Schwerpunkt: Online-Lernen

Wir haben nachgefragt: Notengebung in Zeiten des Online-Lernens

Das Schuljahr schreitet mit großen Schritten voran. Wie sollen die Noten im heuer ermittelt werden? Wir haben uns bei Bildungsexpertinnen und Bildungsexperten sowie Schüler- und Elternvertretern/-vertreterinnen umgehört.

Von Florian Bayer - 21. April 2020

Für die Matura steht seit kurzem der Fahrplan, auch die Bewertungsmodalitäten dafür sind weitgehend geklärt.

Wie aber sollen die restlichen Schülerinnen und Schüler benotet werden, für die ein Großteil des Sommersemesters auf Onlineplattformen stattfindet, nicht aber im Klassenzimmer?

Zwar gibt es offizielle Richtlinien des Bildungsministeriums, doch sowohl für Schüler/innen als auch für Eltern und Lehrer/innen steht vor allem die grundsätzliche Frage im Raum, ob bzw. wie unter den gegebenen Bedingungen eine gerechte Notengebung möglich ist.

Keine negativen Noten

„Ich gehe, mit Ausnahme der Maturaklassen, nicht davon aus, dass in diesem Semester noch Präsenzunterricht stattfindet“, sagt Heidi Schrodt, langjährige Direktorin der Wiener AHS Rahlgasse sowie Vorsitzende der Initative BildungGrenzenlos.

Dementsprechend müsse man sich intensiv Gedanken über die Notengebung machen, dabei aber Rücksicht auf die derzeitige Situation nehmen.

 

Bildungsexpertin Heidi Schrodt

Bildungsexpertin Heidi Schrodt

„Es gibt viele Gründe, warum sich Kinder aktuell schwerer tun können: Familiäre Probleme, beengte Wohnverhältnisse, fehlender Internetzugang, aber auch pubertäre Schwierigkeiten, die die Schule besser abfangen könnte“, sagt Schrodt.

Deshalb würde sie grundsätzlich keine negativen Noten geben und zur Leistungsbeurteilung die Semesternoten heranziehen. „Dabei soll alles Positive aus dem jetzigen Semester, auch das bloße Bemühen, miteingerechnet werden.“

Sehr wichtig ist ihr besonders, das wiedereingeführte Sitzenbleiben in der zweiten Klasse Volksschule auszusetzen. „Wir sprechen von Siebenjährigen – wenn sie im Semester ein Nicht genügend hatten, haben sie jetzt keine Möglichkeit mehr, das zu verbessern. Das kann nicht sein.“

Überhaupt keine Lobby habe auch das Thema der separaten Deutschförderklassen: Auch diese sollen laut Schrodt ausgesetzt werden, sodass die Schülerinnen und Schüler in den „Regelklassen“ mitgenommen werden und aufsteigen können.

Sitzenbleiben aussetzen

Ähnlich sieht das auch Stefan Hopmann, Professor für Schul- und Bildungsforschung am Institut für Bildungswissenschaft der Universität Wien.

Er plädiert dafür, Druck aus der jetzigen Situation zu nehmen und „das ohnehin kontraproduktive Sitzenbleiben“ heuer auszusetzen, also alle Schülerinnen und Schüler positiv zu bewerten.

 

Bildungswissenschaftler Stefan Hopmann, Universität Wien

Bildungswissenschaftler Stefan Hopmann, Universität Wien

„Wir reden von etwa drei Prozent der Dauer einer durchschnittlichen Schullaufbahn. Wo ist das Problem, heuer ausnahmsweise alle aufsteigen zu lassen?“, sagt Hopmann. Alle Schülerinnen und Schüler hätten ohnehin fortlaufend Leistungen erbracht, im Sommer könne auch noch vieles nachgelernt werden.

„Und wenn es in der darauffolgenden Schulstufe wegen zu großer Defizite gar nicht klappt, kann es ja einvernehmliche Rückstufungen am Anfang des Schuljahres geben“, sagt Bildungswissenschaftler Hopmann.

Unangreifbare Leistungsbewertung

Auch Marcus Dekan, Vorstand des Verbands der Elternvereine an den Höheren und Mittleren Schulen Wiens, beschäftigt sich intensiv mit der Frage, wie das aktuell praktizierte Online-Lernen in eine faire Benotung münden kann.

 

Elternvertreter Marcus Dekan

Elternvertreter Marcus Dekan

„Wir müssen zu einer unangreifbaren Leistungsbewertung kommen, denn ansonsten gibt es am Ende des Semesters Diskussionen ohne Ende“, sagt Dekan.

