ermöglichen das vertiefte Arbeiten an einem Thema in einer kleineren Gruppe mit etwa 15 Schülern und umfassen rund zehn Einheiten. Am Ende steht eine Präsentation der Ergebnisse.

 

Lernbüro mit Schwerpunkt Berufsorientierung an der DNMS Pinkafeld

Das Identifizieren von individuellen Begabungen, nicht zuletzt in Hinblick auf die spätere Berufswahl der Schülerinnen und Schüler, ist ein wichtiger Teilaspekt von schulischer Bildung – so auch an der Neuen Mittelschule im burgenländischen Pinkafeld.

Dieses Ziel wird nicht zuletzt mithilfe von Experten und Expertinnen aus der Wirtschaft gewährleistet, die den Schülern, aber auch dem Lehrpersonal einen intensiven Austausch mit der Berufswelt ermöglichen.

Fächerübergreifende Projekte

Umgesetzt wird dieser Dialog in Lernbüros, die 2017 im Rahmen der Schulautonomie eingerichtet wurden. Dort können Schüler und Schülerinnen in Teams die zu erlernenden Themen erarbeiten und selbst organisieren, die Schule stellt die Lernmittel bereit.

In der NMS Pinkafeld werden diese Themen mit den Betrieben und mit Bezug auf den Lehrplan abgestimmt und in einzelnen, nach den jeweiligen Begabungen zusammengestellten Gruppen aufgearbeitet. Dies erfolgt projektorientiert, fächer- sowie jahrgangsübergreifend.

Ein Beispiel: An einem Schultag wird der herkömmliche Unterricht in den Klassen der fünften und siebten Schulstufe aufgelöst und durch Lernbüroarbeit ersetzt. Die Aufgabenstellung für ein Projekt kommt in diesem Fall aus der Gastronomie und lautet: „Gestalte einen Gastraum für eine private Jubiläumsfeier um und plane einen Programmvorschlag dazu.“

 

Schülerinnen und Schüler können jeweils in ihrem Kompetenzfeld arbeiten und dabei von- und miteinander lernen.

 

Nach einem ersten Input durch die Lehrkraft und in Absprache mit einer Expertin aus der Praxis werden nun Arbeitsgruppen je nach Interessen und Begabungen gebildet.

Ältere unterstützen Jüngere

Eine Gruppe arbeitet zum Beispiel an den Einladungen, die andere entwirft die Dekoration, eine dritte erstellt den Menüplan, eine weitere erarbeitet das Musikprogramm und eine setzt sich mit der Kostenrechnung auseinander.

So können die Schülerinnen und Schüler jeweils in ihrem Kompetenzfeld arbeiten und dabei von- und miteinander lernen. Kreative, sprachliche, mathematische und handwerkliche Talente können sich so in ihrem Begabungsfeld erproben, gleichzeitig unterstützen die Älteren die Jüngeren, was nicht zuletzt die soziale Kompetenz fördert. An den anderen Tagen findet der Unterricht in den Klassen statt – abwechselnd traditionell und nach kooperativen Lernmethoden.

 

Links

TGM – Technologisches Gewerbemuseum Wien
Verein Lernen im Aufbruch
Junior High School Konstanziagasse Wien-Donaustadt
DNMS Pinkafeld

 

Mehr

Teil 1: Offener Unterricht: Lernen fürs Leben
Nachgefragt: Wie Schüler und Lehrer Entscheidungen treffen
Essay: Entscheiden Sie selbst!
Handys im Unterricht: Mit oder ohne?

 

Ein Beitrag aus dem Was jetzt-Magazin, Ausgabe 2/18

 

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