Schwerpunkt: Online-Lernen
„Zurück in die Schule“: Was lernen Lehrer/innen aus dem Online-Lernen?
In vier Episoden begleiten wir vier Lehrer/innen „Zurück in die Schule“. Episode 1 analysiert die ersten Wochen im Online-Lernen: Welche Plattformen haben sich etabliert? Und wie erreicht man seine Schülerinnen und Schüler?
Florian Wörgötter - 12. Mai 2020
Mit der Schulschließung haben Lehrer/innen und Schüler/innen neue Techniken des Unterrichts kennengelernt. In der Serie „Zurück in die Schule“ wollen wir herausfinden, welche Chancen das Online-Lernen auch für den Präsenzunterricht bietet. Daher begleiten wir vier Lehrer/innen in vier Episoden auf dem Weg zurück ins Klassenzimmer.
Die wichtigen Fragen: Was haben die Lehrer/innen aus dem Online-Lernen gelernt? Welche Tools, Aufgaben oder Kommunikationsmittel wollen sie im Präsenzunterricht umsetzen? Und wie funktionert das Online-Lernen zurück in der Schule tatsächlich? In der ersten Episode schauen wir aber zurück auf die letzten Wochen des Online-Lernens.
„Lernvideos, Diskussion, Quiz und selbstständiges Arbeiten –
Online-Lernen muss abwechslungsreich sein“
Susanne Drobez unterrichtet an der Vienna Business School, Akademiestraße, Wien, die Sprachen Deutsch und Italienisch sowie das Fach Kunst und Kultur. Ihre Laptopklassen waren es bereits gewohnt, im Präsenzunterricht mit Microsoft Teams zu arbeiten, Dokumente herunterzuladen und Hausaufgaben hochzuladen. Daher sei auch die Erreichbarkeit der Schüler/innen kein Problem gewesen, meint Drobez. Lediglich in den ersten Klassen hätten noch nicht alle Schüler/innen einen Laptop.
Dennoch war die Umstellung auf komplettes Online-Lernen auch für Laptop-Klassen groß, denn Arbeit und Freizeit würde für alle verschwimmen. Die Organisation war ein Problem, hat aber auch eine neue Erkenntnis gebracht: „Im Online-Unterricht muss das Unterrichtsmaterial abwechslungsreicher gestaltet werden, damit den Schülerinnen und Schülern nicht fad wird: Lernvideos, Diskussion, Quiz, Konferenzen, Portfolios, selbständiges Arbeiten. Es muss ja nicht immer Frontalunterricht sein. Hauptsache ausprobieren.“
Alle unter einem Dach
Drobez stellte anfänglich Wochenaufgaben mit Portfolios zu bestimmten Büchern oder Textsorten auf Microsoft Teams. Die Schüler lösten Grammatikübungen zum Ausfüllen, die Lösung schickte sie gleich mit. Warum die Arbeit in Microsoft Teams für den Sprachunterricht praktisch ist? „Ich kann längere Texte der Schüler direkt über Teams korrigieren oder mit der Funktion „Quiz“ kurze Lernzielkontrollen erstellen. Man kann die Schüler online in Gruppen einteilen, ihnen Fristen setzen, sie über neue Hausübungen informieren – auf Wunsch auch mit Notifications am Smartphone. Und die Klasse kann untereinander chatten.“
Nach einer freiwilligen Einschulung in Videokonferenzen hat sie begonnen, ihre Schüler/innen über Microsoft Teams live zu unterrichten. „Ich fühlte mich, als würde ich mit einem Computer sprechen und nicht mit meiner Klasse“, sagt Drobez. Der Nachteil der Videokonferenz in Teams: Man sieht nur vier Schüler/innen gleichzeitig mit Bild. „Es fehlt die unmittelbare Bestätigung, ob sie die Erklärung verstanden haben oder nicht. In dieser Ausnahmesituation hat das aber alles gut funktioniert.“
Im Video-Unterricht nimmt auch die italienische Sprachassistentin teil. „Vokabular und sprachliche Richtigkeit können auch in einer Videokonferenz überprüft werden“, sagt sie. Prüfungen habe sie aber keine gemacht. Doch sie notiert sich für die Mitarbeit, wie ihre Schüler/innen Themen wie „Online-Lernen: Ja oder Nein“ aufbereiten und präsentieren.
Besonders die 18- bis 19-Jährigen hätten gelernt, sich selbständig zu organisieren, was sie besser auf die Universität vorbereitet. Der Online-Unterricht könne aber den zwischenmenschlichen Kontakt im Präsenzunterricht nicht ersetzen.
„Endlich nutzen auch die Skeptiker
die Vorteile von Online-Lernen.“
Der HAK-Lehrer Helmut Bauer hat die Umstellung auf Online-Unterricht gleich aus zwei Perspektiven kennengelernt: Der E-Learning-Beauftragte der BHAK 1 Salzburg hat seine Kollegen für den Online-Betrieb mit Office 365 und LMS geschult; beim Gestalten seines eigenen Online-Unterrichts hat aber sogar er Neuland betreten.