Aktuell ist ihm etwa vom Fall eines Schülers berichtet worden, der drei Tage lang nicht auf einer Lernplattform aktiv war und deshalb negativ bewertet wurde. Der Grund: Er war krank. Seine Eltern wussten allerdings nicht, dass sie ihr Kind krankmelden müssen. „Das zeigt: Die Notengebung muss in dieser Ausnahmesituation einheitlich und nachvollziehbar geregelt sein.“

Von einem automatischen Aufsteigen aller Schülerinnen und Schüler, auch jener mit negativem Semesterzeugnis, hält er nichts. „Denn wie soll das in der nächsten Schulstufe funktionieren? Dann könnte der Lehrplan nicht eingehalten werden, weil die Betroffenen hinterherhinken und damit den Lernfortschritt der ganzen Klasse verzögern.“

Wenn aber beschlossen werden sollte, dass alle aufsteigen, dann plädiert Dekan für zusätzlichen Förderunterricht im Sommer für die betroffenen Schülerinnen und Schüler: „Nur so kann es funktionieren.“

Mit den befragten Expertinnen und Experten stimmt er darin überein, dass aus der aktuellen Situation niemandem ein Nachteil erwachsen sollte. „Steht jemand zwischen zwei Noten, sollte er oder sie jedenfalls die bessere erhalten.“

Sozial ungleiche Verteilung

Für einen Aufstieg aller Schüler/innen im heurigen Schuljahr setzt sich Noomi Anyanwu, Bundesvorsitzende der Aktion kritischer Schüler_innen (aks) ein.

„Die Semesternote sollte auch im Jahreszeugnis stehen. Alles andere wäre ungerecht, zumal die Ressourcen und der Zugang zu den Lernplattformen sozial ungleich verteilt sind“, sagt Anyanwu.

 

aks-Bundesvorsitzende Noomi Anyanwu

aks-Bundesvorsitzende Noomi Anyanwu

Die aks sieht übrigens auch die Abhaltung der heurigen Maturaklausuren kritisch.

„Die Vorbereitungszeit ist heuer sehr kurz, aktuell müssen sich die Schülerinnen und Schüler alles selbst erarbeiten. Deshalb haben wir uns für eine Maturanote gemittelt aus den Noten der Abschlussklasse eingesetzt“, sagt Anyanwu.

Das sei auch der Wunsch der meisten Schülerinnen und Schüler, sagt Anyanwu und verweist auf Befragungen der Landesschülervertretungen sowie eine aks-Petition.

Funktionierende Schulpartnerschaft

Von einem guten Kompromiss bezüglich Matura spricht Jennifer Uzodike, Bundesschulsprecherin von der Schülerunion: „Wir haben das Beste aus der jetzigen Situation geholt.“

„Die Meinungen waren sehr gespalten, manche wollten die Matura schreiben, andere nicht. Uns war es wichtig, eine faire Reifeprüfung für alle ermöglichen zu können“, so Uzodike.

 

Bundesschulsprecherin Jennifer Uzodike

Bundesschulsprecherin Jennifer Uzodike

Dass die Matura nicht im vollen Umfang stattfindet, sei eine notwendige Entlastung, zumal ja auch die Vorbereitungszeit in den Schulen nur drei Wochen beträgt. Auch die optionale Möglichkeit, eine freiwillige mündliche Matura abzuhalten, sieht Uzodike als positiv an.

Zur Benotung in den Jahreszeugnissen befragt, möchte sie gern noch die weitere Entwicklung der Gesundheitskrise abwarten: „Geplant ist ja aus jetziger Sicht, dass es noch einige Wochen Präsenzunterricht für alle Klassen geben wird. Dann wäre noch genug Zeit für Tests und Prüfungen.“ Allenfalls können diese Prüfungen auch auf digitalem Weg stattfinden, sagt Uzodike.

Am wichtigsten ist ihr, dass alle Schülerinnen und Schüler eine faire Chance erhalten, so die Bundesschulsprecherin. Über Detaillösungen tausche sich die Schülervertretung auch weiterhin mit dem Bildungsministerium intensiv aus.

Über den aktuell sehr intensiven Austausch mit der Politik freuen sich jedenfalls auch aks-Bundesvorsitzende Anwanyu wie auch Elternvertreter Dekan.

Aller Uneinigkeit bei manchen Fragen zum Trotz funktioniere die Schulpartnerschaft derzeit hervorragend, heißt es von beiden unisono.

 

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Ein Beitrag aus der Was jetzt-Redaktion.

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