Bildung und Beruf

„Fehler als Chance sehen“

Der neuseeländische Pädagoge John Hattie plädiert im Interview mit Was jetzt für eine lockerere Fehlerkultur und individuelles Feedback je nach Lernfortschritt. Von Schulrankings am Handy hält er nicht so viel.

Von Florian Bayer - 18. Dezember 2019

Prof. Hattie, welche Rolle spielt Feedback in der Schule? 

Feedback ist wirkungsvoll, aber je nachdem, wie es gegeben wird, nicht immer gleich wertvoll. Für Schülerinnen und Schüler ist es wichtig, zu erfahren, wie sie besser lernen und sich verbessern können.

Sie brauchen ein Ziel vor Augen, das sie erreichen können und das ihnen die Richtung weist.

 

Pädagoge John Hattie plädiert für einen positiven Umgang mit Fehlern. Foto: Hattie

 

Wie sollen Lehrkräfte Feedback geben?

Taucht ein Schüler erstmalig in ein neues Stoffgebiet ein, geht es natürlich erstmal um richtig oder falsch. Bei fortgeschrittenem Niveau sollte es stärker um Fehlererkennung und alternative Strategien gehen, um ein Problem zu verstehen oder zu einer Lösung zu kommen.

 

„Schülerinnen und Schüler brauchen ein Ziel vor Augen, das ihnen die Richtung weist.“

 

Wie kann man den nächsten Schritt erreichen, sich verbessern? Das muss klar werden. Leider dreht sich das meiste Feedback nach wie vor um richtig oder falsch.

Das allerwichtigste Feedback in der Schule passiert aber in die andere Richtung, vom Schüler zum Lehrer.

 

Wie funktioniert das in Ihrer Heimat?

Ich lebe in Australien, und ein wichtiger Begriff quer durch alle Schultypen ist die „Expertise“. Die Regierung hat professionelle fachliche Standards vorgegeben, die von Lehrkräften erreicht werden sollen.

Und es funktioniert, sie beteiligen sich intensiv und mit Freude an diesem Programm. Das ist gut, denn jede Anstrengung, fachliche Expertise wertzuschätzen und zu fördern, ist wichtig.

 

Wie können Lehrkräfte lernen, qualifiziert mit Feedback umzugehen?

Die letzte Generation australischer Lehrkräfte wurde Dutzenden Evaluierungen unterzogen, und es zeigte sich: Die haben kaum positive Effekte. Am Schluss ging es nur mehr um die einfache Frage: Kann diese oder jene Weiterbildung die Qualität des Unterrichts verbessern?

Das war besser, und es zeigte sich: Weiterbildungsprogramme hatten einen enormen Effekt, obwohl es den australischen Lehrkräften teils vom System nicht leicht gemacht wurde. Weiterbildung ist ganz entscheidend, viel wichtiger noch, als welche formalen Qualifikationen ein Lehrer mitbringt.

 

Immer wieder wird gefordert, dass auch Eltern stärker in den Feedbackprozess eingebunden werden sollen.

Eltern spielen eine große Rolle, wenn es um die Ausbildung ihrer Kinder geht. Sie sollten aber weniger die Frage „Was hast du im Unterricht gelernt?“ in den Mittelpunkt stellen als „Woher weißt du das, wie hast du es herausgefunden?“.

 

„Eltern sollen spielerisch mit Fehlern umgehen, sie als Chance sehen.“

 

Wichtig ist, dass Eltern spielerisch mit Fehlern umgehen und sie als Chancen zum Lernen sehen. Damit stärken sie die Ausdauer und Hartnäckigkeit, und das ist viel wichtiger als der ausschließliche Fokus auf „richtig“ oder „falsch“. Natürlich ist es auch gut, wenn Eltern gemeinsam mit ihren Kindern lernen.

 

In Österreich gab es kürzlich eine Diskussion um eine Smartphone-App, mit denen Schüler ihre Lehrkräfte bewerten können. Kann ein solches Feedback wertvoll sein?

Ich bin kein Freund des „naming and shaming“, also des Zeigens mit dem Finger darauf, was alles falsch läuft. Das führt selten zu Verbesserungen und kann sogar nach hinten losgehen. Viel wertvoller ist es, wenn Lehrer ihren Schülern zuhören, wie es ihnen mit dem Lernen im jeweiligen Fach geht. Hier können Apps durchaus sinnvoll sein, etwa Lerntagebücher.

Schulrankings hingegen bringen nicht so viel – es spielt keine so große Rolle, ob man nun an dieser oder jener Schule ist. Viel wichtiger sind die einzelnen Lehrerinnen und Lehrer.  Eltern sollten nicht von einer Bewertung auf die ganze Schule oder ihre Lehrkräfte schließen.

 

Lehrkräfte galten früher als Autoritäten, denen man besser nicht widersprechen sollte. Mittlerweile sind viele Lehrerinnen und Lehrer, vor allem aus der jungen Generation, offen für Feedback.

Ja, es tut sich eindeutig etwas. Lehrkräfte, die schon 15 Jahre und länger unterrichten, mussten meist noch selbst herausfinden, wie sie ihren Unterricht verbessern können. Die junge Lehrergeneration will gemeinsam am Unterricht arbeiten und sich austauschen, um ihn so gut wie möglich zu machen.

 

„Früher mussten Lehrer noch selbst herausfinden, wie sie ihren Unterricht verbessern. Heute gibt es mehr Zusammenarbeit.“

 

Die heutigen Lehrerinnen und Lehrer benutzen auch aktiv Social Media. Apps zum Austausch von positiven Erlebnissen und Methoden können beim Vernetzen helfen.

Wir haben am AITSL (Australian Institute for School Leadership) eine Twitter-Fragestunde für Schüler und Lehrer ins Leben gerufen, an der insgesamt 116.000 Personen teilnahmen! Jüngere Lehrer schätzen den Austausch, und das ist eine tolle Nachricht auch für ihre Schülerinnen und Schüler.

 

 

Zur Person


Prof. John Hattie, 69, ist ein neuseeländischer Pädagoge. Er arbeitet als Professor für Erziehungswissenschaften und Direktor des Melbourne Education Research Institute an der University of Melbourne.

Zu seinen Schwerpunkten zählen moderne Lernformen und Einflussfaktoren für positive Schülerleistungen, bekannt wurde er durch die „Hattie-Studie“, die er im Buch „Visible Learning“ (2009) erstmals vorstellte.

 

 

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Ein Beitrag aus der Was jetzt-Redaktion.

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