„Interessant war, dass in den ersten Wochen Lehrer/innen wie Schüler/innen einen Zugang zu LMS wollten. Eigentlich verwenden wir LMS aber schon seit zehn Jahren“, beschreibt Bauer den Status quo vor der Schulschließung. Nach 14 Tagen waren rund 600 Schüler/innen mit einem Zugang zu ihrer Plattform ausgestattet. Die Vorgabe seiner Schule war: Man solle laut Stundenplan Aufgaben stellen und sich entsprechend den Wochenstunden darum kümmern.
Ein Drittel der Lehrer/innen – wie auch er – hat sich für den Video-Live-Unterricht in Microsoft Teams entschieden. Zwei Drittel haben ihre Aufgaben in LMS Online gestellt und gewartet, bis die Schüler/innen die Aufgaben abgegeben haben. Schlussendlich sei aber ein Großteil der Kollegen und Kolleginnen auf einen professionelleren Online-Unterricht in Microsoft Teams umgestiegen. „Der Stellenwert des Online-Lernens hat sich verändert: Jeder Skeptiker musste sich mit dem Online-Lernen auseinandersetzen, daher erkennt jetzt auch jeder die Vorteile.“
Der Beamer im Kinderzimmer
Nachdem seine Schüler/innen am Beginn der Rechnungswesen-Stunde vor die Kamera treten, gibt Bauer seinen Bildschirm frei und rechnet ein Excel-Blatt vor. Die Schüler arbeiten am eigenen PC mit oder präsentieren ihre Lösung, indem sie den Monitor teilen. „Der Unterschied zum Klassenunterricht war gar nicht mehr so groß, weil jeder Schüler und jede Schülerin meine Tabelle wie am Beamer vor sich hat.“ Nach anfänglichem Jammern hätten sich nach der dritten Stunde alle an den Online-Unterricht gewöhnt.
Eine weitere Entdeckung: der „Lernraum“ von LERNEN WILL MEHR! mit den Inhalten der Rechnungswesen-Bücher. „Ich habe den Lernraum ehrlicherweise nicht großartig beachtet“, sagt Bauer. „Als aber immer mehr Lehrer/innen vom E-Mail-Bombardement überfordert wurden, hat sich vor allem im Rechnungswesen gezeigt, dass ein solches Tool Arbeit abnimmt.“
In einer Minute könne man Aufgaben aus dem Buch online verknüpfen. Die Schüler/innen antworten online und werden sofort automatisch korrigiert, was vor allem bei Buchungssätzen und theoretischem Wissen mit Multiple-Choice-Fragen gut funktioniere. Die zahlreichen Erklärvideos hätten die Inputphase der Lehrkraft verkürzt und die Schüler/innen selbständiger arbeiten lassen.
Eine Online-Prüfung macht in seinen Augen aber auch mit Videokonferenz keinen Sinn. Ich kann als Lehrperson nicht abschätzen, wer noch hinter der Kamera steht und ein Plakat hochhält, oder er oder sie einen Airpod im Ohr hat, den ich nicht sehen kann.“ Daher empfiehlt Bauer, eher mit Portfolios zu arbeiten, d. h. er lässt die Lernenden kleine Projekte mit Präsentationen oder Videos erstellen und bewertet diese.
„Die Challenge ist es, eine Plattform zu finden,
die auch alle Schüler/innen erreicht.“
„Anfangs war alles Kuddelmuddel“, erinnert sich Elke Friesacher zurück an die überraschende Schulschließung. Schüler/innen sowie Lehrer/innen hätten mit „Learning by Doing“ jene Online-Skills aufholen müssen, die bisher in den meisten Schulen unzureichend vorhanden waren.
Da von der Schule keine Plattform vorgegeben wurde, musste jeder Lehrer selbst entscheiden, ob er mit Moodle, Teams oder E-Mail arbeiten möchte. „Die größte Herausforderung war es, eine Plattform zu finden, mit der ich möglichst viele Leute erreiche“, sagt Friesacher. „Nicht alle haben einen leistungsstarken PC oder einen aktivierten Zugang zu Microsoft Office 365.“
Um den Schüler/innen den fehlenden Tagesrhythmus wiederherzustellen, entschied sich Friesacher, ihre kaufmännischen Fächer laut Stundenplan per Videokonferenz via Zoom abzuhalten. Die meisten Schüler/innen wollten anfangs die Aufgaben per Mail bekommen. Im Gegenzug landeten dafür auch hundert Mails pro Woche im Posteingang.
Ein Kinderspiel für Erwachsene
Daraufhin hat Friesacher angefangen, den Lernraum von LERNEN WILL MEHR! zu nutzen. „Der Vorteil für mich: Ich bringe die Schüler/innen direkt zum Schulbuch, lade Aufgaben hoch und kann Erklärvideos zeigen.“ Die Schüler/innen schicken keine Anhänge mehr, sondern laden ihre Aufgaben simpel in die Lerngruppe. „Die Rückmeldung der Schüler/innen: Die Erklärvideos waren eine große Hilfe, weil sie auf den Stoff zugeschnitten sind. Die Features sind klar strukturiert und im Vergleich zu Moodle und Teams überschaubar“, meint Friesacher.
Außerdem empfiehlt sie die Plattform Testmoz für einfache Wiederholungen. Sie hat kleine Kapitel in 15-minütigen Single-/Multiple-Choice-Tests oder True-or-False-Tests abgeprüft (Zielniveau 1–2). Der Vorteil: Die Schüler erhalten sofort eine Rückmeldung, was falsch und richtig beantwortet wurde; der Lehrer sieht auf einen Blick die komplette Auswertung. „Es war mir egal, ob die Schüler mit dem Buch daneben sitzen. Hauptsache, sie beschäftigen sich mit dem Stoff.“ Für die Schüler ist das ein gutes Feedback, für die Note hat es nur Relevanz als Mitarbeitsnote.
Ergänzend beurteilt sie für die Mitarbeit die Anwesenheit und die Erfüllung von Arbeitsaufträgen. „Wir müssen vorsichtig sein, wie wir Kinder benoten, die mit drei Geschwistern vor dem Computer keine Ruhe finden oder nur am Smartphone zuhören, weil sie keinen Computer besitzen“, sagt Friesacher. Die Tendenz sei, dass Schüler, die schon im Präsenzunterricht schwer erreichbar waren, im Online-Unterricht noch schwerer erreichbar sind. „Allerdings sind auch manche regelrecht erwacht, die ihre Arbeit endlich machen können, wann sie wollen.“
„Meine Schüler/innen waren beim Online-Lernen produktiver,
wenn sie zusammenarbeiten.“
Der HAK-Lehrer Thomas Heimhofer beschreibt die vergangenen Wochen des Online-Lernens als ein „intensives, aber interessantes Experiment, aus dem man einiges in den Präsenzunterricht mitnehmen kann“. Vor der Schulschließung habe er keine Online-Elemente verwendet, weil er die „Schüler/innen eh immer gesehen hat“, sagt Heimhofer.
Seine Schule, die Schumpeter BHAK Wien 13, habe aber schnell reagiert mit zwei klaren Anweisungen: „Erstens, wir machen Online-Unterricht nach Stundenplan. Zweitens, alle Lehrkräfte verwenden dafür Microsoft Teams.“ Nach einer technischen Einschulung habe der Dienst nach Stundenplan aus seiner Sicht funktioniert: „Wir haben den Tag weiterhin für die Lernenden strukturiert. Um 8 Uhr Früh hat der Klassenvorstand über Neuigkeiten informiert und die Anwesenheit der Schüler/innen dokumentiert. Nach 50 Minuten wechseln sie in die nächste Teams-Gruppe zur nächsten Lehrerkraft, chatten live und werden aktiv eingebunden.
Willkommen im Team
Anfänglich hat Heimhofer darauf bestanden, dass die Schüler/innen betriebswirtschaftliche Aufgabenstellungen für sich selbst lösen, z.B. einen Zeitungsartikel selbst analysieren oder Aufgaben aus dem Buch lösen. „Ich habe festgestellt, dass alle voneinander abschreiben und sich die Dateien zuschicken. Dann haben mir die Schüler/innen erklärt, dass es mühsam ist, alleine im Zimmer vor sich hinzuarbeiten und sie lieber mit ihren Freunden darüber am Telefon reden“, sagt Heimhofer.
Seine Reaktion: „Ich habe beschlossen, dass die Lernenden die Aufgaben gemeinsam machen dürfen. So haben sie erstens sozialen Kontakt und zweitens gibt es nichts Besseres, als wenn sich Schüler über den Schulstoff austauschen. Daher habe ich freiwillig in Gruppen bis zu drei zusammenarbeiten lassen. Sie mussten das aber kennzeichnen.“
Sein Resümee des Online-Unterrichts: „Die Schüler/innen sind beim Online-Lernen super engagiert und beherrschen die digitale Technik teilweise mehr als die Lehrpersonen.“ Die guten Schüler erlernen auch neuen Stoff und werden problemlos besser. Auch der Durchschnitt kommt noch gut mit. Jedoch jene 20 Prozent, die sich vor allem in den ersten Klassen schon schwer tun, verliere man leicht aus den Augen, meint Heimhofer. „Im Präsenzunterricht siehst du ihre Fragezeichen im Gesicht und kannst auf sie reagieren. Im Online-Unterricht ziehen sie sich zurück und stellen keine Fragen.“
Was die vier Lehrer/innen aus dem Online-Lernen der letzten Wochen im Präsenzunterricht umsetzen wollen, erfahren wir in der zweiten Episode von „Zurück in die Schule“ in 14 Tagen.
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